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Bastine, Reiner [Hrsg.]
Klinische Psychologie (Band 1): Grundlegung der allgemeinen klinischen Psychologie — Stuttgart, Berlin, Köln, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.16129#0280

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5 Zur Entstehung von psychischen Störungen

Drittens ließen sich auch die moderierenden Variablen des Vulnerabilitäts-Streß-
Modell noch genauer konzeptuell erfassen. Die wichtigste Beiträge dazu steuerten
die Bewältigungs-Forschung und die Erforschung von Kompetenzen bei (s.u.).

Viertens liefert das Modell ein so allgemeines Grundmuster eines Entwicklungspro-
zesses, daß es inzwischen auch auf viele andere Störungen verallgemeinert wird.
Als Beispiele dafür sollen hier nur die affektiven Störungen (u.a. Möller & Deister,
1996) genannt werden.

Eine der bekanntesten Erweiterungen des Modells, das sich allerdings auf die Schizo-
phrenie beschränkt, ist das „Vulnerabilitäts-Streß-Bewältigungs-Kompetenz-Modell"
(Nuechterlein, 1987). Es geht von folgenden fünf Hauptkategorien aus:

* Überdauernde persönliche Vulnerabüitätsmerkmale: dopaminerge Dysfunktion,
reduzierte Verarbeitungskapazität, autonome Hyperreaktivität auf aversive Stimuli,
schizotypische Persönhchkeitszüge;

* Protektive persönliche Bedingungen: Bewältigungsfähigkeiten und Selbstwirksam-
keit, antipsychotische Medikation;

* Protektive Bedingungen der Umgebung: familiäre Problemlöse-Fähigkeiten, un-
terstützenden psychosoziale Intervention;

* Potenzierende und belastende Umgebungsbedingungen: kritisches oder emotional
überbeteiligtes Familienklima (expressed emotion), überstimulierende soziale Um-
gebung, belastende Lebensereignisse;

* Vermittelnde Zustände: Überlastung der Verarbeitungskapazität, gespannte auto-
nome Übererregung, defiziäre Verarbeitung sozialer Stimuli.

Diese Bedingungen stehen untereinander in Interaktionen und können über das Zwi-
schenstadium einer prodromalen Phase zum ausgeprägten Bild einer schizophrenen Epi-
sode fuhren.

Zur Diskussion. Die Entstehung psychischer Störungen als Entwicklungsprozeß aufzu-
fassen, ist gegenüber den eher statisch-strukturellen klassischen Erklärungsansätzen ein
starker Fortschritt. Deshalb auch ist die EntwicklungsOrientierung ein unentbehrliches
Merkmal des Allgemeinen Klinischen Modells (*=> 2.3).

Wie bei allen Phasenmodellen ist allerdings die Abgrenzung der Phasen nicht un-
problematisch. Insbesondere ist nicht immer eindeutig, wann noch von einer Disposition
und ab wann schon von einer auslösenden Bedingung gesprochen werden kann. Diese
Unterscheidung ist besonders schwierig im Vulnerabilitäts-Streß-Modell, bei dem sich
erworbene Vulnerabilität im späteren Lebensalter und belastende Stressoren konzeptuell
überschneiden können. Außerdem werden im Vulnerabilitätsbegriff sehr heterogene
Qualitäten von Bedingungen und Ereignissen zusammengefaßt, nämlich einerseits die
hereditäre Veranlagung einer Person, andererseits lediglich während einer bestimmten
Zeitspanne auf die Person einwirkende psychosoziale Bedingungen.

Aus transaktionaler Sicht erscheint die Annahme problematisch, daß dispositionelle
Faktoren bis in die Gegenwart der Person hinein konstant wirksam bleiben. Dies mag für
bestimmte hereditäre oder organische Bedingungen vielleicht in Grenzen noch vertretbar
sein, für psychische Bedingungen dagegen ist diese Position nicht mehr überzeugend:

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