Stadt vor das Thor, um dort tu einem kleinen Gehölze
Ruhe und Fassung zu suchen.
Zwar war sic auch hier nicht allein, denn zahlreiche
Spaziergänger begegneten ihr, dennoch that das frische
Grün, welches sie so lange entbehrt hatte, ihr wohl.
Auf deui Fahrwege, welcher durch das Gehölz hinführte,
rollten Equipagen an ihr vorüber. Auch sie war hier
oft mit Ina gefahren und sie hatte nicht daran gedacht,
daß sie schon nach so kurzer Zeit alleiu hier gehen werde,
um Ruhe zu suchen, und der Gedanke, daß sie Alles ge-
than habe, was in ihren Kräften stand, gab ihr in der
That Beruhigung.
Herren und Damen, die sie öfter in Platener's Hanse
getroffen hatte, begegneten ihr und sie senkte den Kopf,
um von ihnen nicht erkannt zu werden; da hörte sie
plötzlich von einem Herrn, der an ihre Seite getreten
war, ihren Namen nennen. Erschreckt zuckte sie zusammen,
sie blickte auf und dunkle Röthe übergoß ihr Gesicht, als
sie den Lieutenant von Brankow er-
kannte.
„Ich habe mich lange gesehnt, Sie
wieder zu sehen," sprach Brankow nut
halb gedämpfter Stimme. „Es war ein
erregter Augenblick, als wir uns zum
letzten Male sahen, er ist mir nicht
aus dem Gedächtnisse geschwunden und
ich darf Wohl hoffen, daß Sie meinen
Schritt jetzt milder beurtheileu werden.
Wer kann gegen die zwingenden Ver-
hältnisse, welche das Geschick über uns
verhängt, ankümpfen."
Johanna schwieg. Sie wäre nicht
im Stande gewesen, ein einziges Wort
zu sprechen und wenn sie ihr Leben
damit hätte erkaufen können; nur
schneller ging sie.
„Trifft mich ein Vorwurf, daß
mein Herz inniger für Sie schlug als
für Ina, welche ich zu lieben wähnte
und doch in Wirklichkeit nicht liebte!"
fuhr Brankow fort. „Sie verurtheilen
mich vielleicht noch, allein wenn Sie
einst lieben, dann gebieten Sie Ihrem
Herzen, daß es anders empfindet, und
Sie werden kennen lernen, daß das
Herz sich nicht gebieten läßt, daß cs
seinen eigenen Weg geht und wenn
die ganze Welt dagegen ist; dann
werden Sie mich auch milder beur-
theilen."
„Ich bitte, verlassen Sie mich!" bat
Johanna, ohne aufzublicken; die wenigen
Worte wurden ihr unsagbar schwer.
„Nein, ich lasse Sie nicht, nachdem
ich so glücklich gewesen bin, Sie nach
so langer Zeit endlich wieder zu finden!"
rief der Lieutenant. „Erst nachdem
das Band, welches mich an Ina fesselte,
zerrissen ist, bin ich mir klar bewußt ge-
worden, wie unendlich ich Sie liebe.
Ich habe nur an Sie gedacht und von
Die Fran des Arbeiters.
Roman
von
Friedrich Friedrich.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
Zum dritten Male ging Johanna gegen Abend zu
Frau Lacher. Die Dienerin erwiederte ihren Gruß uicht,
als sie die Thür öffnete, gcringschätzend, befehlend wies
sie mit der Hand auf die offen stehende Thüre des Vor-
zimmers.
Wenige Minuten später trat die gnädigeFrau ein, schnell,
mit Unwillen in den Zügen. Sie trug Hut und Schleier
und schien im Begriffe zu sein, spazieren zu gehen.
„Gott, man ist doch auch nicht eine Stunde ungestört!"
erwiederte sie auf Johanna's Gruß. „Was wünschen
Sie denn?"
Das Blutschoßin Johanna's Wangen.
Schüchtern fragte sie, ob die Arbeit
zur Zufriedenheit ausgefallen sei; sie
wagte nicht hinzuzufügen, daß sie den
Lohn für dieselbe zu erhalten wünsche.
„Und deshalb stören Sie mich schon
zum dritten Male!" fuhr die Dame
unwillig fort. „Ich hatte Ihnen gesagt,
daß Sie die Tücher sauber halten sollten.
Das ist nicht geschehen, jedes andere
junge Mädchen in dem Verein würde
es besser gemacht haben!"
Sie trat vor den Spiegel, um die
Bänder ihres Hutes zu ordnen.
Thränen drängten sich in die Augen
des Mädchens.
„Ich habe mir die größte Mühe
gegeben," bemerkte sie.
Die Dame zuckte schweigend, weg-
werfend mit der Schulter.
„Haben Sie vielleicht andere Arbeit
für mich?" fragte Johanna.
„Nein," lautete die kurze Antwort.
Johanna schwieg.
„Nun, was wünschen Sie noch?"
fragte Hulda, indem sie sich umwandte.
„Ich muß von dem Ertrage meiner
Arbeit leben," sprach das unglückliche
Mädchen mit leise bebender Stimme.
„Also deshalb sind Sie schon zum
dritten Male gekommen!" rief Hulda.
„Glauben Sie vielleicht, daß Sie das
Geld nicht erhalten würden? Ich bin
nicht gewohnt, mich in solcher Weise
drängen zu lassen!"
Sie öffnete das Portemonnaie, warf
anderthalb Thaler auf den Tisch und
verließ, ohne ein Wort hinzuzufügen,
das Zimmer.
Erschreckt, zitternd vor innerer Er-
regung blickte Johanna ihr nach. Hatte
sie denn ein Unrecht begangen, daß ihr
solche Behandlung widerfuhr? Und an-
derthalb Thaler sollte der Lohn sein für die schwere und so
saubere Arbeit! Von dieser Frau, welche mit an der Spitze
eines Franenvereines stand, hatte sie Hilfe gehofft und wie
war sie getäuscht! Sie hätte laut auf weinen mögen
vor Schmerz und Verzweiflung.
Sie streckte die Hand aus, nur das Geld zu nehmen,
die Hand zitterte und sank kraftlos nieder. Mochte die Noth
auch in der bittersten Weise an sieherantretcn —sie konnte
das Geld nicht nehmen, das ihr wie einer Bettlerin hin-
geworfen war.
Kaum wissend, was sie that, stürzte sie aus dem
Zimmer und dem Hause. Erst als sie auf die Straße
kam und die ihr begegnenden Menschen sie zwangen, sich
zu fassen, begriff sic ihren Schritt, allein sie bereute ihn
nicht. Mochte die reiche Frau das Geld behalten.
Sie konnte in ihrer erregten Stimmung nicht zu ihrer
Mutter heimkehren, sie durfte der ohnehin besorgten Frau
ihren Schmerz nicht zeigen, sie eilte deshalb aus der
Kardinal Rauscher. (S. 31V.)