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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 12.1917

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Escherich, Mela: Die Architekturmalerei in der mittelalterlichen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3621#0431

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Die Architekturmalerei
in der mittelalterlichen Kunst.

Von
Mela Escherich.

Lange bevor die Architekturmalerei ein Spezialgebiet der bildenden
Kunst wurde, spielte die Architektur auf den Gemälden eine Rolle.
Sie spielte sogar deren mehrere. Wir unterscheiden drei Formen ihres
Auftretens: Architektur als Rahmen, als Szenarium, als Staffage.

Die Bildauffassung der frühen Tafelmalerei ist eine bühnenmäßige.
Darstellung deckt sich mit Vorstellung. Die thronende Madonna, die
in Nischen oder vor Vorhängen stehenden Heiligen wirken gestellt,
wie >lebende Bilder«, aus einem Festzug. Mehrfigurige Gruppen haben
ihr Schema, die einzelnen Figuren darin ihre bestimmten Plätze, wie
bei dem Schlußbild eines Bühnenaktes. Manches wurde hierin von
der Mysterienbühne übernommen, manches auch ist — schwer zu
entscheiden! — lediglich analoge Erscheinung. Maria und Johannes
unterm Kreuz, das in Malerei, Graphik und Plastik gleich stark ver-
breitete Motiv, bildet dieselbe Gruppe, wie sie in den Karfreitags-
klagen in den Kirchen von jungen Geistlichen dargestellt wurde. Der
Auftritt der heiligen drei Könige, die Anbetung der Hirten, Kreuz-
tragung, Kreuzigung, Himmelfahrt entsprechen vollkommen Bühnen-
szenen. Figurenkreise, wie der Engelkranz um die im Grünen sitzende
Gottesmutter oder die Versammlung der Apostel bei Christi Himmel-
fahrt, öffnen sich wie auf der Bühne nach vorn, um den Beschauer
in den Kreis hineinzuziehen. Eigentlich erst das späte 15. Jahrhundert
wagt Figuren von der Rückseite zu bringen; aber auch dann (Pacher,
Holbein d. ä.) ist die Wirkung eine bühnenmäßige.

Um den Abstand von Bühne und Leben in der Kunst zu ermessen,
vergleiche man die Madonnen Lochners mit denen Dürers. Dürers
Maria bewegt sich in voller Alltagswirklichkeit im Garten oder Hof
völlig unabhängig vom Beschauer, von dem sie nichts weiß; bei
Lochner sitzt sie für das Publikum da. Auf seiner »Maria in der
Rosenlaube« fehlt sogar der Theatervorhang nicht, der, von Engeln
gezogen, in die Höhe rollt.
 
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