1900
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 12
1. »Die Schatzkammer Pharaos« in Petra. Aufnahme von A. W. Kaiser.
Die Gräberstadt Petra.
Mit dem Vordringen der Eisenbahnen entschleiert uns das Morgen-
land allmählich seine Geheimnisse. Gegenden, in welche früher nur die
kühnsten Reisenden unter großen Entbehrungen vordringen konnten, deren
Bauwerke sie in nicht allzu getreuen Zeichnungen Wiedergaben, werden
heute verhältnismäßig leicht mit dem photographischen Apparat erreicht.
So gelangt man jetzt von der Mekkabahn aus in die alte Gräberstadt von
Petra durch einen achtstündigen Ritt. Einem solchen Ausflug verdanken
wir die folgenden, so überaus interessanten Lichtbilder der schönsten Grab-
fassaden. Im heiligen Lande wie in Syrien und Arabien war es Brauch
die Reichen in Felsengräbern zu bestatten. Zu äußerst lag ein Vorraum.
Auf diesen folgte die Grabkammer, welche durch eine steinerne Türplatte
gegen den Vorraum und die Außenwelt abgeschlossen wurde. In der Grab-
kammer war seitlich aus der Wand eine Nische gearbeitet, oft rundbogig,
die etwa 60 cm über dem Fußboden anfing und so eine Bank bildete, auf
welcher der Tote ruhte. Ein solches Felsengrab war auch das von Joseph
von Arimathäa, in welchem Christus bestattet wurde. Oft war diese Bank
auch trogartig ausgehöhlt. Sollte das Grab mehrere Tote bergen, dann
wurde der Raum für die Leichen nicht als flache Nische aus den Wänden
herausgearbeitet, sondern senkrecht in die Felsen hineingetrieben, als
Schiebegräber, Kokim.
Diese Grabkammern erhielten nach außen reiche Schauseiten, ja sie
wurden als ringsum freistehende Bauwerke aus der Felswand heraus-
gearbeitet. Berühmt wegen seiner großartigen Grabarchitekturen war Petra
seit langer Zeit. Aber aus den unzulänglichen Zeichnungen ließen sich die
Einzelheiten auch nicht annähernd beurteilen.
Das am sorgfältigsten ausgearbeitete und am besten erhaltene Grab
(oder Tempel?) (im Inneren ein Haupt- und drei Nebenräume) zeigt unsre
Abbildung 1. Die Beduinen nennen es »Die Schatzkammer Pharaos«. Es
stammt seinen Einzelheiten nach ersichtlich aus der Zeit Hadrians gegen
135 n. Chr., als die Römer auf der Stelle des vernichteten Jerusalems die
Aelia Hadriana aufführten. Kapitäle und Gesimse sehen aus, als ob sie
vor 30 Jahren in Deutschland gezeichnet und modelliert worden wären.
Ihm sehr ähnlich ist das in Petra hoch oben gelegene »Der«, das
Kloster, wie es die Beduinen nennen, Abbildung 2. Sämtliche Kapitäle
sind in Bossen vorgearbeitet stehen geblieben. Es zeigt eine für Palästina
eigenartige Verbindung des Pilasters mit einer Halbsäule an den Ecken,
welche auch in der Geburtskirche zu Bethlehem, die Konstantin der Große
errichten ließ, im großen Maßstabe Verwendung gefunden hat. Die Archi-
tekturen zu Petra sind der Abglanz jener Meisterwerke zu Heliopolis in
Syrien, welcher in dem barocken Rundtempelchen die gleiche Neigung der
Baumeister zu absonderlichen Umbildungen des alten klassischen Kanons
zeigt bei meisterhafter Ausbildung des Ornamentes, wie wir es besonders
am Tempel von Heliopolis sehen.
Abbildung 3 gibt den Überblick über eine ganze Gräberstraße. In
drei Geschossen übereinander türmt sich die eine Grabfassade auf; die
zweite zeigt wieder die Anordnung unsrer beiden ersten Abbildungen,
die nächste ist sogar mit hohen Staffelgiebeln bekrönt. In Abbildung 4
sehen wir ganz abweichende Versuche. Zu unterst sind zwei Fassaden
hintereinander gedacht, von denen die eine über die andre hervorragt.
Darüber sind Obelisken ausgemeißelt. Man sieht, auch hier strebte man
nach Abwechslung.
