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Hrst 1. Das Buch für Alle. 3

sie vollkommen zufrieden fein konnten; in den letzten
Reihen der Versammlung sah man daher jetzt auch mehr
heitere als traurige Mienen.
Die Verwandtschaft kam schlechter fort; der Graf,
seit Jahren schon ein Sonderling, sprach ganz unver-
hohlen aus, daß er keine Verpflichtung fühle, für Leute
etwas zu thun, die ihm im Leben niemals Freude ge-
macht hätten, und berücksichtigte nur einigermaßen Die-
jenigen, die er für besonders bedürftig hielt. Viele der
Anwesenden hatten Mühe, ihre Indignation zu verbergen,
und Einige konnten sogar nicht unterlassen, sich auf der
Stelle heimlich zu entfernen und sofort mit sehr ge-
täuschten Erwartungen und verbissenen Verwünschungen
die Heimreise anzutreten, ohne sich einmal von der Wittwe
zu verabschieden. Jedenfalls versäumten sie dadurch eine
höchst interessante Scene, die sie vielleicht wieder einiger-
maßen für ihren Verdruß entschädigt haben würde.
Es handelte sich jetzt nur noch um die Universal-
Erbschaft, die ein sehr bedeutendes Vermögen rcprüsen-
tirte, ungefähr neun Zehntel des Ganzen, einen Werth
von mindestens zwei Millionen Thälern.
Als der junge Sekretär an die Verlesung dieses Do-
kumentes kam und dasselbe nur flüchtig überblickte, ent-
färbte er sich und die Stimme stockte ihm; da ihm die
ganze Sache sehr gleichgiltig sein konnte, mußte diese
Bemerkung bei allen Anwesenden große Sensation Her-
vorrufen — ohne Zweifel sollte man etwas ganz Anderes
hören, als man erwartet hatte.
Roman Solkowitsch faßte sich auch schnell wieder,
um seine Pflicht mit der unparteiischen Würde eines
Gerichtsbeamten zu thun. Nach den Einleitungen las
er mit erhobener Stimme vor:
„Zur Universalerbin meines gestimmten übrigen Vcr-
„mögens in Grundbesitz und beweglichem Elgenthume,
„wie aller vorgefundenen Baarsummen und noch einzu-
ziehenden Forderungen, erkläre ich meine eheliche Tochter
„Josepha Gräfin Olinska, die sich zur Zeit unter dem
„Namen Josepha Hall in dem Pensionate der Frau
„Professor Marie Duvernois zu Paris, Rue***, Nr.—,
„befindet —"
Roman Solkowitsch konnte nicht weiter lesen, denn
die anwesenden Herrschaften, die Wittwe an ihrer Spitze,
sogar sein Vorgesetzter Rath sprangen von ihren Sitzen
auf, als hätte sie die Tarantel gestochen, und stürmten
unter lauten Ausrufen der ungläubigsten Verwunderung
und leidenschaftlichsten Erregung förmlich auf ihn ein.
Er selbst war so bestürzt, daß er nichts Besseres zu thun
wußte, als das Papier in die Hände des Raths zu legen.
Der Letztere suchte den Sturm zu besänftigen, wobei
er sogar seine ganze amtliche Autorität zu Hilfe nehmen
mußte, indem er sich ernstlich ausbat, das Dokument
ungestört überlesen zu können; an der Echtheit desselben
ließ sich nicht zweifeln.
Eine athemlose Spannung war cingctrctcn; wer Gräfin
Valeska beobachtete, mußte sich überzeugen, daß sie
furchtbar kämpfte und alle Selbstbeherrschung aufbot,
mn die Form nicht gar zu sehr zu verletzen. Gab es
in der ganzen Versammlung einen einzigen Menschen,
der nicht so gewaltig überrascht erschien, um dessen Lippen
sogar ein ganz leises, kaum merkbares Lächeln der Be-
friedigung spielte, so war dies Doktor Oskar Dorn; er
gab sogar seinem Freunde Roman, der ihn ganz bestürzt
anblickte, einen heimlichen Wink, als ob er damit sagen
wollte: „Es ist so ganz in der Ordnung — ich wußte
es im Voraus."
Der Sekretär fühlte sich dadurch wirklich wieder er-
muthigt/ und als ihm der Rath, der ebenfalls ganz aus
der Fassung gekommen war, das Papier mit dem Be-
fehle zurückgab, es rücksichtslos vorzulesen, entledigte er
sich dieser Pflicht auf die beste Manier.
