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Religionspolitik im Artemision
tischem Sinne. Kultstätten waren näm-
lich in dieser Zeit die Identifikations-
merkmale von Clanen oder Großfami-
lien, wie uns Herodot (V 66) berichtet
(s.o. S. 40). Gerade dieses System der
Clane wollte Kroisos zerschlagen, da
diese einerseits seinen Vorstellungen von
einem lydischen Großreich im Wege
standen, andererseits ihr religiöser Sepa-
ratismus das Entstehen eines gemeinsa-
men religiös-politischen Symbols, das
die Göttin Artemis und ihr Großtempel
sein sollte, behinderte.
Tempel C und Hekatompedos
Bei zweien der oben erwähnten Heilig-
tümer - dem Tempel C und dem Heka-
tompedos, um die es im folgenden gehen
soll - ist es besonders auffällig, daß sie
durch die Aktivitäten des Kroisos zum
Untergang verdammt wurden. Beide
waren - im Vergleich zu den übrigen frü-
hen Kultstätten - besonders groß und
daher auch hervorragend geeignet, Kroi-
sos herauszufordern.
Herodot hat die Lyder als eine Dyna-
stie der großen Männer beschrieben, und
die Mentalität dieser «großen Männer»
ging noch vor einigen Jahrzehnten in
viele archäologische Arbeiten ein. Aber
schon aus Herodot geht hervor, daß
gegen Ende der lydischen Dynastie die
Zeit der großen Könige vorbei war. Das
Sagen hatten bereits die lydischen Händ-
ler und Kaufleute. Bereits Pantaleon, der
Halbbruder des Kroisos, wurde vom
Kaufmann Sadyattes finanziert, und
Kroisos selbst opferte den Sadyattes der
ephesischen Artemis, und zwar sowohl
dessen Person als auch dessen Vermögen
(vgl. o.S. 43). Kroisos hat sich zwar
vielleicht damit noch einmal gegen das
neue Zeitalter gewehrt, aber symbolisch
auch mit diesem Opfer eine neue Zeit ein-
geläutet. Wenn hier also von Kroisos die
Rede ist, so ist dies nicht personalisiert zu
sehen, sondern es ist die neue Gesell-
schaftsschicht im lydisch-ionischen Ge-
biet gemeint, die, durch Handel und
Handwerk reich geworden, sowohl neue
Märkte als auch neue Identitäten suchte.
Tempel C
In den Jahren 1904 und 1905 grub D. G.
Hogarth in der Zentralbasis des Artemi-
sions ein Gebäude aus, das er Tempel C
nannte. Nach seiner Terminologie war
dieser Bau der Nachfolger der Tempel A
und B, die ebenfalls in der sog. Zentral-
basis liegen (vgl. o. S. 33). Über Tempel C
hat Hogarth die treffendsten seiner Aus-
sagen gemacht. Es handelt sich um ein
rechteckiges Gebäude, welches an seiner
Westseite Anten aufweist. Seine Gesamt-
länge mißt etwa 33,30 m. Die Breite läßt
sich durch die bei der südlichen Ante er-
haltene Aufschnürungslinie mit 16, 35 m
ermitteln. Die lichte Breite des Innenrau-
mes läßt sich mit 15,33 m errechnen, die
lichte Länge des aufgehenden Tempels C
mißt 28,481 m (Abb. 43, 44).
Im Osten des Tempels C verläuft eine
parallele Mauer aus Kalkmergelsteinen.
Mit ihr ist wahrscheinlich das Fundament
einer Vorhalle erhalten. In einer tiefgele-
genen Aufschüttung unterhalb dieser
Parallelmauer wurden an zwei Stellen die
beiden Bronzegürtel (siehe u. S. 78) ge-
funden. Vermutlich ist der Bau des Tem-
pels C in noch unfertigem Zustand einge-
stellt worden, als man mit dem Bau des
Kroisostempels begann (Abb. 33, 34).
