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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 25.1909

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Heft 8
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Städtebaufragen: die Idealpassage in Rixdorf
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https://doi.org/10.11588/diglit.42077#0073

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1909

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 8

Aber die mannigfaltigen Versuche und Erfahrungen der letzten 1
Jahre haben doch schon gelehrt, daß eine den enormen Grund-
stückspreisen entsprechende Bodenausnutzung keineswegs nur
durch das bisherige öde Mietkasernensystem mit engen Höfen
und trostlosen Seiten- und Hintergebäuden erreicht werden
kann. Es sind sehr wohl auch dabei durchaus wohnliche,
künstlerisch befriedigende Anlagen möglich.
Das in dieser Hinsicht bisher Geleistete steht aber noch
vereinzelt, meist in sich abgeschlossen, und kann erst dann
wirkliche Bedeutung für die künstlerische Gestaltung und das
einheitliche Zusammenfassen unsrer neuen Straßen und Stadt-
viertel gewinnen, wenn es gelingt, daraus Typen zu entwickeln,
welche die grundlegenden Einheiten des neuen Aufbaus ab-
geben, auf deren Anwendung dann schon bei der Straßen-
führung und Baublockeinteilung entsprechend Rücksicht zu
nehmen wäre.
Bisher sind auch die besten Lösungen dieser Art ja mehr
oder minder schwierige Kompromisse zwischen dem neuen
Streben nach gesünderen und behaglicheren Wohnungen und
freundlicheren Straßenbildern und den überlieferten Baublock-
und Grundstücksabmessungen, welche bei der Neubebauung
älterer Quartiere oder innerhalb der älteren Bebauungspläne
als gegeben übernommen werden müssen. Eine gleich ein-
trägliche Bebauung unter ausgiebiger Wahrnehmung der
hygieinischen und ästhetischen Verbesserungen läßt sich an
Stelle der bisherigen mit ihren in jeder Hinsicht minderwertigen,
aber höchst ertragreichen Quer- und Hintergebäuden auf diesen
schmalen und sehr tiefen Grundstücken, wie einige lehrreiche
Beispiele aus letzter Zeit dargetan haben, oft nur durch eine
zusammenfassende Bebauung mehrerer angrenzender Grund-
stücke erreichen.
Daraus ergibt sich, ganz unbeschadet der Verdienste der
bereits vorhandenen Lösungen, daß es unzweifelhaft möglich
sein dürfte, bei freierer Gestaltung auf dementsprechend zuge-
schnittenen Bauflächen noch Besseres und Erfreulicheres zu
schaffen, das auch im Gesamtbilde der neuen Stadtviertel ton-
angebend wird. Das muß allen an der Lösung städtebau-
künstlerischer Aufgaben mitarbeitenden Fachleuten größte Vor-
sicht gegenüber der heute noch häufigen kritiklosen Übernahme
der herkömmlichen, auf nicht mehr zutreffende Verhältnisse be-
rechneten Baublockeinteilungen und Grundstücksabmessungen
zur Pflicht machen und zugleich eingehendstes und umfassen-
des Studium aller Bestrebungen und Versuche, die auf die
Herausbildung neuer Bautypen auf neuer zeitgemäßer wirt-
schaftlicher Grundlage abzielen. Denn nur aus solchen, nicht
aus mehr oder weniger gelungenen, eigenartigen oder bloß
neumodischen Fassadengestaltungen kann ein wahrhaft neu-
zeitlicher, organischer Städtebau hervorgehen.
Die Herausbildung praktisch und künstlerisch gleich be-
friedigender Gebäudetypen ist naturgemäß am leichtesten für
das Einfamilienhaus. Sie gestaltet sich immer schwieriger, je
größer die Zahl der in einem Gebäude unterzubringenden
Wohnungen und je kleiner jede von diesen im Verhältnis zum
ganzen Hause ist. Am schwierigsten ist die Aufgabe, wenn
es sich nur um kleinste (Ein- und Zweizimmer-) Wohnungen
handelt, welche bei äußerster Sparsamkeit doch alle erreichbaren
Vorteile und Bequemlichkeiten bieten sollen, die sonst nur bei
größeren und teuerem Wohnungen zu finden sind.
An der Verbesserung und zweckmäßigen Verschönerung
der Arbeiterwohnungen in den Großstädten wird ja, wie die
besonderen Abteilungen der Düsseldorfer Ausstellung 1902
und der Städteausstellung in Dresden 1903 zeigten, schon seit
geraumer Zeit mit großem Eifer gearbeitet. Sie ist jedenfalls
von höchster Bedeutung für die soziale Fürsorge, wie für die
kulturelle Hebung der Arbeiterbevölkerung, eines der am
meisten Erfolg versprechenden Mittel für die Bekämpfung des
schlimmsten Großstadtelends. Bei der außerordentlich großen
Zahl kleinster Wohnungen, die in den Arbeitervierteln der
Großstädte den Hauptbestandteil ganzer Quartiere bilden, ist
die Lösung dieser Aufgabe aber auch ganz besonders wich-
tig für die städtebauliche Entwicklung, für die künstlerische

Hebung und Belebung der bisher am meisten vernachlässigten
Quartiere. Deshalb sei hier etwas ausführlicher auf eine neuer-
dings in Rixdorf entstandene Anlage, die sogenannte Ideal-
passage zwischen der Fuldaer- und Weichselstraße, eingegangen,
in der die bei den vornehmen Miethäusern des Westens von
Berlin längst gebräuchliche, aber doch noch wenig künstlerisch
entwickelte Anordnung größerer Hofgärten recht wirkungsvoll
inmitten einer umfangreichen Gruppe von Häusern angewendet
ist, die im wesentlichen nur Ein- und Zweifamilienwohnungen
enthalten.
Die Allgemeine Ortskrankenkasse für Rixdorf hatte ein
zwischen der Fuldaer- und Weichselstraße gelegenes, rd. 168,5 m
tiefes Grundstück erworben, um darauf Geschäftsräume und
Wohnungen zu erbauen und dadurch die eigenen Geschäfts-
räume mietefrei zu erhalten und für ihre Kapitalien eine sich
gut verzinsende sichere Anlage zu finden. Als diesem Vor-
haben seitens der Aufsichtsbehörde die Genehmigung versagt
blieb, wurde das Grundstück in drei selbständige Grundstücke
zerlegt, von denen das an der Fuldaerstraße mit 162,17 Qua-
dratruten und das an der Weichselstraße mit 84,53 Quadrat-
ruten Fläche von der zu diesem Zweck begründeten Rixdorfer


Idealpassage in Rixdorf.
Grüner Hof (3).

Architekten: Willy & Paul Kind
in Rixdorf-Berlin.

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