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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0259

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B. Polen — Litauen.

Es ist kaum anzunehmen, daß im 14. und 15. Jahrhundert in Polen und in dem seit
1386 in Personalunion angegliederten Litauen sich Wandteppichmanufakturen von nen-
nenswerter Bedeutung halten konnten. Die wirtschaftliche und politische Struktur des Lan-
des verbot, infolge des Fehlens eines kapitalkräftigen Mittelstandes, den Aufbau von Ate-
liers in dem in den burgundischen Niederlanden üblichen Sinne. Der flämische Teppich-
wirker, der sich nach Polen verirrte, war bestenfalls auf Reparaturarbeiten am königlichen
Hofe oder auf den Schlössern des Großadels und der hohen Geistlichkeit angewiesen. Der
Mangel an geeigneten Kartons, an den notwendigen Rohmaterialien, die Unmöglichkeit, ge-
schulte Hilfskräfte herbeizuschaffen, kurz eine Reihe von Bedingungen, ohne die eine, wenn
auch noch so bescheidene Werkstatt kaum gedeihen kann, ließen ein Wirkereiunternehmen
in Polen mehr als hoffnungslos erscheinen. Es sind mir zudem auch keine frühen Inven-
tare bekannt, die auf eine heimische Industrie schließen lassen. Die „Mappa magna cum
sibilla et octaviano alias oppona pro ornatu ecclesie", 1470 erwähnt1), ist sicherlich flämi-
sches Erzeugnis, sofern es sich überhaupt um eine Wirkerei handelt. Die Wahrscheinlich-
keit, daß in Polen im Mittelalter der gewirkte Wandteppich nur eine sehr untergeordnete
Rolle — im Gegensatz zu den Stickereien und den orientalischen und einheimischen Knüpf-
teppichen — spielte, ist jedenfalls erheblich größer als die gegenteilige Annahme.

I. 16. Jahrhundert.

Anders liegen die Verhältnisse für das 16. Säkulum, für eine Zeitspanne, in der zwangs-
läufig sich ein gewaltiger Strom niederländischer Wirker über ganz Europa ergießt. Die
Scharen der Tapetenmacher, die Herzog Albas Proskriptionslisten in Bewegung setzen,
wandern bis nach Königsberg. Es liegt kaum ein Grund vor, weshalb die Flamen sich nicht
an dem kunstsinnigen polnischen Königshofe und in den Kastellen des Hochadels — beide
weit stärker westlich eingestellt als in den voraufgegangenen Jahrhunderten — festsetzen
sollten, um so weniger, als die Vorliebe für die Erzeugnisse niederländischer Wirkerkunst
einen weit günstigeren Boden gewonnen hatte. Der Textilienbestand des Königshauses
— soweit das 16. Säkulum in Frage kommt — ist von gewaltigem Umfang2). Leider lassen
uns die urkundlichen Belege und die maßgebenden Inventare im Stich. Mit allgemein gehal-
tenen Angaben — „cum imaginibus Davidiis cum Absalone et Bethsabee, cum Davide etc."
(1535) oder „cum figuris et imaginibus" — ist nicht allzuviel anzufangen.

Wesentlicher erscheint mir schon eine Notiz vom Jahre 1578, die unter dem Königsber-
ger Textilienbestand „2 Polnische Deppicht, der eine mit der Krön und 2 Lewen, weiß und
rothe Franzen, der andere mit rothen Vegeln umbher gewirkt und 1 Polnische Teppicht
uf 2 Tische, in der Frenkischen Silbercammer" anführt3). Daß es sich bei den beiden er-
wähnten Teppichen um Wirkereien handelt, besagt der technische Ausdruck. Eine Ver-
wechslung liegt kaum vor, da der Inventarisator durch seine Beziehungen zur Königsberger
Tapetenmacherkolonie genau Knüpferei von Wirkerei unterscheiden konnte. Es ist auch
mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß die in Polen tätigen ausgewanderten Flamen

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