Graf Gregor setzte also in den bestimmtesten Aus-
drücken seine eheliche Tochter Josepha, von deren Existenz
kein Mensch eine Ahnung gehabt hatte, zu seiner Uni-
versalerbin ein mit der Verpflichtung, der Gräfin Va-
leska, seiner „zweiten" Gemahlin, aus ihren Einkünften
eine jährliche Leibrente von 20,000 Rubeln zu zahlen.
Weitere Erklärungen folgten nach. Der Gras ver-
sicherte, sich im Jahre 1840 mit der Schauspielerin
Anna Hall zu Wien gesetzmäßig und kirchlich vermählt
zu haben, allerdings ohne Wissen und Einwilligung seiner
damals noch lebenden Eltern; eine autorisirte Abschrift
des Trauungszeugnisses lag bei; der Akt war in die
dortigen Kirchenbücher eingetragen worden. Er führte
ferner die vollgiltigsten Beweise dafür an, daß Anna
Hall, seine erste Gemahlin, im nächstfolgenden Jahre
im Wochenbette gestorben sei, nachdem sie Josepha das i
Leben gegeben. Dieses Kind habe er darauf sehr ordent-
lichen Leuten in der nächsten Umgebung von Wien über-
geben, die er namhaft machte, die aber feinen Namen !
nicht kannten, es jährlich ein oder mehrere Male per-
sönlich besucht und, nachdem cs mehr herangcwachsen,
in einem renvmmirten Pensionate der österreichischen Haupt-
stadt auf das Beste erziehen lassen.
AuS allen seinen Worten ging hervor, daß er Josepha
außerordentlich geliebt hatte, und er erklärte, daß sie
schon in seinem ersten Testamente ganz gleich wie sein
Sohn Gregor bedacht worden sei; nachdem er die unum-
stößlichste Gewißheit von dessen Tode erhalten — auch

dafür lagen die Beweise vor — sei sie die Einzige, die
Ansprüche auf seine Hinterlassenschaft besitze, und der
Pflicht gegen seine zweite Gemahlin, deren er nur in
kurzem und kaltem Tone erwähnte, glaube er genügend
nachgekommcn zu sein.
Josepha sollte sich nun jetzt seit einigen Jahren in
Paris unter der angegebenen Adresse befinden; der Graf
hatte sie auch dort öfter bestacht und sich ihr von jeher
zwar für ihren Vater, aber unter dem Namen Hall,
erklärt, die Professorin Duvernois kannte indessen dieses
Geheimniß und sollte es nach dein erfolgten Tode des
Grafen ihrem Schützlinge mittheilen. Selbstverständlich
mußte Josepha nun auch gerichtlich von der Erbschaft,
die sie gemacht hatte, benachrichtigt werden und nach
Opalin kommen, um davon Besitz zu nehmen.
Graf Gregor hatte nichts versäumt, seine Angaben
mit den sprechendsten Beweisen zu belegen und jeden un-
gerechten Einspruch von vornherein abzuwcnden; es ließ
sich gar nicht absehen, wer es wagen könnte, Josepha
ihre Rechte streitig zu machen.
Diese Ueberzeugung mußte sofort alle Anwesenden
durchdringen, und Gräfin Valeska blieb auch nicht die
fernste Aussicht, sich mit Erfolg gegen dieses kalt aeoomxli
auslehnen zu können. Freilich war sie durch Graf Gregor
bitter getäuscht worden; wenn man aber in Betracht
ziehen wollte, daß sie hauptsächlich der Erfüllung seiner
jugendlichen heißesten Herzenswünsche im Wege gestanden
hatte, daß sie selbst dazu beitrug, ihn: ihre Hand auf- i
zudrängen, daß sie während einer zwanzigjährigen Ehe
sehr wenig oder gar nichts gcthan hatte, um ihren Ge-
mahl zn beglücken, so wird inan die Ueberraschung, die
er ihr jetzt bereitete, wohl als eine gerechte Strafe be- ,
trachten dürfen, wenigstens zugestehcn, daß er nicht be-
sondere Rücksichten auf sie zu nehmen brauchte, und
übrigens sicherte er ja auch ihre Zukunft durch eine sehr
ansehnliche Leibrente, höher, als sie darauf gesetzliche
Ansprüche erheben konnte, und fast ironisch großmüthig
klang der Zusatz, daß sie den Bezug dieses Vortheils
auch dann behalten sollte, wenn sie sich etwa noch einmal
verheirathen würde.
