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Die Fran des Arbeiters.
Roman
von
Friedrich Friedrich.
lForlsetzung.) (Nachdruck verboten.)
Mit Bestürzung bemerkte Wenzel die wüste Unordnung
in dem halb ansgernumten Zimmer.
„Was ist geschehend" rief er.
Johanna erhob sich langsam und erzählte das Vor-
gefallene.
Wenzel's Augen zuckten leidenschaftlich, zornig.
„Das sollen sie büßen!" rief er. „So weit geht die
Frechheit! Es ist nicht genügend, daß ich mit der Un-
vernunft und Rohheit der Männer zu kämpfen habe, ihre
Weiber überfallen und berauben Dich! Kennst Du sied"
„Nein, ich habe sie nie gesehen," gab Johanna zur
Antwort.
„Weil nicht Alles nach ihrem Wunsche geht, deshalb
klagen die Männer mich an," fuhr Wenzel aufgeregt fort.
„Liegt es in meiner Hand, Fröbel's harten Sinn zu
beugen! Kann ich ihn zum Nachgeben zwingen! So lange
sie auf Gewinn hofften, stimmten sie mir freudig bei, jetzt
wo es anszuharren gilt, verlieren sie den Muth! Aber
sie sollen ausharren, ich will sic zwingen, das gegebene
Wort zu halten!"
„Wirst Du Etwas dadurch erreichend" sagte Johanna.
Wenzel schwieg.
„Karl, noch ist es nicht
zu spät, um einzu-
lenken," fuhr Johanna
fort. „Geh' zu Fröbel,
er wird euch unter den
früheren Bedingungen
wieder inArbcituehmeu."
„Nein — nein!" un-
terbrach sic Wenzel hef-
tig. „Dies wäre der letzte
Schritt, den ich thäte,
denn durch ihn würde
ich meine Ehre dahin-
geben und mich lächer-
lich machen! Sprich
nicht davon, ich will
dies nicht hören, auch
von Dir nicht! Die
wahnsinnigenFraucnha-
ben Dich erschreckt und
besorgt gemacht, das Ge-
richt soll gegen sie ein-
schreiten!"
„Nein, Karl!" bat
Johanna. „Ich beur-
theile die Unglücklichen
nicht so hart. Was
sollen sie beginnen, wenn
der Hunger an ihnen
nagt und ihre Männer
ihnen nicht helfen! Es

war eine bleiche Frau dabei, die hob ein Kind empor,
welches krank und elend aussah. Schon zwei Kinder hat
sie durch den Tod verloren, auch das Leben ihres dritten
und letzten Kindes ist in Gefahr, wenn sie ihm nicht
gute und kräftige Nahrung bietet, und sie konnte ihm nicht
einmal ein Stück Brod geben, nm seinen Hunger zu
stillen. Willst Du eine Mutter vernrtheilen, die für
ihr Kind Alles thut, die durch Verzweiflung znin
Aeußersten getrieben wird! Klage den Mann an, der
sie dahin gebracht hat!"
Wenzel wandte sich ab. Diese Worte trafen auch
ihn und er konnte nichts darauf erwiedern.
Um dieselbe Zeit betrat auch Hassel das Haus, um
sich zu seiner Schwester zu begeben, die er seit mehreren
Tagen nicht gesehen hatte. Seine Augen strahlten, denn
eine Hoffnung, die er bereits für immer aufgegeben, war
neu erstanden. Gerhard hatte ihm geschrieben und ihn
gebeten, seine Schwester zu bewegen, ihm in die Stadt,
in welcher er jetzt lebte, zu folgen.
„Sagen Sie-Betty," schrieb er, „daß ich nicht im
Stande sei, sie zu vergessen. Mehr denn je denke ich
hier an sie und immer mehr fühle ich, daß ich ohne sie
nicht leben kann. Wohl sind meine Mittel hier beschränkter,
allein sic reichen doch aus, um Betty ein stilles und
sorgenfreies Leben zu schaffen, und Betty weiß, daß ich
mit Freuden meinen letzten Thaler für sie hingebe. Nur
auf Eins muß sie hier verzichten, auf öffentliche Ver-
gnügungen, da ich sie zu denselben nicht begleiten kann.
Ich werde glücklich sein, wenn ich täglich nur eine ein-

zige halbe Stunde bei ihr zubringen kann, dafür soll sie
aber auch all' die Liebe empfangen, die mein Herz mir
geben kann. Ich würde Betty selbst geschrieben haben,
allein ich weiß, daß Sie ihr meinen Wunsch besser sagen
können als ich, weil Ihr Mund beredter ist und Sie
einen großen Einfluß auf sie ausüben. Ist Betty bereit,
meinem Wunsche zu folgen, so geben Sie mir sofort
Nachricht, damit ich eine Wohnung für sic micthen kann."
Diese Kunde wollte er seiner Schwester überbringen
und er zweifelte nicht, daß auch sic sich freueu werde,
denn aus Gerhard's Briefe sprach eine aufrichtige Liebe.
Er langte an der Wohnung seiner Schwester an und
fand die Thüre verschlossen, ungeduldig pochte und klingelte
er, Niemand öffnete. Um diese Zeit Pflegte Betty nicht
auszugehen, und wenn sie wirklich fortgegangen war,
weshalb öffnete ihr Dienstmädchen nicht d Noch einmal
pochte er heftig und lauschte, drinnen blieb Alles stille.
Er begab sich zum Wirthe, um von ihm Auskunft zu
erhalten.
„Sie ist verreist," gab der Wirth auf seine Frage
zur Antwort.
„Verreist?" wiederholte Hassel erstaunt. „Wannd"
„Gestern Morgen."
„Wohin?"
„Das weiß ich nicht," entgegnete der Wirth. „Das
Fräulein übergab mir den Schlüssel zu ihrer Wohnung,
damit ich denselben bis zu ihrer Wiederkehr ausbewahre."
„Wann wird sie wiederkehrend
„Das weiß ich nicht, ich denke jedoch nicht so schnell,
weil sie viel Sachen mit
sich genommen und ihr
Dienstmädchen für die
Zeit in seine Heimath
geschickt hat."
Hassel's Erstaunen
wuchs von Minute zu
Minute.
„Es ist mir unbe-
greiflich!" rief er. „Ist
sie allein fortgcreist?"
„Ja."
Hassel begriff das Ge-
schehene nicht. Noch vor
zwei Tagen hatte sie ihm
einige Zeilen geschrieben,
in denen sie nm Geld
bat; er hatte den Brief
unbeantwortet gelassen,
weil er nicht im Stande
gewesen war, ihr das
Gewünschte zu über-
senden. Wie konnte sie
ohne Geld eine Reise
unternehmen und wohin
konnte sie überhaupt ge-
reist sein?
, Unwillkürlich richteten
seine Gedanken sich auf
Gerhard. Sollte er Betty
eschrieben und sie ge-
eten haben, zu ihm zu

Hans Andreas Krygcr. (S. 48K.)
 
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