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Die Fenn des Arbeiters.
o in a n

„Es ist mir unmöglich, mir vorznstellen, daß diese
alte Dame auch ein Herz besitzt!" rief Gerhard lachend.
„Ich kann den Gedanken nicht fvrtscheuchen, daß sie mir

„Weil ich befürchte,/sie könne auch mir einen zärt-
lichen Blick znwerfen."
„Können Sie denselben nicht ertragend"


L'. Chr. Nudrrsc». Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 534.)

eine Maschine ist, welche ihre regelmäßigen Bewegungen
macht und täglich aufgezogen wird. Haha! Können
Sie sich vorstellen, wie Ihre Tante aussehen würde,
wenn sie plötzlich verlobt wäre? Ich glaube, sie um-
httpfte ihren Verlobten den ganzen Tag über, ihre Locken
würden dann nie zur Ruhe kommen!"
„Sie sind boshaft!" entgegnete Ina, obschon sie sich
des Lachens nicht erwehren konnte. „Sie vergessen, daß
meine Tante die Männer haßt und daß sie sich deshalb
nie verloben würde."
„Sie haßt nur die, welche ihr keine Aufmerksamkeiten
erweisen; ich sehe täglich, wie dankbar sie für jedes freund-
liche Wort ist, das Berger an sie richtet. Ihr ganzes Ge-
sicht verklärt sich dann und sie blickt ihn so zärtlich an,
als Hütte sie Lust, ihn sofort in ihre Arme zu schließen."
„Weshalb sind Sie dann nicht freundlicher gegen
sied" warf Ina ein.

„Von Ihrer Tante nicht," gab Gerhard zur Ant-
wort. „Für einen solchen Blick aus Ihrem Auge würde
ich Alles opfern!"
„Wollen Sie mich zwingen, meinen Spaziergang
allein fortzusetzcn d" unterbrach ihn Ina.
„Nein, nein, Ina," fuhr Gerhard lebhafter fort, in-
dem er, ohne daß Ina es gewahr wurde, mit ihr in
einen Seitenweg einbog. „Ich bin ja glücklich, daß ich
Sie endlich einmal allein treffe. In Berger's Zimmer
fühle ich, wie stets der Blick Ihrer Tante auf mir ruht,
und der raubt mir jeden Muth, Ihnen das zu sagen,
was seit dem Tage, an dem ich Sie zum ersten Mal
gesehen, mein Herz erfüllt."
„Ich bitte, schweigen Sie," rief das Mädchen fast
flehend.
„Wollen Sie mir die Gelegenheit rauben, mich offen
und ehrlich gegen Sie auszusprcchen d" fuhr Gerhard fort.
„Ina, wollen Sie mir einen Vorwurf
daraus machen, daß alle meine Gedanken
seit dem Tage sich nur mit Ihnen be-
schäftigt habend Ich mag Ihrer nnwerth
sein, allein keine Menschenmacht, auch Sie
nicht, können hindern, daß mein Herz für
Sie schlägt!"
Ina war nicht im Stande, zu antworten,
allein sie ging schneller, als ob sie ihm
entfliehen wollte.
„Ich bitte Sie, hören Sie mich an,"
fuhr Gerhard, dicht an ihrer Seite gehend,
fort. „Aus der Offenheit, mit der ich
Ihnen mein ganzes Leben mittheilen will,
mögen Sie sehen, daß es mir unmöglich
ist/Sie zu täuschen."
Ina schwieg noch immer.
„Viele werden meine Jugendzeit eine
glückliche nennen, weil sie mir Alles bot,
was die Jugend sich wünscht — seitdem ich
Sie kennen gelernt habe, sehe ich sie als
eine verfehlte an. Ich kannte nur das
eine Bestreben, mich zu amüsiren, denn
von dem Ernste des Lebens hatte ich keine
Ahnung. Da ich stets Geld genug besaß,
fehlte es mir nie an Freunden, welche
meine Schwächen noch befestigten. In
schlechte Gesellschaft gerathen, vergeudete
ich mein Geld und machte Schulden, ich
glaubte sogar zu lieben und muß heute
bei dem Gedanken erröthen, daß ich das,
was ich damals empfand, für Liebe hielt.
Was Liebe ist, weiß ich erst, seitdem ich
Sie kennen gelernt habe. Ina, Ihnen
verdanke ich eine neue Wendung meines
Lebens, dies ist nicht eine flüchtige, vorüber-
gehende Regung, sondern ein fester und
ernster Entschluß. In Ihrer Hand liegt
es, Alles aus mir zu machen, wollen
Sie Ihre Hand von mir abziehend"
Die Gefragte wandte den Kopf ab,

von
Friedrich Friedrich.
(Forlschnng.) Nachdruck
sie verlassen, hatte Ina geglaubt, nie
können, die Zeit hatte jedoch die Wunde

Als Brankvw
wieder lieben zu
geheilt und sie dachte jetzt mir noch mit einem Gefühle
der Entrüstung und Verachtung an Den, der ihr Herz
so schändlich getäuscht hatte. —
Einige Tage später machte sie, da sowohl ihre Tante
wie Frau Berger unwohl waren, allein einen Spazier-
gang in den der Stadt nahe gelegenen Anlagen. Sie
konnte dies um so unbesorgter thun, weil um diese Zeit
die Anlagen durch Spaziergänger belebt waren, llm
nicht erkannt zu werden, hatte sic den Schleier über das
Gesicht gezogen.
Es war das erste Mal, daß sie in M. allein aus-
ging, und es überkam sic doch cin Gefühl
der Bangigkeit unter all' den Menschen,
von denen sie keinen einzigen kannte. Sie
wäre lieber allein gewesen und doch wagte
sie nicht, in einen der weniger belebten
Seitenwege einzubicgen, weil sie nicht
wußte, wohin dieselben führten.
Ta sah sie Gerhard ihr entgegen kommen.
Er war allein und schien nicht in heiterer
Stimmung zu sein, denn er schien die ihm
Begegnenden kaum zu bemerken, da er den
Blick, wie in Gedanken versunken, aus
den Weg geheftet hatte.
Auch sie bemerkte er nicht, obschon er
ihr bereits nahe war. Ihr Herz schlug
doch schneller. Sollte sie schweigend an
ihm Vvrüberschreitcnd Noch war sie im
Zweifel, was sie thun sollte, als Ger-
hard den Kopf empvrhob und sic bemerkte.
Er schien sie noch nicht mit Bestimmtheit
zu erkennen, allein er blieb stehen. Plötz-
lich glitt ein freudig leuchtender Zug über
sein Gesicht hin, er hatte sie erkannt und
schnell trat er an sie heran.
„Sie Hütte ich hier nicht erwartet!"
rief er, indem er sie begrüßte.
„Es wurde mir zu eng im Hause —
ich sehnte mich hinaus," crwiederte Ina,
als ob sie eine Entschuldigung, weil sie
spazieren ging, Hütte Vorbringen müssen.
„Ich glaube es Ihnen," fuhr Gerhard
fort. „Ich denke es mir entsetzlich, immer
in der Gesellschaft Ihrer Tante sein zu
müssen."
Ina lächelte, denn sie dachte daran, wie
bitter Thekla Bremer sich über Gerhard
ausgesprochen hatte.
„Und doch ist sie gut, trotz ihrer
Schwächen," benrerktc sie. „Ihr Herz ist
weich, allein sie hat Vieles im Leben
erfahren, was sie verbittert hat.
 
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