In Jerusalem selbst ist eine große Anzahl solcher Felsgräber erhalten:
das Grabmal des Josaphat mit dem davor stehenden zierlichen Grabtempel-
chen des Absalon am Fuße des Ölberges; das Grabmal der Benihezir,
2. Das sogenannte »Der« in Petra. Aufnahme von A. W. Kaiser.
eines Priestergeschlechts, das sich von Aaron herleitete, und des Zacharias;
das prunkvolle Grabmal der Königin Helena von Adiabene, die Königs-
gräber vor dem Damaskustor und ähnliche.
Das Ausarbeiten aus dem Felsen heraus war so gebräuchlich, daß
der Baumeister der hl. Grabeskirche in
3. Drei Gräber in Petra. Aufnahme von A. W. Kaiser in Jerusalem.
Jerusalem selbst für die unteren Teile
der Kirche dieses Verfahren anwendete.
Nach den Untersuchungen des Gra-
fen von Vogüe sind die Basen der Säulen
und Pfeiler des Rundbaues, welcher das
Heilige Grab umgibt, aus dem gewachse-
nen Felsen ausgearbeitet. (Melchior de
Vogüe, Les Eglises de la Terre sainte.
Paris 1860.) Ebenso hatte der Baumeister
Konstantins des Großen bei dem Bau der
Kirche das Grab Christi als freistehendes
Grabmal herausmeißeln lassen. Der untere
Teil viereckig, der obere rund, bekrönt
von einer hohen Endigung. Nach dem
Itinerarium des Antoninus von Piacenza
sah es wie eine Meta, eine Wendesäule
im Zirkus aus. So zeigt es auch noch
ein Elfenbeinrelief im Münchener Museum
und im British Museum. Auch den Stand-
platz des Kreuzes hatte der Baumeister
frei als einen Würfel von 5 m Höhe und
5 m Seitenlänge herausarbeiten lassen.
So ist er noch vorhanden. Der Platz für
das Längsschiff war so gewonnen wor-
den, daß der Fußboden des Mittelschiffes
1,90 m hoch über dem der Seitenschiffe
liegen blieb und seine Säulen unmittelbar
ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU
Heft 12
1. »Die Schatzkammer Pharaos« in Petra. Aufnahme von A. W. Kaiser.
Die Gräberstadt Petra.
Mit dem Vordringen der Eisenbahnen entschleiert uns das Morgen-
land allmählich seine Geheimnisse. Gegenden, in welche früher nur die
kühnsten Reisenden unter großen Entbehrungen vordringen konnten, deren
Bauwerke sie in nicht allzu getreuen Zeichnungen Wiedergaben, werden
heute verhältnismäßig leicht mit dem photographischen Apparat erreicht.
So gelangt man jetzt von der Mekkabahn aus in die alte Gräberstadt von
Petra durch einen achtstündigen Ritt. Einem solchen Ausflug verdanken
wir die folgenden, so überaus interessanten Lichtbilder der schönsten Grab-
fassaden. Im heiligen Lande wie in Syrien und Arabien war es Brauch
die Reichen in Felsengräbern zu bestatten. Zu äußerst lag ein Vorraum.
Auf diesen folgte die Grabkammer, welche durch eine steinerne Türplatte
gegen den Vorraum und die Außenwelt abgeschlossen wurde. In der Grab-
kammer war seitlich aus der Wand eine Nische gearbeitet, oft rundbogig,
die etwa 60 cm über dem Fußboden anfing und so eine Bank bildete, auf
welcher der Tote ruhte. Ein solches Felsengrab war auch das von Joseph
von Arimathäa, in welchem Christus bestattet wurde. Oft war diese Bank
auch trogartig ausgehöhlt. Sollte das Grab mehrere Tote bergen, dann
wurde der Raum für die Leichen nicht als flache Nische aus den Wänden
herausgearbeitet, sondern senkrecht in die Felsen hineingetrieben, als
Schiebegräber, Kokim.
Diese Grabkammern erhielten nach außen reiche Schauseiten, ja sie
wurden als ringsum freistehende Bauwerke aus der Felswand heraus-
gearbeitet. Berühmt wegen seiner großartigen Grabarchitekturen war Petra
seit langer Zeit. Aber aus den unzulänglichen Zeichnungen ließen sich die
Einzelheiten auch nicht annähernd beurteilen.
