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Die C r l> r n.
Nomair
von
Stanislaus Graf Grabowski.
(Fortsetzung.) Nachdruck verboten.
Langiewicz wollte deshalb noch einen Versuch machen,
sich mit dem Parteiführer Jezioranski zu vereinigen, der
bis dahin an der oberen Warthe operirt hatte, und
marschirte ihm im Thale der Nida nach Norden ent-
gegen bis zum Städtchen Matagoszcz, westlich von Kielce
gelegen. Diese Vereinigung wurde am Morgen des
24. Februar auch glücklich bewerkstelligt, man mußte sich
jedoch nach einem recht hitzigen Gefechte mit den Russen,
welche viertausend Mann zählten und mit sechs Kanonen
feuerten, wieder südlich zurückziehen. In diesem Gefechte
wurden Langiewicz zwei Pferde unter dem
Leibe erschossen und er selbst am Fuße
leicht verwundet; die polnischen Sensen-
männer eroberten zwei Geschütze, mußten
dieselben aber nachher stehen lassen.
Die vereinigten Parteien marschirten
nun auf Miechow, fanden die Stadt jedoch
zu stark beseht, um einen Angriff unter-
nehmen zu können, und bezogen am
Abende des 4. März ein Lager bei dein
Torfe PiaSkowo-Skala, das einige Meilen
südwestlich von Miechow und nahe der
österreichischen Grenze liegt.
Dieses Dorf liegt an einer tiefen be-
waldeten Schlucht, auf deren Grunde ein
breiter Bach über Felseusteine fortströmt
und zuweilen kleine Wasserfälle bildet
und die sich ein paar Stunden weit mit
mehrecn zerklüfteten Seitcnthälern in
unregelmäßigen Krümmungen erstreckt.
Dichtes Gesträuch und alte hohe Bäume
jeder Gattung bedecken die steil aufstei-
genden Wände dieser Schlucht, wodurch
sie, besonders im Winter, ein ungemein
düsteres Ansehen erhält. Das Dorf mit
weit auseinander gebauten Hütten liegt
ziemlich hoch, am höchsten der Kirchhof
an feinem Ende mit dem kleinen, unan-
sehnlichen Gottcshause.
Hier langte das Corps des Diktators,
das ungefähr 6000 Mann, davon ein
Fünftel nur mit Gewehren, der Rest mit
Sensen bewaffnet, zählte, dabei auch
200 bis 300 Reiter unter Befehl des
Grafen Czapski, zwei eiserne Kanonen
und drei leichte Falkonets, an und lagerte
sich im Grunde der Schlucht, der jetzt
mit Schnee bedeckt war. Die Ermüdeten,
denen es fast an allen Bequemlichkeiten
fehlte, dursten sich nicht einmal einer
vollständigen Ruhe hingcbcn, da eine Ver-
folgung von Seiten der Russen zu befürch-
ten blieb, und zahlreiche Reiterpatrouillen
wurden nach allen Seiten ausgeschickt;

Fähigkeit noch an dein besten Willen fehle, ihnen vor-
kommenden Falles zu helfen. Unter solchen Umständen
kann ein Arzt gerade sich die wärmste Zuneigung ge-
winnen.
Wie schon erwähnt, war es jetzt, wo die Kämpfe
mit den Russen manche Wunde geschlagen, die Anstrengung
der Märsche manche Krankheit gebracht hatte, für Dorn
kaum denkbar, daß er seine bisherigen Freunde schnöde
verlassen sollte; durch den längeren Aufenthalt bei ihnen
büßte sein eigentlicher Zweck auch nichts ein. Wan er-
hielt im polnischen Lager die vortrefflichsten Nachrichten
durch die sogenannte geheime Gendarmerie, die selbst viele
Weibliche Mitglieder zählte; der Polizei- und Botendienst
war ganz vorzüglich organisirt. Dorn blieb dadurch in
ziemlich lebhafter brieflicher Verbindung mit seiner Blut-
ter in Opatow und wußte durch sie, daß man daselbst
noch immer keine Spur von Jvscpha's Verbleiben habe;
er erfuhr auch, daß sich Niemand von
der Olinski'schen Familie auf Opalin
befand — was hätte es ihm daher ge-
nützt, jetzt nach dein einen oder anderen
Orte zurückzukehren? — Dagegen blieb
ihm hier die einzige Hoffnung, von Jo-
sepha's Schicksal, das, aller Vermuthung
nach, gewaltsam bestimmt wurde, Kcunt-
niß zu erhalten, denn mau fetzte diese
Nachforschungen mit Eifer fort.
Der Doktor hatte sich jetzt schon zu
allen seinen neuen Freunden ziemlich offen
über seine Beziehungen zu der jungen
Gräfin Olinska ausgesprochen, und Alle
waren bereit, ihn nach besten Kräften
zu unterstützen, da sie ihm und ihr die
lebhafteste Theiluahme schenkten.
Erwähnen wir aus diesem Freundes-
kreise nur noch kurz einiger Persönlichkei-
ten, die sich damals in'das Album der
Geschichte eingeschrieben haben und we-
nigstens ihren Landsleuten unvergeßlich
bleiben werden: neben Langiewicz die
bedeutendste, den greisen Oberst Wal i'gorski,
der ein Jägerbataillon organisirt hat und
die gesammte Infanterie des Diktators
befehligt, während der feurige junge Graf
Czapski die Ulanen führt, den edlen
Jezioranski, der sich — ein nicht gerade
häufiger Zug bei den polnischen Partei-
führern — unbedingt Langiewicz unter-
ordnet, um seinem Vaterlande die besten
Dienste, frei von allem Egoismus, leisten
zu können, den abenteuerlich kühnen Fran-
zosen Rvchcbrune, Führer der Polnischen
Zuaven, und Fränlein Pvstvwojtoff, der
als „weiblichem Adjutanten des Diktators"
so viele Romantik angedichtet worden ist,
die in der That aber in gar keinen näheren
Beziehungen zu ihm stand und, bewun-
derungswürdig durch ihren thatkräftigen
Patriotismus, der sie furchtlos die Masten
ergreifen ließ, auf Berühmtheit eigentlich
nur dadurch Anspruch hat, daß sie später

die Vorhut übernahm nach der gefährlichsteil Richtung
hin, auf dem Wege nach Miechow, Oberst Jezioranski
mit seiner Abtheilung Derselben war seit mehreren Tagen
fchoii Doktor Dorn behufs der ärztlichen Hilfeleistung bei-
gegeben worden.
Bisher hatte er alle Strapazen und Gefahren mit
dein Langiewicz'schen Corps willig und getreulich bestan-
den; wenn ihn nicht die fortwährende Unruhe um das
Schicksal Josepha's, die Sorge, der sich seine Mutter
zweifellos hingab, und seine eigene Zukunft überhaupt
bewegt hätten, würde er mit voller Seele bei den jetzt
übernommenen Pflichten und der' Sache, für welche er
dieselben leistete, gewesen fein. Doch auch so that er
seine Schuldigkeit im vollsten Maße und erfreute sich der
freundschaftlichsten Achtung der Führer und des größten
Vertrauens der sümmtlichen Kämpfer, die bald die Ueber-
zeugnng gewonnen hatten, daß es ihm weder an der

Karl Klaus vau der Decke», dcr deutsche Asrika-Neiseude. (T. 102)
Nach einer Photographie gezeichnet von C. Kolb.
 
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