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Bastine, Reiner [Hrsg.]
Klinische Psychologie (Band 1): Grundlegung der allgemeinen klinischen Psychologie — Stuttgart, Berlin, Köln, 1998

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https://doi.org/10.11588/diglit.16129#0284

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5 Zur Entstehung von psychischen Störungen

aktionen auf Konfliktsituationen, die Auswirkung der Einnahme von Alkohol, Pharmaka
oder Halluzinogenen. Aber auch diese Untersuchungen stehen immer in der Gefahr,
ethisch vertretbare Grenzen zu überschreiten.

Kasten 5.2: Die Konditionierung von Angstreizen - Preparedness

Klinisch war lange bekannt, daß phobische Ängste bevorzugt gegenüber bestimmten Objekten oder
vor bestimmten Situationen entwickelt werden (z.B. gegenüber Schlangen, Katzen, in engen Räumen
- nicht aber bei Gardinen, Kühen oder beim Sitzen auf Stühlen). Daß sich solche aversiven klassi-
schen Konditionierungen nicht bei allen Objekten und Situationen in gleicher Weise ausbilden, führte
Seligman (1971,1990) auf eine artspezifische ethologische Bereitschaft („preparedness") zurück, d.h.
daß Menschen aversive Reaktionen leichter und persistenter bei bestimmten Reizen erwerben.
Öhman und Soares (1993) haben diese Hypothese in Laboruntersuchungen überprüft, indem sie die
klassische Konditionierbarkeit bei „potentiell phobischen" Reizen (Schlangen, Spinnen) mit der bei
nicht-phobischen Reizen (Pilzen, Blumen) verglichen haben. Als Indikator für die konditionierte Reak-
tion erfaßten sie elektrodermale Reaktionen ihrer Probanden, also eine quasi-symptomatische Reak-
tion. Tatsächlich unterschieden sich die konditionierten Reaktionen im Sinne der Hypothese Selig-
mans: Reaktionen auf potentiell phobische Reize waren äußerst langsam zu extingieren, wurden be-
reits bei einem Durchgang erworben, waren nach dem Erwerb durch Instruktionen nicht mehr zu
modifizieren und wurden schneller von Personen erworben, die ein erhöhtes Erregungsniveau auf-
wiesen. Die Autoren sehen darin eine Bestätigung für die genannte Annahme und eine Erklärung da-
für, wie phobische Reaktionen erworben werden. Sie setzen dabei voraus, daß die von ihnen unter-
suchte psychophysiologische Reaktion eine brauchbare Analogie zu einer phobischen Reaktion dar-
stellt.

Unter definierten Randbedingungen können tatsächlich experimentell Phänomene her-
vorgerufen werden, die partielle Ähnlichkeiten mit pathopsychologischen Zuständen
aufweisen. Damit trägt diese Forschung zweifellos zur Kenntnis über akut einwirkende
Variablen und Bedingungen bei der Entstehung psychischer Störungen bei. Wie das
obige Beispiel zeigt, eignet sie sich besonders zur Prüfung von Hypothesen, vor allem
wenn durch Untersuchungsreihen sukzessiv verschiedene Modellannahmen bestätigt
oder widerlegt werden können. Das experimentelle Vorgehen und die Kontrolle der
Randbedingungen gewährleistet im allgemeinen eine hohe interne Validität solcher Un-
tersuchungen.

Dagegen fällt die Beurteilung der externen Validität in der Regel kritisch aus. Die
Übertragbarkeit der Befunde aus quasi-pathopsychologischen Analogiestudien ist vor
allem aus drei Gründen problematisch:

* Einmal entfalten psychische Störungen (z.B. Angststörungen, Depression, Zwangs-
störungen) gegenüber ähnlichen vorübergehenden Zuständen im Normalbereich eme
Eigenaynamik. So sind klinische Ängste durch ein komplexes Reaktionsmuster ge-
kennzeichnet, das u.a. eine erhöhte Reaktionsbereitschaft für Angstreize, vermin-
derte Kontrollier- und Steuerbarkeit der Reaktion, eine verlängerte Persistenz, ein
erhöhtes Erregungsniveau und oft auch den sekundären Prozess der „Angst vor der
Angst" einschließt.

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