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Das Land Arzawa

27

Neue prähistorische Funde
der letzten Grabungskampagnen

Die ältesten Funde des ephesischen Ge-
biets wurden im Frühjahr 1995 östlich
des Magnesischen Tores, dem Stadttor
der lysimachischen Mauer, an der Straße
nach Aydin auf einem sich nur unschein-
bar über die Ebene erhebenden Tell ge-
macht. Es handelt sich dabei um die
Überreste von Lehmziegelmauern sowie
um Obsidian- und Keramikfunde, die
chronologisch bis ins Neolithikum zu-
rückreichen.

Die Grabbeigaben von Ayasoluk stam-
men aus derselben Epoche wie jene eines
Brandhorizontes aus Milet, der in der
Siedlung um den Athenatempel angetrof-
fen worden ist. Diese Zerstörungsschicht
ist in dieselbe Zeit zu datieren wie der
Kriegszug des Hethiterkönigs Mursili
II., nämlich um 1337 v. Chr. Man darf
vielleicht annehmen, daß das Grab von
Ayasoluk mit den Kriegswirren jener
Zeit etwas zu tun hat. Aber nicht nur die
Mykener waren an Arzawa interessiert,
sondern vor allem die Hethiter, die ihre
Macht auf Anatolien auszudehnen ver-
suchten.

Das Land Arzawa

Von den meisten Forschern wird ange-
nommen, daß das Königreich Arzawa im
Gebiet von Ionien und Lydien lag. Seine
Hauptstadt Apasa könnte mit dem heuti-
gen Ephesos identisch sein. Welche Ursa-
chen für das Vordringen der Hethiter aus
dem Zentrum Anatoliens in das luwische
Arzawa an der Küste lassen sich noch an-
führen? Manche Gelehrte nahmen an,
daß die Gewinnung neuer Rohstoffbasen,
wie Erzlager, eine entscheidende Moti-
vation gewesen sein könnte. Dies wird
aber von anderen mit dem Hinweis be-
stritten, daß gerade in Westanatolien zu
dieser Zeit kaum Rohstofflager erschlos-
sen worden sind. Sowohl die allmähliche
Klimaverschlechterung während der
Bronzezeit als auch eine rapide klimati-
sche Verschlechterung in der Spätbron-
zezeit hatten Einfluß auf die Veränderung
der Wirtschaftstrukturen. Völker aus den
kalten Zonen, wie etwa aus Zentralanato-
lien drängten in die wärmeren Küstenge-
biete nach. Mit dem Landzuwachs in Kü-
stennähe konnten auch der Seefahrt un-
kundige Völkergruppen über neue
Landbrücken zu fruchtbaren Gebieten
gelangen. Andererseits kann eine Desta-
bilisierung des ökologischen Gleichge-
wichtes zu einem Zusammenbruch des
Sozialsystems und der Sozialstruktur

führen, wie dies offenbar in jener Zeit
mit der mykenischen und auch hethiti-
schen Kultur geschehen ist.

Das Problem vieler Städte Ioniens war,
daß sich zwar aus schriftlichen Quellen
sowohl eine Besiedlung durch Mykener
als auch durch ionische Griechen er-
schließen ließ, eine dementsprechende
archäologische Evidenz bislang aber nur
für Milet und Iasos gegeben war. Das
Problem lag aber nicht nur in der Besie-
delung seit der Bronzezeit an sich, son-
dern darin, ob man auch für bestimmte
Anlagen, insbesondere Heiligtümer, eine
Kontinuität von der Bronze- zur Eisenzeit
nachweisen könne.

Die Entdeckung der Bronzezeit im
Artemision und in seiner Umgebung

Die Grabungen der letzten Jahre in der
Zentralbasis des Artemisions und im Ost-
bereich des Tempelhofes haben eine The-
matik immer mehr in das Zentrum der
Überlegungen gerückt: Gibt es eine
bronzezeitliche Vergangenheit im Arte-
mision? Bereits die Grabungen im Hof
des Peripteros und östlich von diesem
hatten mykenische Keramik und Tier-
idole (Abb. 22) in den Tiefsondagen zu-
tage gebracht. 1993 kamen dann bei Gra-
bungen im Ostbereich des Tempelhofes
auch andere Objekte zutage, so ein gro-
ßer Terrakottakopf (Abb. 23), vergleich-
bar dem sog. «Lord of Asine» - heute

aufbewahrt im Museum von Nauplia auf
der Peloponnes eine Doppelaxt aus
Bronze (Abb. 24), ein Gesichtsfragment
aus Terrakotta und ein sog. Brustwarzen-
gefäß. Diese Funde geben Hinweise dar-
auf, daß es sich bei den Resten mykeni-
scher Bebauung unterhalb des Artemi-
sions nicht um eine Siedlung handelt,
sondern um eine Kultstätte. Die Doppel-
axt ist vielleicht sogar minoisch und
stammt aus der älteren Palastzeit.

Mykenische Kultstätten sind bekann-
termaßen archäologisch schwer zu fas-
sen, handelt es sich dabei doch oft um
Naturmale, einen Stein, eine Quelle,
einen Baum. Obwohl man sich aus diesen
Gründen nicht der Illusion hingeben darf,
zwischen und unterhalb der massiven
archaischen und klassischen Verbauung
im Artemision eine mykenische Kult-
stätte anzutreffen, ist deren Existenz jetzt
aber doch greifbarer geworden. Bereits
1993, aber ganz deutlich 1994 wurde eine
Stützmauer angetroffen, die sich von
allen übrigen Baustrukturen des eisen-
zeitlichen Artemisions unterscheidet. Es
handelt sich um eine Mauer, nach Osten
unten verbreitert, die aus eher rundlichen
großen Steinen besteht, im Gegensatz zu
den immer lagerhaft bearbeiteten Steinen
des Artemisions. Außerdem bestehen
diese gedrungenen Steine nicht aus Kalk-
mergel, sondern vielfach aus Quarz und
anderem Gestein, das vor allem in den
Bergen östlich von Selguk vorkommt.
Eindeutig mit der Mauer korrelierbare
 
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