4 Klassifikation psychischer Störungen
ist z.B. nicht eindeutig bestimmt, wann eine klinische Symptomatik (definiert auf Achse
I) gemeinsam mit einer Persönlichkeitsstörung (Achse II, u.a.: paranoide, schizoide,
narzißtische, vermeidende, abhängige Persönlichkeit) zu diagnostizieren und welche
theoretische Bedeutung dieser Beziehung beizumessen ist. Damit steht die Nützlichkeit
und Validität der Unterscheidung zwischen „klinischen Störungen" und Persönlich-
keitstörungen in Frage (Clark et al., 1995).
Ein anderes Problem ist die Plazierung der Störungen innerhalb des Systems in be-
stimmten Störungsgruppen. Im DSM-IV ist beispielsweise umstritten, ob die Konversi-
onsstörung (300.11) nicht besser bei den dissoziativen Störungen als bei den somato-
formen Störungen eingeordnet werden sollte; ebenso wird die Einordnung der Posttrau-
matischen Belastungsstörungen (PTBS) bei den Angststörungen (anstatt bei den disso-
ziativen Störungen) in Frage gestellt. In der ICD-10 werden in der Kategorie F4
„neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen" in einer heterogenen Gruppe zu-
sammengefaßt, während die „somatoformen Störungen" im DSM-IV eine gesonderte
Kategorie bilden. Auch bei den somatoformen Störungen gibt es Inkonsistenzen. Wäh-
rend die Gruppe als Ganzes dadurch definiert ist, daß körperliche Symptome vorhanden
sind, für die keine medizinischen Gründe nachweisbar sind, findet sich als Unterkatego-
rie dieser Störungen die „hypochondrische Störung". Diese ist aber nur durch die be-
harrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit einer Erkrankung definiert, ohne daß kör-
perliche Auffälligkeiten vorhanden sein müssen. Nach Clark et al. (1995) ist dieses
Problem kategorial oder typologisch kaum lösbar, weil etwa die PTBS sowohl Kennzei-
chen einer Angst- wie einer dissoziativen Störung aufweist.
Unzulänglich ist in den Klassifikationssystemen auch das Umgehen mit atypischen
Fällen. Zur Einordnung atypischer Fälle stehen in den beiden am häufigsten verwende-
ten Systemen vor allem drei Möglichkeiten zur Verfügung: das Vergeben einer weiteren
Diagnose („Mehrfachdiagnose"), die Einordnung als „nicht näher bezeichnete Störung"
(im DSM-IV: „not otherwise specified") sowie die Verwendung von expliziten Grenz-
oder Mischkategorien (z.B. F41.2 in der ICD-10: „Angst und depressive Störung, ge-
mischt"; F25: „schizoaffektive Störungen"). Bei affektiven Störungen, bei dissoziativen
Störungen und bei Persönlichkeitsstörungen werden die nicht weiter spezifizierten dia-
gnostischen Kategorien keineswegs nur selten vergeben, sondern stellen einen uner-
wünscht hohen Anteil der Diagnosen dar (Clark et al., 1995). Außerdem sind die Sy-
steme logisch nicht konsistent: wenn schon Mehrfachdiagnosen vergeben werden kön-
nen, sind Misch- oder Grenzkategorien eigentlich überflüssig.
Die Abgrenzbarkeit von Klassen. Angst und Depression treten häufig gemeinsam auf
und sind auch bei den meisten anderen Störungen anzutreffen, z.B. bei Posttraumati-
schen Belastungsstörungen, bei somatoformen Störungen, bei Bulimie und anderen Eft-
störungen, bei schizophrenen Störungen oder bei Schlafstörungen. Die „Koexistenz",
„Assoziation", „Polysymptomatik" oder „Komorbidität" psychischer Störungen kann si-
multan (d.h. gleichzeitig) oder sukzessiv (d.h. nacheinander im Verlauf) auftreten. Sie ist
bei psychischen Störungen ein häufiges Phänomen, das „von einer inhärenten Unverein-
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ist z.B. nicht eindeutig bestimmt, wann eine klinische Symptomatik (definiert auf Achse
I) gemeinsam mit einer Persönlichkeitsstörung (Achse II, u.a.: paranoide, schizoide,
narzißtische, vermeidende, abhängige Persönlichkeit) zu diagnostizieren und welche
theoretische Bedeutung dieser Beziehung beizumessen ist. Damit steht die Nützlichkeit
und Validität der Unterscheidung zwischen „klinischen Störungen" und Persönlich-
keitstörungen in Frage (Clark et al., 1995).
