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Der Sieg des Marmors
Gewicht der immerhin 60 m langen und
etwa 7 m hohen Giebel verringern. Inter-
essant ist in diesem Zusammenhang das
eingangs angeführte Zitat des Plinius,
hier erscheint die Göttin nachts dem Ar-
chitekten und versetzt den Stein selbst.
Beide Motive kommen bei unserer mo-
dernen Interpretation des Giebels vor:
sowohl die Epiphanie, die Erscheinung
der Göttin als auch die Tür.
Die Säulenhöhe läßt sich unter Zuhilfe-
nahme literarischer Quellen (Plinius,
n.h. XXXVI21, 95) und mit den erhalte-
nen Säulenfragmenten auf etwa 18,40 m
rekonstruieren. In den Jahren 1970-1973
wurde versucht, auf den erhaltenen Fun-
damenten an der Nordseite eine Säule
wiederaufzubauen. Die Bruchstellen wur-
den dabei mit Beton ausgefüllt, um die
Standfestigkeit zu gewährleisten. 4 m
unter der theoretischen Höhe wurden die
Rekonstruktionsarbeiten wegen der Ge-
fährlichkeit des Unternehmens abgebro-
chen. Die so gestaltete Rekonstruktion
wird zur modernen Plastik, die nicht
künstlich naiv sein will, sondern Vergan-
genes und Gegenwärtiges dialektisch
verknüpft (Abb. 2).
Parallel zu den Längsseiten der Sekos-
wände liefen im Inneren Fundamente,
welche zu Hallen gehört haben dürften.
Der östliche Teil des Hofes war auch im
Inneren von blauen Fundamentsteinen
des 4. Jhs. durchzogen, so daß man an-
nehmen muß, daß im Ostbereich der Hof
mit Räumen überdacht war.
Die «Ionische Renaissance» und die
Philosophie der Atomisten
Erst kürzlich wurde das Phänomen der
«Ionischen Renaissance» neu themati-
siert. Dieses setzt im 4. Jh. v. Chr. mit
dem Bau des Mausoleums von Halikar-
naß im westlichen Kleinasien ein. Es
hieße jedoch die Architektur dieser Zeit
mißverstehen, wollte man sie allein als
Erneuerung der altionischen Bauvorstel-
lungen mit Hilfe der festlandgriechischen
Formensprache erklären, denn sie ist
auch ein Ergebnis der vorsokratischen
Namrphilosophie. Der Weg dazu wurde
u. a. durch Xenophanes von Kolophon
und Anaxagoras von Klazomenai vorbe-
reitet; beide versuchten, die Vorstel-
lungswelt ihrer Zeitgenossen zu entmytho-
logisieren.
Wenn die Kühe Hände hätten, würden
sie kuhähnliche Götter malen», spottete
der eine, und «Die Sonne ist nicht ein
Gott, sondern ein glühender Stein», sagte
der andere. Am deutlichsten formuliert
findet sich die Vorstellung, die Welt
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Der Sieg des Marmors
Gewicht der immerhin 60 m langen und
etwa 7 m hohen Giebel verringern. Inter-
essant ist in diesem Zusammenhang das
eingangs angeführte Zitat des Plinius,
hier erscheint die Göttin nachts dem Ar-
chitekten und versetzt den Stein selbst.
Beide Motive kommen bei unserer mo-
dernen Interpretation des Giebels vor:
sowohl die Epiphanie, die Erscheinung
der Göttin als auch die Tür.
Die Säulenhöhe läßt sich unter Zuhilfe-
nahme literarischer Quellen (Plinius,
n.h. XXXVI21, 95) und mit den erhalte-
nen Säulenfragmenten auf etwa 18,40 m
rekonstruieren. In den Jahren 1970-1973
wurde versucht, auf den erhaltenen Fun-
damenten an der Nordseite eine Säule
wiederaufzubauen. Die Bruchstellen wur-
den dabei mit Beton ausgefüllt, um die
Standfestigkeit zu gewährleisten. 4 m
unter der theoretischen Höhe wurden die
Rekonstruktionsarbeiten wegen der Ge-
fährlichkeit des Unternehmens abgebro-
chen. Die so gestaltete Rekonstruktion
wird zur modernen Plastik, die nicht
künstlich naiv sein will, sondern Vergan-
genes und Gegenwärtiges dialektisch
verknüpft (Abb. 2).
Parallel zu den Längsseiten der Sekos-
wände liefen im Inneren Fundamente,
welche zu Hallen gehört haben dürften.
Der östliche Teil des Hofes war auch im
Inneren von blauen Fundamentsteinen
des 4. Jhs. durchzogen, so daß man an-
nehmen muß, daß im Ostbereich der Hof
mit Räumen überdacht war.
Die «Ionische Renaissance» und die
Philosophie der Atomisten
Erst kürzlich wurde das Phänomen der
«Ionischen Renaissance» neu themati-
siert. Dieses setzt im 4. Jh. v. Chr. mit
dem Bau des Mausoleums von Halikar-
naß im westlichen Kleinasien ein. Es
hieße jedoch die Architektur dieser Zeit
mißverstehen, wollte man sie allein als
Erneuerung der altionischen Bauvorstel-
lungen mit Hilfe der festlandgriechischen
Formensprache erklären, denn sie ist
auch ein Ergebnis der vorsokratischen
Namrphilosophie. Der Weg dazu wurde
u. a. durch Xenophanes von Kolophon
und Anaxagoras von Klazomenai vorbe-
reitet; beide versuchten, die Vorstel-
lungswelt ihrer Zeitgenossen zu entmytho-
logisieren.
Wenn die Kühe Hände hätten, würden
sie kuhähnliche Götter malen», spottete
der eine, und «Die Sonne ist nicht ein
Gott, sondern ein glühender Stein», sagte
der andere. Am deutlichsten formuliert
findet sich die Vorstellung, die Welt
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