Indessen war das Testament doch so gänzlich gegen
alle Erwartung ausgefallen, machte eine so ungeahnte
Eröffnung, daß man sich allerseits auf das Höchste be-
stürzt fühlte. Gräfin Valeska benahm sich dabei noch
mit der meisten äußerlichen Fassung; zuerst war sie wild
aufgefahren, wie eine Tigerin, der man ihre Beute ent-
reißen will oder die man tödtlich verwundet hat, dann
schien sie sich aber dieser Heftigkeit zu schämen, ließ sich
Wieder auf ihren Sessel nieder, hörte die Verlesung des
Testamentes bis zu Ende schweigend an und bezwang sich
dann so Weit, den ihr zunächst Befindlichen, durch die
es sich schnell weiter verbreitete, vertraulich zu erklären,
sic sei gar nicht zu sehr überrascht worden, denn gewiße
unbestimmte Andeutungen habe sie schon von ihrem Ge- :
mahle selbst vernommen; man war aber weit entfernt
davon, ihr hierin Glauben zu schenken.
Sie unterzeichnete auch nicht das Protokoll, welches
als vollständige Anerkennung der testamentarischen Be-
stimmungen galt, wie die anderen Bctheiligtcn, sondern
behielt sich dies noch vor, bis sie eingehend mit dem
Rathe und ihrem Rechtsanwälte gesprochen haben würde.
Ter Letztere war durch Krankheit verhindert gewesen, am
heutigen Tage auf Opalin zu erscheinen, den Rath aber
bat sie sogleich zu sich auf ihr Zimmer, grüßte die Ge-
sellschaft kalt und verließ festen Schrittes den Saal.
Alle zerstreuten sich. Die Meisten zogen es vor, so-
fort das Schloß zu verlassen, die mit Legaten bedachten
Verwandten und die Diener nahmen, natürlich gesondert,
die schon vorbereitete splendide Mahlzeit ein.
Mit dein Rathe hatte Gräfin Valeska keine lange i
Unterhandlung; sie fragte ihn nur, ob sich gegen die
Giltigkeit jener ersten Ehe Graf Gregors Einsprüche er-
heben ließen, aber er verneinte dies entschieden, da der
Graf zu jener Zeit längst volljährig gewesen sei.
Unter den Gästen erschien sie nicht wieder.
2.
Roman Solkowitsch kain ganz erregt auf das Zimmer
seines Freundes, den er daselbst in größter Gemüihsruhe
eine Cigarre rauchend fand.
Der Doktor sah sogar ganz vergnügt aus.
„Nun, was sagst Du dazu?" rief ihm sein lebhafter
Freund schon beim Eintritte zu.
„Ich hatte erwartet, daß es zu noch heftigeren Scenen
kommen würde," antwortete der Doktor ruhig. „Die
Gräfin hat sich mit ziemlicher Fassung aus der Affaire
gezogen."
„Du hast es erwartet? — Ja, es ist wahr, Du
gabst mir auch einen so bezeichnenden Wink! — Aber,
um des Himmels willen, was konntest Du denn davon
wissens"
„Höre mich an," erwicderte Oskar Dorn ernst;
„die Sache ist sehr einfach, und jetzt brauche ich Dir
gegenüber ja kein Geheimniß mehr daraus zu machen,
wenn es auch, um mir die Feindschaft der Gräfin nicht
zuzuzichen, besser sein dürfte, daß sie und andere Leute
nicht mehr davon erfahren, als noch unumgänglich noth-
wendig sein wird. Du weißt, daß ich schon seit zwei

Jahren öfter hieher gerufen wurde, wenn man eines Arztes
bedurfte. Ein paarmal behandelte ich auch Graf Gregor
bei leichterem Unwohlsein, und er schenkte mir danach.
viel Vertrauen — ich darf Wohl behaupten: nicht allein
meiner Wissenschaft, sondern auch meinem Charakter
überhaupt. Als die ersten Anzeichen seiner letzten schweren
Krankheit auftraten, schrieb er selbst mir ein sehr drin-
gendes Billetchen, ich möge sofort kommen und mich
darauf einrichten, längere Zeit auf Schloß Opalin zu
bleiben, denn er fühle, daß er meiner bedürfen würde.
Dieses Ersuchen unterstützten einige beigclegte Banknoten
von ansehnlicher Hohe, gewissermaßen mein Honorar im
Voraus und eine Entschädigung für die Verluste, die ich,
Wenn ich seinem Wunsche willfahrte, bei meiner Praxis
in Opatvw erleiden mußte. Ich betrachtete diese Offerte
hauptsächlich von der geschäftlichen Seite, wozu mich
meine Verhältnisse nöthigten, und fand sie vorthcilhaft
genug; andererseits hegte ich aber auch wirklich eine Art
Freundschaft für den Grafen, und es wäre mir sehr
schwer geworden, ihm seine Bitte abzuschlagcn. Ich ent-
schloß mich daher schnell, übertrug meine Praxis einem
Kollegen, mir vorbchaltend, hin und wieder nach Opatvw
hinüberzukommen und meine Patienten zu kontroliren,
und begab mich hieher.