Das am sorgfältigsten ausgearbeitete und am besten erhaltene Grab
(oder Tempel?) (im Inneren ein Haupt- und drei Nebenräume) zeigt unsre
Abbildung 1. Die Beduinen nennen es »Die Schatzkammer Pharaos«. Es
stammt seinen Einzelheiten nach ersichtlich aus der Zeit Hadrians gegen
135 n. Chr., als die Römer auf der Stelle des vernichteten Jerusalems die
Aelia Hadriana aufführten. Kapitäle und Gesimse sehen aus, als ob sie
vor 30 Jahren in Deutschland gezeichnet und modelliert worden wären.
Ihm sehr ähnlich ist das in Petra hoch oben gelegene »Der«, das
Kloster, wie es die Beduinen nennen, Abbildung 2. Sämtliche Kapitäle
sind in Bossen vorgearbeitet stehen geblieben. Es zeigt eine für Palästina
eigenartige Verbindung des Pilasters mit einer Halbsäule an den Ecken,
welche auch in der Geburtskirche zu Bethlehem, die Konstantin der Große
errichten ließ, im großen Maßstabe Verwendung gefunden hat. Die Archi-
tekturen zu Petra sind der Abglanz jener Meisterwerke zu Heliopolis in
Syrien, welcher in dem barocken Rundtempelchen die gleiche Neigung der
Baumeister zu absonderlichen Umbildungen des alten klassischen Kanons
zeigt bei meisterhafter Ausbildung des Ornamentes, wie wir es besonders
am Tempel von Heliopolis sehen.
Abbildung 3 gibt den Überblick über eine ganze Gräberstraße. In
drei Geschossen übereinander türmt sich die eine Grabfassade auf; die
zweite zeigt wieder die Anordnung unsrer beiden ersten Abbildungen,
die nächste ist sogar mit hohen Staffelgiebeln bekrönt. In Abbildung 4
sehen wir ganz abweichende Versuche. Zu unterst sind zwei Fassaden
hintereinander gedacht, von denen die eine über die andre hervorragt.
Darüber sind Obelisken ausgemeißelt. Man sieht, auch hier strebte man
nach Abwechslung.
In Jerusalem selbst ist eine große Anzahl solcher Felsgräber erhalten:
das Grabmal des Josaphat mit dem davor stehenden zierlichen Grabtempel-
chen des Absalon am Fuße des Ölberges; das Grabmal der Benihezir,
2. Das sogenannte »Der« in Petra. Aufnahme von A. W. Kaiser.
eines Priestergeschlechts, das sich von Aaron herleitete, und des Zacharias;
das prunkvolle Grabmal der Königin Helena von Adiabene, die Königs-
gräber vor dem Damaskustor und ähnliche.
Das Ausarbeiten aus dem Felsen heraus war so gebräuchlich, daß
der Baumeister der hl. Grabeskirche in
3. Drei Gräber in Petra. Aufnahme von A. W. Kaiser in Jerusalem.
Jerusalem selbst für die unteren Teile
der Kirche dieses Verfahren anwendete.
Nach den Untersuchungen des Gra-
fen von Vogüe sind die Basen der Säulen
und Pfeiler des Rundbaues, welcher das
Heilige Grab umgibt, aus dem gewachse-
nen Felsen ausgearbeitet. (Melchior de
Vogüe, Les Eglises de la Terre sainte.
Paris 1860.) Ebenso hatte der Baumeister
Konstantins des Großen bei dem Bau der
Kirche das Grab Christi als freistehendes
Grabmal herausmeißeln lassen. Der untere
Teil viereckig, der obere rund, bekrönt
von einer hohen Endigung. Nach dem
Itinerarium des Antoninus von Piacenza
sah es wie eine Meta, eine Wendesäule
im Zirkus aus. So zeigt es auch noch
ein Elfenbeinrelief im Münchener Museum
und im British Museum. Auch den Stand-
platz des Kreuzes hatte der Baumeister
frei als einen Würfel von 5 m Höhe und
5 m Seitenlänge herausarbeiten lassen.
So ist er noch vorhanden. Der Platz für
das Längsschiff war so gewonnen wor-
den, daß der Fußboden des Mittelschiffes
1,90 m hoch über dem der Seitenschiffe
liegen blieb und seine Säulen unmittelbar