Der Hekatompedos
Bereits Hogarth und Henderson fanden
bei ihren Grabungen an der Westseite des
Artemisions Überreste einer Anlage, die
sie nicht näher zu deuten wußten, zeitlich
aber mit dem Tempel C in Zusammen-
hang brachten. Hogarth lieferte einen
sehr genauen Befund, der in fast unverän-
derter Form bei den Grabungen im Jahre
1979 bestätigt werden konnte. In einem
Punkt irrte Hogarth allerdings: Die Mau-
erreste sind nicht aus gelbem Kalkstein,
sondern aus Marmor. Eine Marmor-
schwelle befindet sich in ihrer ursprüng-
lichen Lage an der Ostflanke des recht-
eckigen Fundamentes aus auffällig klei-
nen gelben Kalkmergelbruchsteinen, das
direkt vor der Westseite des archaischen
Tempels liegt. Seine Länge von 34,40 m
entspricht fast genau hundert ionischen
Fuß (ein ionischer Fuß mißt 0,34 m),
wofür der aus antiken Quellen bekannte
Begriff «Hekatompedos» verwendet wer-
den kann.
Der Bau ist 16,0 m breit und liegt um
0,40 m aus der Achse des Kroisostempels
nach Norden verschoben. Er weist zwei
breite, antenförmige Verstärkungen an
beiden Südecken sowie schmälere an den
Nordecken auf, von denen die östliche
aber zerstört ist (Abb. 45). Da das Bau-
werk damit praktisch in der Achse des
Kroisostempels, genau quer vor dessen
westlichem Eingang liegt, könnte man
das Fundament als das eines großen Alta-
res für den archaischen Tempel bezeich-
nen. Der Hekatompedos muß aber älter
als der archaische Tempel sein, wie aus
der Stratigraphie zwischen Hekatompe-
dos und Kroisostempel hervorgeht, da
ein Pflaster aus Kalkmergel, das baulich
dem Hekatompedos eingegliedert war,
durch eine deutliche Erdschicht getrennt,
unter dem Kroisostempel hindurchläuft.
Es wäre daher eher zu überlegen, ob
der Hekatompedos der Altar des Tempels
C sein kann. Beide gehören zeitlich zu-
sammen, und beide sind offenbar unvoll-
endet aufgegeben worden. Der Marmor-
aufbau des Hekatompedos verschwand
buchstäblich in den Fundamenten des
Kroisostempels (Abb. 45). Gegen eine
Zusammengehörigkeit von Hekatompe-
dos und Tempel C mit Altar und Tempel
spricht aber, daß beide fast 50 m vonein-
ander entfernt liegen und daß beide etwa
die gleichen Dimensionen aufwiesen.
Man kann daher eine Identifikation des
Hekatompedos mit dem literarisch er-
wähnten Apollontempel in Erwägung
ziehen.
Nicht unwichtig ist, daß der Hekatom-
pedos im Gegensatz zum Kroisostempel
eine Nord-Süd-Orientierung aufwies, ge-
nauso wie auch die drei frühen Anlagen
im Inneren des Altarhofes. Es gab offen-
bar im Areal des Artemisions Heilig-
tümer, deren Kultrichtung eine andere
war als jene der Heiligtümer in der Zen-
tralbasis. Da die Kultrichtung wahr-
scheinlich mit den Gestirnen zusammen-
hing, sind hiermit auch uns heute noch
wenig bekannte Zusammenhänge von
Kult und Astronomie gegeben. Da die
beiden Richtungen aber genau im rechten
Winkel zueinander standen, sind die
Kultrichtungen nicht als willkürlich an-
zusehen.
Die beiden Bauwerke, Hekatompedos
und Tempel C, waren von einer Größen-
ordnung und zentralen Lage, die ihnen
nicht nur eine religiöse, sondern auch
politische Bedeutung verlieh. Einer von
ihnen könnte der bei Suda erwähnte, von
Pythagoras gestiftete Tempel gewesen
sein. Es ist bezeichnend für das Vorgehen
des Kroisos, daß er gerade diejenigen
Heiligtümer zerstören wollte, deren Bau
von seinen politischen Gegnern initiiert
worden war. Im Artemisionareal zeigt
sich, daß einmal vorhandene Weihe- und
Kultstätten durchaus nicht immer ihren
Platz behaupten. Die Stellen dagegen, an
denen zwar ebenfalls ältere Anlagen zer-
stört wurden, diese aber teilweise in neue
Kultbauten integriert wurden, sind der
Platz des Naiskos im Tempelhof und die
dreibasige Anlage im Altarhof im We-
sten. Hier war offenbar Interesse an einer
Kontinuität und Tradition vorhanden.
Sonst aber wurden mit einer Radikalität,
die ihresgleichen sucht, die älteren reli-
giösen Stätten ausgelöscht.