„Sofort erkannte ich, daß der Graf einer bedenklichen
Krankheit entgegenging, und verhehlte ihm dies auch
nicht vollständig. Er antwortete mir ruhig, daß er diese
Ueberzeugung schon in sich getragen habe und daß fein
Haus für alle Fülle bestellt fei. So ernst wollte ich die
Sache nun nicht genommen wissen, aber er blieb dabei, und
ich fand bald, daß ihn eine große geistige Unruhe um
so mehr quäle, als seine körperlichen Kräfte abnahmen.
Es war meine Pflicht, darüber mit ihm zu sprechen,
und nach einigem Rückhalte verpflichtete er mich auf
mein Ehrenwort, bis nach seinem Tode über Das zu
schweigen, was er mir mittheilen wollte; — er müßte
sich noch einem Freunde anvertraucn, sagte er zu mir,
und er habe keinen anderen wie mich. Ich war über-
rascht, gerührt, versprach ihm Alles, was er wollte,
und erfuhr nun die Verhältnisse, welche uns sein Testa-
ment heute öffentlich enthüllt hat. Obgleich er alle er-
denkbaren Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte, die Rechte
seiner Tochter aus der ersten heimlichen Ehe zu sichern,
beherrschte ihn doch die krankhafte Angst, man möge
Zweifel in seine schriftlichen Angaben setzen, und er
wollte dafür noch einen lebenden Zeugen haben. Ich
brauche Wohl nicht erst zu erwähnen, daß er die Jn-
triguen seiner ihm förmlich verhaßten Gemahlin fürchtete.
„Meine Aufträge gingen noch weiter. Er schrieb
sofort an die Frau Professor Duvernois in Paris, bei
der sich Josepha befindet, und wies sie an, das junge
Mädchen allmühlig darauf vorzubcreiten, welcher Name
ihr eigentlich zukamc und welche Zukunft ihr bestimmt
sei. Josepha's Erziehung ist schon vor einigen Jahren
vollendet; er würde sie, wie er sagte, schon früher als
seine Tochter öffentlich anerkannt und hieher gerufen
haben, wäre er nicht überzeugt gewesen, daß feine Ge-
mahlin ihr schwere Leiden bereitet hätte; erst nach seinem
Tode konnte die Letztere gcnöthigt werden, Josepha voll-
kommen das Feld zn räumen. Die junge Gräfin lebt
in Paris in den angenehmsten Verhältnissen, aber zurück-
gezogen bei der Professorin Duvernois, die mir der Graf
als eine höchst achtungswerthe und zuverlässige Dame
schilderte; auch hat sie noch eine andere besondere Gesell-
schafterin von demselben Charakter und in bereits vorge-
rückten Jahren, die sie hieher begleiten soll. Was mich
anbetrifft, so habe ich Graf Gregor heilig geloben müssen,
die Nachricht von seinem Tode nach Paris zu bringen
und die beiden Damen hieher abzuholen."
Roman stieß einen Ruf der Verwunderung aus.
„Ah, das ist ein interessanter Auftrag, lieber Oskar!
— Aber was wird Gräfin ValeSka dazu sagen?"
„Ich meine, daß ihre Rolle hier ausgcspielt ist, und
ich habe keine besonderen Verbindlichkeiten gegen sie. In-
dessen hat mich der Graf für alle Fälle sicherzustellen
gewußt; er gab mir einen versiegelten Brief an seine
Gemahlin, den er mich Zuvor lesen ließ; ich kann aber
vorgeben, von dem Inhalte nichts gewußt zu haben."
„Du bist ein Glückskind! — ich beneide Dich!"
„Weshalb, lieber Freund?"
„Du wirst der erste hiesige Bekannte der jungen
Gräfin und reichen Erbin sein!"
„Vorläufig nur ihr Rcisemarschall — später vielleicht
Hausarzt."
„O, man kann immer nicht im Voraus wissen, bis zu
welcher anderen Stellung sie Dich noch erhebt!" scherzte
Roman.
„Ich wüßte wahrhaftig keine recht Passende mehr.
Aber es ist mir wenigstens lieb, so Wohlfeilen Kaufes
einmal Paris kennen zu lernen."
„Vermuthcst Du nicht, daß die Comtesse Josepha
schön ist?"
„Ich will dies um der angenehmeren Reisegesellschaft
willen hoffen," entgegnete der Doktor in demselben
leichten Tone.
Während die beiden jungen Männer sich noch darüber
unterhielten, ob Gräfin Valeska keinen Versuch machen
würde, die Giltigkeit des Testamentes anzufechten, wobei
 
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