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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0165

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IV. Ostfriesland.

Die Beziehungen Ostfrieslands, in erster Linie Emdens, sind im 16. und zu Beginn
des 17. Jahrhunderts, sowohl wirtschaftlich wie politisch — von den Glaubenskämpfen
ganz zu schweigen — weit stärker mit dem benachbarten Holland verknüpft als mit den
angrenzenden deutschen Gebieten. Ostfrieslands Handel und Schiffahrt und seine geistigen
Beziehungen zu den Niederlanden sind in einer Beihe von Schriften — Bernhard Hage-
dorn, A. Franz, A. Wolters u. a. — mit genügender Ausführlichkeit behandelt worden. Es
finden sich des öfteren Angaben über den Umsatz von flandrischen Wandteppichen, Hin-
weise auf wandernde Wirker. Trotzdem ist es mir nicht gelungen, einen Meister mit Namen
und Ansiedlungsort festzustellen. Daß in Ostfriesland, in erster Linie wohl in Emden oder
in Norden, eine Werkstatt bestand, beweisen Wandteppichfolgen so ausgeprägter Eigenart,
daß an einer sporadischen Niederlassung in einer der Städte des Landes kaum zu zwei-
feln ist.

In erster Linie kommt das „Urteil des Kambyses" (Abb. 119 a) in Betracht, von dem Em-
dener Bat um 1620 erworben. Der noch heute vorhandene Behang zierte gelegentlich der
Proklamierung und Vorstellung der neu gewählten Bürgermeister im Januar jeden Jahres
den Balkon des Bathauses1). Zeichnung, Technik und Farbengebung sind gleichermaßen
unbeholfen und schwer. Es mutet eigenartig an, daß der Bat Emdens, dem die erstklas-
sigen Erzeugnisse Flanderns, Brabants und Hollands bekannt und geläufig waren, sich mit
diesem etwas bäuerlich wirkenden Stücke begnügte — sofern es sich nicht um ein Unter-
nehmen handelte, das aus ortspolitischem Interesse Unterstützung beanspruchen durfte.
Das schwache technische Können des Tapissiers macht sich weniger geltend in der Durch-
bildung der Gewänder als in der Behandlung des Haar- und Bartwuchses (abwechselnd
helle und dunkle Streifen), der kindlichen Erfassung der Marmortönung (Sockelplatte des
Richtersitzes) und der teils schematischen, teils systemlosen Schichtung des Rasens und
der blühenden Pflanzen. Das steife Akanthusmuster der Bordüre, in der vereinzelte Vögel
hocken, wird durch vier Mittelmedaillons (tanzendes Paar, Hirte und Schaf) unterbrochen.

Die gleiche Akanthusbordüre (ohne die vier Medaillons) kehrt wieder in einer Josephs-
geschichte, vor etwa zwei Jahrzehnten im Berliner Kunsthandel. Bemerkenswert ist die
Verquickung „antikischer" Trachten mit der landesüblichen Kleidung. Der Kaufmann, der
in der Mitte des Motives rechts neben dem Sack steht, trägt zwar nackte Knie und hohe,
schienenartige Wadenbekleidung, dazu aber einen Schlapphut und eine mächtige Leder-
tasche am Riemen usw. Auch hier findet sich die gleiche primitive Technik, dieselben stei-
fen Gewächse. Die Farbengebung des 2,50 m hohen, 4,60 m langen Behanges arbeitet vor-
wiegend in grünen und blauen Tönen. Eine Wiederholung in ziemlich schlechtem Zustand
tauchte 1917 auf einer Helbing-Auktion auf2).

In wenig veränderter Fassung erschien 1920 auf einer Amsterdamer Auktion ein umfang-
reicher Behang (H. 2,60 m, L. 5,50 m), der links die Begegnung eines Feldherrn mit einer
gekrönten Frau, rechts eine Thronszene schildert, der zweifellos der gleichen Manufaktur
angehört3).

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