Religionspolitik im Artemision
tischem Sinne. Kultstätten waren näm-
lich in dieser Zeit die Identifikations-
merkmale von Clanen oder Großfami-
lien, wie uns Herodot (V 66) berichtet
(s.o. S. 40). Gerade dieses System der
Clane wollte Kroisos zerschlagen, da
diese einerseits seinen Vorstellungen von
einem lydischen Großreich im Wege
standen, andererseits ihr religiöser Sepa-
ratismus das Entstehen eines gemeinsa-
men religiös-politischen Symbols, das
die Göttin Artemis und ihr Großtempel
sein sollte, behinderte.
Tempel C und Hekatompedos
Bei zweien der oben erwähnten Heilig-
tümer - dem Tempel C und dem Heka-
tompedos, um die es im folgenden gehen
soll - ist es besonders auffällig, daß sie
durch die Aktivitäten des Kroisos zum
Untergang verdammt wurden. Beide
waren - im Vergleich zu den übrigen frü-
hen Kultstätten - besonders groß und
daher auch hervorragend geeignet, Kroi-
sos herauszufordern.
Herodot hat die Lyder als eine Dyna-
stie der großen Männer beschrieben, und
die Mentalität dieser «großen Männer»
ging noch vor einigen Jahrzehnten in
viele archäologische Arbeiten ein. Aber
schon aus Herodot geht hervor, daß
gegen Ende der lydischen Dynastie die
Zeit der großen Könige vorbei war. Das
Sagen hatten bereits die lydischen Händ-
ler und Kaufleute. Bereits Pantaleon, der
Halbbruder des Kroisos, wurde vom
Kaufmann Sadyattes finanziert, und
Kroisos selbst opferte den Sadyattes der
ephesischen Artemis, und zwar sowohl
dessen Person als auch dessen Vermögen
(vgl. o.S. 43). Kroisos hat sich zwar
vielleicht damit noch einmal gegen das
neue Zeitalter gewehrt, aber symbolisch
auch mit diesem Opfer eine neue Zeit ein-
geläutet. Wenn hier also von Kroisos die
Rede ist, so ist dies nicht personalisiert zu
sehen, sondern es ist die neue Gesell-
schaftsschicht im lydisch-ionischen Ge-
biet gemeint, die, durch Handel und
Handwerk reich geworden, sowohl neue
Märkte als auch neue Identitäten suchte.
Tempel C
In den Jahren 1904 und 1905 grub D. G.
Hogarth in der Zentralbasis des Artemi-
sions ein Gebäude aus, das er Tempel C
nannte. Nach seiner Terminologie war
dieser Bau der Nachfolger der Tempel A
und B, die ebenfalls in der sog. Zentral-
basis liegen (vgl. o. S. 33). Über Tempel C
hat Hogarth die treffendsten seiner Aus-
sagen gemacht. Es handelt sich um ein
rechteckiges Gebäude, welches an seiner
Westseite Anten aufweist. Seine Gesamt-
länge mißt etwa 33,30 m. Die Breite läßt
sich durch die bei der südlichen Ante er-
haltene Aufschnürungslinie mit 16, 35 m
ermitteln. Die lichte Breite des Innenrau-
mes läßt sich mit 15,33 m errechnen, die
lichte Länge des aufgehenden Tempels C
mißt 28,481 m (Abb. 43, 44).
Im Osten des Tempels C verläuft eine
parallele Mauer aus Kalkmergelsteinen.
Mit ihr ist wahrscheinlich das Fundament
einer Vorhalle erhalten. In einer tiefgele-
genen Aufschüttung unterhalb dieser
Parallelmauer wurden an zwei Stellen die
beiden Bronzegürtel (siehe u. S. 78) ge-
funden. Vermutlich ist der Bau des Tem-
pels C in noch unfertigem Zustand einge-
stellt worden, als man mit dem Bau des
Kroisostempels begann (Abb. 33, 34).
