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bis zum Abende aufhalten könnten, sie möge auch Doktor
Dorn ersuchen, sie zu begleiten, falls sie dies wünschte. Der
Doktor war nun aber einmal nicht dagewcsen und so
schnell nicht zu erlangen; es blieb daher nichts übrig,
als daß die Comtesse dieses Mal mit Fräulein Krüger
reiste, entschlossen, sich zu keinem entscheidenden Schritte
ohne seine Zustimmung bewegen zu lassen.
Sehr auffällig und beunruhigend konnte es nun er-
scheinen, daß sie nicht schon Abends, wie sie versprochen
hatte, zurückgekehrt war, umsomehr als Opalin gerade
an der Straße nach Wachset lag, welche die Insurgenten
eingeschlagen haben sollten.
Unter solchen Umständen konnte Dorn nicht zögern,
ihr zu folgen, und so besorgt seine Mutter auch um ihn
selbst war, wagte sie doch nicht ihm davon abzureden.
Um Mittag war er auf Opalin; unterwegs hatte er
schon erfahren, daß die Partei des Langiewicz die Straße
verlassen und sich in das Gebirge gewandt habe; bis nach
Opalin war sie gar nicht gekommen.
Dennoch sah es auf dem Gute und im Schlosse bunt
genug aus; die Leute hatten sämmtlich den Kopf ver-
loren und die Herrschaft — war fort.
Dem Bestürzten wurden durch den alten Ignaz, einem
Mann, an sdessen Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit er nicht
zu zweifeln brauchte, folgende Mitthcilungcn:
Von der Ankunft von Gerichtsbeamten wußte er nicht
das Blindeste, nur, daß die Comtcsse und Fräulein Krü-
ger von Gräfin Valeska erwartet wurden und bald Nach-
mittags cingetroffen waren. Seitdem hatte er die Damen
bis zum späten Abende nicht wieder gesehen; sie bedurften
keiner anderen Bedienung wie der Kammerfrau der
Gräfin. Die Nachricht von dem Anmarsche Langiewicz's
brachte eine große Verwirrung auf dem Gute mit sich;
ihm wurde bedeutet, die Herrschaft wolle sich flüchten,
und er mußte zwei geschlossene Wagen mit den besten
Pferden in Bereitschaft setzen lassen. Die Abreise ver-
zögerte sich indessen bis nach Eintritt der Dunkelheit;
den einen Wagen bestiegen dann, wobei nur ein paar
Leute zugegen waren, die Graf Anton neuerdings von
seinen: Gute als eigene Bedienung kommen gelassen hatte,
der Graf, die Comtesse und Fräulein Krüger, und Graf
Gregor begleitete ihn zu Pferde, später den anderen Gräfin
Valeska mit ihrer Kammerfrau, nachdem sie ihn: noch
einige Instruktionen über Führung des Hauswesens für
den Fall längerer Abwesenheit gegeben hatte; beide Wagen
fuhren, zu seiner Verwunderung, in der Richtung ab,
von welcher die Insurgenten gerade erwartet wurden.
Dorn fühlte sich durch diese Nachrichten auf das
Acußerste erschreckt; er hielt sich überzeugt, daß man
Josepha wider ihren Willen und nut Gewalt entführt
habe, denn selbst eine listige Verlockung war nicht denk-
bar, da sie ihre Feinde schon gut genug kennen mußte. In
diesem Fälle drohte ihr eine große Gefahr, und wer sollte
sich mehr wie er dazu berufen gefühlt haben, ihr unter
allen Umständen zu Hilfe zu kommen? —
Eine Anzeige bei den Behörden zu machen, würde
zuviel Zeit erfordert haben, auch ließen sich noch nicht
genügende Grundlagen für dieselbe finden, und übrigens
war es am wahrscheinlichsten, daß man Josepha in einen
Bezirk gebracht hatte, wohin die Hand des Gesetzes zur
Zeit nicht mehr reichte; diese Verinuthung stimmte auch
mit den Angaben Ignaz' über die Ungeschlagene Richtung
überein; zwar begriff Dorn nicht, in welcher Verbindung
Gräfin Valeska und ihre Helfershelfer mit den Insur-
genten stehen konnten und welche Unterstützung für ihre
Pläne sie von denselben erwarteten, aber eine solche An-
nahme lag hier eben am nächsten.
