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Bernstein, Gold, Elfenbein

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Göttin Kybele verbunden sein. Gegen-
satz und Durchdringung dieser beiden
Aspekte machen das Wesen der geome-
trischen und orientalisierenden Kunst im
Artemision aus.

Unter den verwendeten Materialien
gibt es solche, die von vornherein nur
von auswärts kommen können, wie Bern-
stein und Elfenbein, bei dem Material
Gold ist es dagegen wahrscheinlich, daß
es aus Sardes kam. Die bislang behandel-
ten Funde und ihre Themen sind einer
biologischen und mythologischen Vor-
stellung entlehnt, über die Macht und den
Sinn von Lebewesen, Tieren, Pflanzen
und deren Mythen. Im Westen Klein-
asiens entstand aber jetzt eine neue Denk-
weise, welche viel abstrakter orientiert
ist und Macht und Schönheit anders er-
klären möchte. Dazu gehört ein neues
Material, das Gold.

Das Gold der Lyder

Der Lyderkönig Kroisos ist durch seinen
sagenhaften Reichtum auch heute eine
der historisch bekanntesten Persönlich-
keiten der antiken Welt. Mit der Anwe-
senheit des Kroisos in Ephesos und im
Artemision - nach seiner Thronbestei-
gung im Jahre 560 v. Chr. - wird auch
der Einfluß Lydiens und damit Anato-
liens auf das Artemision unterstrichen.
Durch das Eindringen des lydischen Gol-
des, das ältere Materialien wie z. B.
Bernstein bei den Weihungen ersetzt,
wird auch ein völlig neuer Aspekt in das
Artemision getragen, nämlich der von
Maß und Zahl.

Die Gewinnung und Verarbeitung des
Goldes seit dem späten 7. Jh. v. Chr. in
Lydien sind für die Kunst des ionisch-
lydischen Raumes von großer Bedeu-
tung. Um diese zu verstehen, ist es not-
wendig, die Entwicklung des numeri-

Abb. 99 Ensemble von Goldfunden aus
dem Ostbereich des Hofes; davon wurden die
drei Fibeln und die Statuette gemeinsam ge-
funden (vgl. Abb. 75, 100). Eine vierte Fibel
mit linksgerichtetem Bügel wurde 1994 fast
an derselben Stelle gefunden. Unten rechts
im Bild Rosette, deren Rand viele kleine
Löcher aufweist, mit deren Hilfe das Plätt-
chen auf ein Gewand aufgenäht werden
konnte.

Abb. 100 Fibel (Gewandschließe). Halb-
runde Platte mit aufgenietetem Löwenkopf
und Verzierung in Form von fünf vierblättri-
gen Rosetten. Der Nadelhalter ist in Form
einer Löwentatze stilisiert.

schen Denkens in der Kunst zu betrach-
ten. In Kleinasien waren die griechischen
und lydischen Händler die Protagonisten
einer neuen Konzeption der Welt und der
Dinge: Die Erfindung der Münzen in
Lydien (vgl. S. 89) war eine Folge
davon. Die ionische Philosophie führte
das numerische Denken in die Wissen-
schaften ein. Ihr Einfluß läßt sich aber
auch anhand der Denkmäler nachzeich-
nen. Herodot berichtet in der eingangs
zitierten Stelle (I 50), daß Kroisos Weih-
gaben stiftete: den Goldkrater im Schatz-
haus der Klazomenier, der 100 Talente
und 12 1/2 Minen wog, den Silberkrater
in der Ecke des Pronaos, der 600 Ampho-
ren faßte. Was immer zum Verständnis
der archaischen Kunst sonst wichtig ge-
wesen sein mag, für Herodot sind weder
Form noch Proportion interessant, allein
das bestimmbare Gewicht zählt. Die
Festlegung der Gewichte, das Bestimmen
von Länge und Breite, dies ist die
Methode, welche von den Kaufleuten
angewandt wurde, um ihre Ware zu kau-
fen und zu verkaufen; addieren, subtra-
hieren: ein arithmetisches Kalkül also
und keine Geometrie. Gold wird im
archaischen Westkleinasien neben ande-
ren Gewichtseinheiten in Stateren von
etwa 14 Gramm gewogen. Anhand der
Artemisionfunde läßt sich zeigen, daß
das Gewicht der meisten Objekte aus
Gold wie Statuetten (Abb. 86, 87, 99),
Tiere (Abb. 96), Fibeln (Abb. 99, 100)
auf Teile dieser Maßeinheit zurückgeht.
Man hat offenbar ein vorgewogenes Gold-
stück erworben und ließ dieses dann be-

arbeiten. Dieses Phänomen läßt sich auch
später in der italienischen Renaissance
. nachweisen. Aufgrund der erhaltenen
Bestellungen und Rechnungen ist be-
kannt, daß es den Auftraggebern der Bil-
der auf die Menge an bestimmten kost-
spieligen und damit kostbaren Farben
ankam, die für die Bilder verwendet wer-
den durften. Der Maler mußte in diesem
quantitätsbezogenen Rahmen agieren.

Zuriick aber zum Artemision.

So wiegt die weibliche Statuette, das
Sphyrelaton (ein iiber einem - heute ver-
lorenen - Holzkern gehämmertes Gold-
blech) (Abb. 87), 21 Gramm (11/2 Sta-
tere). Eine Münze mit der Darstellung
des liegenden Löwen wiegt 4,7 Gramm
(1/3 Stater); ein Anhänger mit Stier und
Löwenkopfkomposition 4,6 Gramm (1/3
Stater), die Goldfibeln mit den Löwen-
köpfen (Abb. 99, 100) zwischen 12,4
Gramm und 14 Gramm (etwa 1 Stater),
die Goldstatuette aus Vollguß (Abb. 86,
99) 52 Gramm (etwa 4 Statere). Die che-
mische Untersuchung der getriebenen
Goldstatuette ergab 75,7% Gold. 4,4%
Zinn, 14,1% Kupfer und 5,7% Blei.

Vor dem Auftreten des Goldes war die
Kleinkunst in Ephesos durch die Materia-
lien Elfenbein und Bernstein geprägt. Als
Motive herrschten Szenen aus dem My-
thos und aus der Tierwelt vor. Wie jedes
andere Metall war aber Gold leicht ein-
zuschmelzen, behielt demnach seinen
hohen materiellen Wert bei. Es war meß-
bar und konnte gewogen werden. Dies
waren Voraussetzungen, neue Aspekte in
die Kunst einzubringen.
 
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