Der Hekatompedos
Bereits Hogarth und Henderson fanden
bei ihren Grabungen an der Westseite des
Artemisions Überreste einer Anlage, die
sie nicht näher zu deuten wußten, zeitlich
aber mit dem Tempel C in Zusammen-
hang brachten. Hogarth lieferte einen
sehr genauen Befund, der in fast unverän-
derter Form bei den Grabungen im Jahre
1979 bestätigt werden konnte. In einem
Punkt irrte Hogarth allerdings: Die Mau-
erreste sind nicht aus gelbem Kalkstein,
sondern aus Marmor. Eine Marmor-
schwelle befindet sich in ihrer ursprüng-
lichen Lage an der Ostflanke des recht-
eckigen Fundamentes aus auffällig klei-
nen gelben Kalkmergelbruchsteinen, das
direkt vor der Westseite des archaischen
Tempels liegt. Seine Länge von 34,40 m
entspricht fast genau hundert ionischen
Fuß (ein ionischer Fuß mißt 0,34 m),
wofür der aus antiken Quellen bekannte
Begriff «Hekatompedos» verwendet wer-
den kann.
Der Bau ist 16,0 m breit und liegt um
0,40 m aus der Achse des Kroisostempels
nach Norden verschoben. Er weist zwei
breite, antenförmige Verstärkungen an
beiden Südecken sowie schmälere an den
Nordecken auf, von denen die östliche
aber zerstört ist (Abb. 45). Da das Bau-
werk damit praktisch in der Achse des
Kroisostempels, genau quer vor dessen
westlichem Eingang liegt, könnte man
das Fundament als das eines großen Alta-
res für den archaischen Tempel bezeich-
nen. Der Hekatompedos muß aber älter
als der archaische Tempel sein, wie aus
der Stratigraphie zwischen Hekatompe-
dos und Kroisostempel hervorgeht, da
ein Pflaster aus Kalkmergel, das baulich
dem Hekatompedos eingegliedert war,
durch eine deutliche Erdschicht getrennt,
unter dem Kroisostempel hindurchläuft.
Es wäre daher eher zu überlegen, ob
der Hekatompedos der Altar des Tempels
C sein kann. Beide gehören zeitlich zu-
sammen, und beide sind offenbar unvoll-
endet aufgegeben worden. Der Marmor-
aufbau des Hekatompedos verschwand
buchstäblich in den Fundamenten des
Kroisostempels (Abb. 45). Gegen eine
Zusammengehörigkeit von Hekatompe-
dos und Tempel C mit Altar und Tempel
spricht aber, daß beide fast 50 m vonein-
ander entfernt liegen und daß beide etwa
die gleichen Dimensionen aufwiesen.
Man kann daher eine Identifikation des
Hekatompedos mit dem literarisch er-
wähnten Apollontempel in Erwägung
ziehen.
Nicht unwichtig ist, daß der Hekatom-
pedos im Gegensatz zum Kroisostempel
eine Nord-Süd-Orientierung aufwies, ge-
nauso wie auch die drei frühen Anlagen
im Inneren des Altarhofes. Es gab offen-
bar im Areal des Artemisions Heilig-
tümer, deren Kultrichtung eine andere
war als jene der Heiligtümer in der Zen-
tralbasis. Da die Kultrichtung wahr-
scheinlich mit den Gestirnen zusammen-
hing, sind hiermit auch uns heute noch
wenig bekannte Zusammenhänge von
Kult und Astronomie gegeben. Da die
beiden Richtungen aber genau im rechten
Winkel zueinander standen, sind die
Kultrichtungen nicht als willkürlich an-
zusehen.
Die beiden Bauwerke, Hekatompedos
und Tempel C, waren von einer Größen-
ordnung und zentralen Lage, die ihnen
nicht nur eine religiöse, sondern auch
politische Bedeutung verlieh. Einer von
ihnen könnte der bei Suda erwähnte, von
Pythagoras gestiftete Tempel gewesen
sein. Es ist bezeichnend für das Vorgehen
des Kroisos, daß er gerade diejenigen
Heiligtümer zerstören wollte, deren Bau
von seinen politischen Gegnern initiiert
worden war. Im Artemisionareal zeigt
sich, daß einmal vorhandene Weihe- und
Kultstätten durchaus nicht immer ihren
Platz behaupten. Die Stellen dagegen, an
denen zwar ebenfalls ältere Anlagen zer-
stört wurden, diese aber teilweise in neue
Kultbauten integriert wurden, sind der
Platz des Naiskos im Tempelhof und die
dreibasige Anlage im Altarhof im We-
sten. Hier war offenbar Interesse an einer
Kontinuität und Tradition vorhanden.
Sonst aber wurden mit einer Radikalität,
die ihresgleichen sucht, die älteren reli-
giösen Stätten ausgelöscht.