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Der Tempel und das Meer

SIELCUK

macht hatten. Heute spielen Arbeiten zu
diesem Themenkreis in der Fachliteratur
eine wichtige Rolle. In der neueren ame-
rikanischen Archäologie (der sog. «New
Archaeology»), die der Umwelt für ar-
chäologische Fragestellungen einen wich-
tigen, oft sogar entscheidenden Beitrag
zugesteht, ist diese Problemstellung zu
einem der wesentlichen Programm-
punkte geworden.

Die historische Geographie von Ephe-
sos ist durch die Lage der Stadt an der
Küste einerseits und am unteren Delta des
Kaysterflusses andererseits charakteri-
siert. Durch diese Küstenlage werden die
säkularen (langzeitlichen) Meeresspie-
gelschwankungen wirksam, und im Delta
selbst spielen Erosion, Verlandung und
der Grundwasserspiegel eine Rolle. Das
Kaysterdelta ist heute einerseits hoch und
weit verschüttet, andererseits liegen An-
lagen wie z. B. das Artemision mehrere
Meter unter dem Grundwasserspiegel.

Die säkularen Meeresspiegelschwan-
kungen haben die kleinasiatische Küste
weithin gekennzeichnet. Sie sind die
Folge sowohl großer Klimaschwankun-
gen als auch räumlich begrenzter tektoni-
scher Veränderungen (Veränderungen der
Erdkruste). Seit etwa 20000 Jahren ist
ein globaler Temperaturanstieg nach-
weisbar, was zur Folge hatte, daß an den

Polen das Eis abschmolz und der Meeres-
spiegel durchgängig um etwa 100 m an-
stieg. Dieser Vorgang bewirkte ein lang-
sames Absinken des Küstenstriches
Westkleinasiens in die Ägäis. Lesbos,
Chios und Samos, noch bis etwa 9000
v. Chr. mit dem kleinasiatischen Festland
verbunden, wurden zu Inseln. Noch im
frühen Neolithikum (etwa um 9000
v. Chr.) konnte man zu Fuß von Ephesos
nach Samos gelangen.

Dieses Ansteigen des Meeresspiegels
bzw. der Temperaturen fand in der Spät-
bronzezeit, gegen Ende der mykenischen
Zeit, ein jähes Ende. Hier setzte eine
relative Kälteperiode ein. In archaischer
und klassischer Zeit erwärmt sich das
Klima erneut und erreicht offenbar im
4. Jh. v. Chr. wieder ein Maximum (Abb.
17). Für die historische Zeit lassen
sich durch die Überschwemmungen von
Bauanlagen im Küstenbereich Klein-
asiens Werte aufstellen, die in zwei Fak-
toren aufgegliedert werden können:
einen eustatischen Faktor (Veränderun-
gen des Meeresspiegels) und einen loka-
len, tektonischen Faktor. Die Messungen
bestätigen, daß der Meeresspiegel seit rö-
mischer Zeit um ein bis zwei Meter ge-
stiegen ist, aus diesem Grunde liegen
viele antike Ruinen an der kleinasiati-
schen Küste unter Wasser.

Ökologische Veränderungen

Während für das Steigen und Fallen des
Meeresspiegels der Mensch als Verursa-
cher nicht in Betracht kommt, existieren
aber sehr wohl anthropogene Ursachen
für die Verlandung eines Deltas, wie sie
z.B. durch Rodung, künstliche Bewässe-
rung und landwirtschaftliche Bodennut-
zung verursacht wird. So haben die Del-
taforschungen der letzten Jahrzehnte ge-
zeigt, daß es zwei Perioden gab, in
welchen Erdanschwemmungen im Mit-
telmeergebiet sehr hoch waren: der eine
Abschnitt gehört der prähistorischen Zeit
an, der andere den letzten tausend
Jahren.

Die Verschüttung der ephesischen
Ebene, wie sie am Artemision ablesbar
ist, stammt aus der zweiten Periode
(Abb. 18). Dies bestätigt sich u. a. durch
eine 14C-Untersuchung von Holzresten
über den Fundamenten im Artemision,
die um 800 n. Chr. datiert werden können
und damit einer Zeit angehören, in der
das Gelände offenbar noch vollständig
begehbar war.

Die in die Ägäis mündenden Flüsse
Westkleinasiens ergießen sich an Flach-
küsten; daher besteht die Tendenz, am
unteren Lauf Sedimente abzulagern,
wobei nur die feinsten Teile des mittrans-
 
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