Ein anderes Problem ist die Plazierung der Störungen innerhalb des Systems in be-
stimmten Störungsgruppen. Im DSM-IV ist beispielsweise umstritten, ob die Konversi-
onsstörung (300.11) nicht besser bei den dissoziativen Störungen als bei den somato-
formen Störungen eingeordnet werden sollte; ebenso wird die Einordnung der Posttrau-
matischen Belastungsstörungen (PTBS) bei den Angststörungen (anstatt bei den disso-
ziativen Störungen) in Frage gestellt. In der ICD-10 werden in der Kategorie F4
„neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen" in einer heterogenen Gruppe zu-
sammengefaßt, während die „somatoformen Störungen" im DSM-IV eine gesonderte
Kategorie bilden. Auch bei den somatoformen Störungen gibt es Inkonsistenzen. Wäh-
rend die Gruppe als Ganzes dadurch definiert ist, daß körperliche Symptome vorhanden
sind, für die keine medizinischen Gründe nachweisbar sind, findet sich als Unterkatego-
rie dieser Störungen die „hypochondrische Störung". Diese ist aber nur durch die be-
harrliche Beschäftigung mit der Möglichkeit einer Erkrankung definiert, ohne daß kör-
perliche Auffälligkeiten vorhanden sein müssen. Nach Clark et al. (1995) ist dieses
Problem kategorial oder typologisch kaum lösbar, weil etwa die PTBS sowohl Kennzei-
chen einer Angst- wie einer dissoziativen Störung aufweist.
Unzulänglich ist in den Klassifikationssystemen auch das Umgehen mit atypischen
Fällen. Zur Einordnung atypischer Fälle stehen in den beiden am häufigsten verwende-
ten Systemen vor allem drei Möglichkeiten zur Verfügung: das Vergeben einer weiteren
Diagnose („Mehrfachdiagnose"), die Einordnung als „nicht näher bezeichnete Störung"
(im DSM-IV: „not otherwise specified") sowie die Verwendung von expliziten Grenz-
oder Mischkategorien (z.B. F41.2 in der ICD-10: „Angst und depressive Störung, ge-
mischt"; F25: „schizoaffektive Störungen"). Bei affektiven Störungen, bei dissoziativen
Störungen und bei Persönlichkeitsstörungen werden die nicht weiter spezifizierten dia-
gnostischen Kategorien keineswegs nur selten vergeben, sondern stellen einen uner-
wünscht hohen Anteil der Diagnosen dar (Clark et al., 1995). Außerdem sind die Sy-
steme logisch nicht konsistent: wenn schon Mehrfachdiagnosen vergeben werden kön-
nen, sind Misch- oder Grenzkategorien eigentlich überflüssig.
Die Abgrenzbarkeit von Klassen. Angst und Depression treten häufig gemeinsam auf
und sind auch bei den meisten anderen Störungen anzutreffen, z.B. bei Posttraumati-
schen Belastungsstörungen, bei somatoformen Störungen, bei Bulimie und anderen Eft-
störungen, bei schizophrenen Störungen oder bei Schlafstörungen. Die „Koexistenz",
„Assoziation", „Polysymptomatik" oder „Komorbidität" psychischer Störungen kann si-
multan (d.h. gleichzeitig) oder sukzessiv (d.h. nacheinander im Verlauf) auftreten. Sie ist
bei psychischen Störungen ein häufiges Phänomen, das „von einer inhärenten Unverein-
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