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Die Erbin.
Roman
von
Stanislaus Graf Grabowski.
(Fortsetzung.)
Mit Thräncn in den Angcn kam die Eomtesse zu
Fräulein Krüger zurück und erzählte dieser, die dadurch
sehr erschreckt wurde, aber auch nicht den mindesten guten
Rath zn geben wußte, was geschehen sei, wobei sie sich
indessen sorgfältig hütete, den Verdacht, an den sie selbst
schon wieder nicht glauben wollte, auszusprechen, daß
dieser Gregor gar nicht ihr Bruder sein möge; daß man
eine andere Person an Stelle des Verstorbeneil vorschieben
sollte, erschien ihr als ein so ungeheures Verbrechen, daß
sie an dcssei: Möglichkeit nicht zu glauben wagte.
Fräulein Krüger kau: dies auch gar nicht in den
Sinn, indessen machte sie sich den mate-
riellen Nachthcil, der Josepha aus dem
Wiedererscheinen ihres Bruders erwachsen
mußte, klarer wie diese selbst und gerieth
in große Angst. Man hätte gern sofort
einen Brief an Doktor Dorn geschickt,
doch war er ja zur Zeit nicht in Opatow,
sondern in dem ferneren Radom, und man
traute auch nicht der Zuverlässigkeit der
Boten, da Gräfin Valeska zweifellos,
wenn sie etwas Uebles im Schilde führte,
scharf beobachten lassen würde. Es blieb
daher nichts Anderes übrig, als die
Rückkehr Dorn's ruhig abzuwarten, und
Josepha, die sich jetzt wieder wie eine
Gefangene auf ihrem väterlichen Erbguts
fühlte, beschloß, eine Krankheit vorzu-
schützen und einstweilen jeden persönlichen
Verkehr mit Gräfin Valeska dadurch äbzu-
brcchen.
Sie führte diesen Plan auch mit
Entschlossenheit durch, wiewohl die Gräfin
sich, selbst unter wohlwollenderen Formen,
alle Blühe gab, sie zu sprechen; Fräulein
Krüger hatte einen harten Stand, eine
solche Zusammenkunft abzuwebren.
Inzwischen trat der junge Graf Gregor
schon wie ein unbeschränkter Herr auf
Opalin auf und ließ es sich dabei beson-
ders angelegen sein, durch ein so mildes,
herablassendes Benehmen, wie es mit
seinem natürlich rohen Wesen überhaupt
vereinbar war, die Leute für sich zn
gewinnen. Dies blieb auch nicht ohne
Erfolg, denn der gemeine Mann ohne
Bildung, wie dort zu Lande, in erniedri-
gender Knechtschaft erzogen, küßt schon
die Hand, die ihn schlägt, um wieviel
mehr die, welche ihn streichelt! — —
Doktor Dorn hatte in Radom zuerst
seinen Freund Roman Solkowitsch ausge-
sucht und logirte in dessen Junggesellen-

quartiere. Er erstattete ihm einen ausführlichen Bericht
von seiner Reise nach und von Paris und in ernstester
Weise mich über die Verhältnisse auf Opalin, nur in
einen: Punkte bewahrte er die strengste Zurückhaltung,
nämlich über feine persönlichen Beziehungen zu Josepha.
Roman war ganz einverstanden mit ihn: darin, daß es
am besten sein würde, wenn Gräfin Valeska Opalin so
bald wie möglich verließe.
Die beiden jungen Männer brachten ihre Abende, da
cs ihnen an intimeren Familienbekauntschaftcn in Radom
fehlte, gewöhnlich in einem der besten Restaurants zu,
wo sich zuweilen auch Kollegen und Bekannte von Roman
einfanden.
Dorn hatte fünf Tage für seinen Aufenthalt in der
Stadt festgesetzt, und cs war an: Abende des letzten der-
selben, als er mit Roman wieder jenes Lokal betrat.
Als sie dem Plätzchen, das sie gewöhnlich in: ge-
schlossenen Bekanntenkreise einnahmen, durch die Reihen
der übrigen zahlreichen Gäste zuschrittcn, hörte der Doktor

seinen Namen rufen und entdeckte, gerade nicht zu seiner
freudigen Ueberraschung, Graf Anton Jazierski, der mit
einen: jüngere,: Herren ein Tischchen in einer Wandnische
eingenommen hatte.
Der Graf begrüßte ihn so freundlich, daß er nicht
umhin konnte, dies zu erwiedern und eine Einladung,
sich an seinen Tisch zn setzen, anzunehmen; Roman ging
weiter auf den alten Platz, und der fremde Herr wurde
Dorn als ein Herr v. Koslowski, Rittergutsbesitzer und
ehemaliger russischer Kavalerie-Offizier, vorgestellt.
Die Unterhaltung zwischen ihnen bewegte sich an-
fänglich über ganz allgemeine Gegenstände, und Graf
Anton äußerte nur ganz kurz, daß er die Absicht habe,
wieder seine Cousine, Gräfin Valeska auf Opalin, für
einige Tage zu besuchen und dabei die liebenswürdige
Erbin, Comtesse Josepha, kennen zu lernen. Was den
Herrn v. Koslowski aubetraf, einen sehr stattlichen Mann
von einigen dreißig Jahren, der einen gewaltigen Schnurr-
bart trug, so verhielt er sich ziemlich schweigsam und
benahm sich gegen Dorn in beinahe
empfindlich zurückhaltender Weise, als ob
er ihn nicht recht für Seinesgleichen
ansehen wollte.
Zufällig oder absichtlich von Seiten
des Grafen wurde das Gespräch auch auf
die deutsche Nationalität geführt, und
Herr v. Koslowski beurtheilte dieselbe in
so verletzender Weise, daß der Doktor die
größte Mühe hatte, seinen herbsten Un-
willen darüber in Schranken zu halten;
als er aber endlich überzeugt zu sein
glaubte, daß Jener die Absicht einer per-
sönlichen Beleidigung hegte, warf er auch
die Rücksichten bei Seite, die er bisher aus
Höflichkeit beobachtet hatte, und sagte
ihn: in gemessener Weise ordentlich die
Wahrheit.
Graf Anton spielte bei Alledem eine
höchst verdächtige Nolle; er stellte sich,
als wolle er vermitteln, schürte damit
aber nur noch das Feuer, das zwischen
den beiden Herren entbrannt war.
Wiewohl Doru immer noch Mäßigung
zu bewahren wußte, schien fein Gegner
doch gewaltsam einen Eklat herbeiführen
zu wollen; er wurde Persönlich beleidigend,
und als der Doktor sich erhob, um sich
mit Nichtachtung eines so unvernünftigen
und taktlosen Menschen zn verabschieden,
schleuderte er ihn: eine förmliche Heraus-
forderung in das Gesicht.
Man mag gegen die Berechtigung des
Duells sagen, was man will — auch mit
dem vollsten Rechte, so lange man es nur
nicht als eine bloße Thorheit hinstellt —
so gibt es doch Umstände, die den Mann
von Stand und Erziehung darauf als
letztes Mittel, seine Würde zu bewahren,
gebieterisch Hinweisen; wie der fried-
liebendste Mann ans niederen: Stande
seine Fäuste gebrauchen muß, wenn

Eduard Mörike,
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb. (S. 64.)
 
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