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Die Erbin.
Roman
von
Stanislaus Graf Grabowski.
(Fortsetzung.) Nachdruck verboten.)
Roman SolkoMitsch ging sehr kühn zu Werke, in der
vielleicht nicht unrichtigen Voraussetzung, daß man ihn
dabei an: wenigsten suchen und finden würde. Er schlich
sich nicht dicht längs der Grenze durch, wo die Russen
auch am aufmerksamsteil waren, sondern ging in den
kürzesten Märschen quer durch das Land der Weichsel zu.
Selbstverständlich erforderte dies um so größere Behut-
samkeit, welche den Marsch sehr verzögerte. Am Tage
durften sich die Insurgenten gar nicht sehen lassen, zu-
mal sie meistens Uniformen trugen; ein Verräther würde
sich leicht gefunden haben, und gewiß wären die russischen
Truppen bald hinter ihnen her gewesen; einen Kampf ohne
die zwingendsten Umstände anzunehmen, konnte der kleinen
Schaar jedoch keineswegs gerathen er-
scheinen.
Während des Tages wurde also all
den abgelegensten Plätzen, in Sümpfen
oder Wäldern gelagert, und einzelne Leute
holten dann die nothwendigsten Lebens-
bedürfnisse vorsichtig theils gegen Bezah-
lung , theils von nahe wohnenden Pa-
trioten herbei, was oft nur in sehr
mangelhafter Weise geschehen konnte, oder
man hielt sich auf Edelhöfen versteckt,
deren gutpolnische Besitzer auf eigene Ge-
fahr hin ihre Wohnhäuser und Scheunen
öffneten; scharfe Wache mußte dann jedes-
mal gehalten werden; an solchen Orten
fand nlan auch gewöhnlich die beste Ver-
proviantirung; wie elend indessen die
erstgenannten Feldlager bei der immer
noch sehr rauhen Witterung waren, läßt
sich leicht denken.
Erst nach Einbruch der Dunkelheit
durfte Roman wagen, solche Berstecke zu
verlassen und eine möglichst weite Entfer-
nung zurückzülegen; selten fanden sich
dazu eill paar Wagen, nicht immer
einmal ein der Gegend kundiger Führer,
und seinem Scharfsinn blieb es dann
überlassen, den besten und sichersten Weg
zu wählen. Seine Leute durften dann
nicht rauchen, kaum zu einander sprechen,
die Abtheilung mußte sich nach allen
Seiten hin mit Plänklern umgeben, wozu
gewöhnlich die Reiter benutzt wurden, und
sich stets gefechtsbereit halten.
Ein Glück war es, daß sich die
kleine Schaar aus schon erprobten Krie-
gern zusammensetzte, welche sich an die
Ertragung von Strapazen und an Gehor-
sam gewöhnt hatten, ein Glück auch, daß
Roman Solkowitsch sie als Offizier so
richtig rind gut zu behandeln wußte und

eine Persönlichkeit besaß, ihnen zu imponiren und sie zu
begeistern; Dorn staunte manchmal wirklich über dieses
so schnell entwickelte Talent seines Freundes, der besonders
die für diese Leute Passende Rede in der Gewalt hatte.
Er selbst vertraute dabei Roman vollkommen, doch
wurde es ihm nicht so leicht, sich diesen ungcwöhnten
Beschwerden zu unterziehen, zumal er sich überhaupt in
sehr gedrückter Gemüthsstimmung befand; Ehr- und Pflicht-
gefühl hielten ihn hauptsächlich aufrecht.
Sie brauchten volle acht Tage, um die Grenze des
Gouvernements Lublin, die Weichsel, zu erreichen und zu
überschreiten, und in dieser Zeit schlossen sich ihnen auch
noch einige andere Versprengte an; von Jezioranski oder
einem der anderen Führer war aber nichts zu hören und
zu sehen — ganz erklärlich, da sie zur Zeit Wohl in
derselben Lage waren, sich in das tiefste Geheimniß hüllen
zu müssen.
Uebrigens wurde man ziemlich gut durch die Besitzer
der Edelhöfe unterrichtet. Frankreich und England,
welche sich bisher so warm, zum Theil drohend für die

Erzvpch»f Melchers von Köln.
Nach ekier Photographie gezeichnet von C. Kolb. iS. 198.»

Polen verwendet hatten, konnten nicht über die Bezeigung
ihrer Sympathien durch Worte hinauskommen, von
Thaten war nicht die Rede; dadurch wurde auch Oester-
reich , besonders nach Langiewicz's Niederlage, genöthigt,
an seinen Grenzen strengere Wache zu halten und schroffer
aufzutreten; Preußen hatte einen Vertrag mit Rußland
geschlossen, nach dem es die über seine Grenzen getretenen
Polen entwaffnete, sogar auslieferte, die zurückgedrängten
russischen Soldaten dagegen auf das Freundlichste auf-
nahm und an einer anderen Stelle ungehindert wieder
zurückkchren ließ. Der russische Premier-Minister Fürst
Gortschakoff vertröstete übrigens die neue Großmacht
„öffentliche Meinung" damit, daß der Kaiser es sehr gut
mit den Polen nieine und denselben nach Besiegung des
bewaffneten Aufstandes freie Institutionen, Amnestie
u. s. w. ertheilen wolle. Wie ernstlich man es damit
meinte, hat die neuere und neueste Zeit gelehrt.
In: Königreiche selbst sah es nun ungefähr folgender-
maßen aus: Czechowski und Rochebrune waren gezwungen
gewesen, über die österreichische Grenze zu gehen und sich
entwaffnen zu lassen, Lelewel im Lublin-
schen hatte am 7. März die Russen bei
Wlodawa am Bug geschlagen, wurde
dann aber rasch zurückgedrängt, und
zur Zeit ließen sich nicht große Hoff-
nungen auf ihn setzen; der anfänglich
siegreiche Mielinski im Gouvernement
Kälisch war besiegt und in der preußi-
schen Stadt Gnesen seinen Wunden er-
legen, ini Gouvernement Plock und bei
Warschau kämpften Podlewski und Czai-
kowski mit abwechselndem Erfolge; am
besten hielt sich noch Czieskowski mit
einer größeren Reiterschaar an der oberen
Warthe; der größte Theil Lithauens war
ebenfalls insurgirt.
Im Ganzen sah es recht bedenklich
nur den Aufstand aus, doch trieb die
Patrioten, an ihrer Spitze die National-
regierung, die Verzweiflung zur Fort-
setzung des Kampfes. —
Roman's Marsch im Lublin'scheu
unterschied sich nicht von dein, bisherigen,
er war nun aber doch genöthigt, sich der
Grenze mehr zu nähern, weil er dort
eher auf eine Vereinigung mit anderen
größeren Parteien rechnen durfte; in
Beziehung des Terrains erschien ihm
die sumpfige Gegend der Stadt Janvw
das passendste Ziel. Beiläufig gesagt,
betrug die Entfernung zwischen ' dieser
Stadt und deni Gute Graf Anton Ja-
zierski's ungefähr fünf bis sechs Meilen.
Unangefochten erreichte er auch dieses
vorläufige Ziel, wo er eine längere Rast
zu machen gedachte, bis er von Jezioranski
oder Lelewel bestimmte Nachrichten einge-
zogen haben würde.
Seine Abtheilung hatte — es war
in den letzten Tagen des März —
kaum einen passenden Lagerplatz aut-
 
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