Welch' lebhaftes Interesse, von Jugend auf von
seiner Mutter gepflegt, Dorn auch für die polnische Sache
besaß, war es ihm doch noch nicht eingefallen, sich irgend-
wie an diesem Aufstande zu betheiligen, dem er keinen
glücklichen Ausgang prophezeien zu dürfen glaubte. Jetzt
zögerte er indessen nicht lange mit dem Entschlüsse, sich
zu den Insurgenten zu begeben, um Josepha aufzusuchen
oder doch eine Nachricht von ihrem Verbleibe zu erhalten;
der Polizei gegenüber war er ohnehin schon kompromittirt,
und seine Praxis vermochte er nicht mehr mit der nöthigen
Mühe zu besorgen; Jene hießen ihn als Arzt gewiß will-
kommen, wenn er sich auch nicht verpflichtete, bei ihnen
Zu bleiben, er konnte ihnen manchen Nutzen stiften und
dafür auf ihre Dankbarkeit rechnen bei den Versuchen,
Josepha zu ermitteln — die polnische Polizei war ja
zur Zeit besser wie die russische.
Nachdem er sich noch durch andere Erkundigungen
überzeugt hatte, daß ihn: Ignaz die Wahrheit gesagt,
kehrte er unverzüglich nach Opatow zurück, daselbst die
nothwcndigsten Reisevorbereitungen zu treffen und seinen
Entschluß bei seiner Mutter zu rechtfertigen. Frau Dorn
war nun allerdings sehr erschrocken und betrübt über
bas Geschehene und noch Bevorstehende, doch fürchtete
sie selbst zu große Gefahren für Josepha, die sic bereits
-als ihre Tochter betrachtete, als daß sie Oskars Plänen
zu ihrer Rettung Hindernisse in den Weg gelegt haben
sollte.
Schon an: folgenden Tage brach er auf dein Wege
nach dem Gebirge auf, nachdem er bei allen Bekannten
vorgegeben hatte, er sei zu einer sehr wichtigen Operation
von einem vornehmen Patienten nach dessen Heimath in:

Das Buch für Alle.
Süden des Gouvernements Lublin berufen worden und
werde vcrmuthlich einige Tage, vielleicht gar Wochen
fortbleiben; Niemanden fiel es ein, an der Wahrheit
dieser Angabe zu zweifeln, und au: wenigsten vermuthcte
man, daß er sich zu den Insurgenten begeben wolle, da
mau ihn mehr als Deutschen wie als Polen ansah.-
Man höre nun, was Josepha seit ihrem Eintreffen
auf Opalin zugestoßen war.
Weder sie noch Fräulein Krüger befürchteten eine
Gewaltthat und glaubten auch nicht an die Möglichkeit
einer solchen, doch näherten sie sich den: Schlosse niit
sehr peinlichen Empfindungen in Aussicht auf das per-
sönliche Zusammentreffen mit Gräfin Valeska und Graf
Gregor.
Der Letztere kam ihnen schon vor der Thüre mit
einer Artigkeit, sogar einem Anfluge voi: Herzlichkeit
entgegen, der Josepha in Erstaunen setzte, und während
er sie zu seiner Mutter führte, entschuldigte er, daß sie
die Beamten noch nicht sogleich antreffen würde, denn
dieselben hätten sich wegen ihrer, Jofepha's, Abwesenheit
noch zu einem anderen gerichtlichen Akte, den sie in der
Nachbarschaft vollziehen müßten, begeben, wollten aber im
Laufe des Nachmittags wiederkehren.
Diese Eröffnung war der Comtesse keineswegs an-
genehm, denn sie sehnte sich gerade nicht nach einer
langen Privatunterhaltuug mit ihrer Stiefmutter, und
noch mehr betroffen wurde sie, als ihr die Letztere, die
sic mit mehr förmlicher Freundlichkeit empfing, ihren
Cousin, den Grafen Anton, vorstellte, von den: sie durch
Dorn bisher nicht das Beste gehört hatte.
Dieses Herren Persönlichkeit sprach sie auch durchaus
nicht an, und wie er sich auch bestrebte, ihr Achtung
zu erweisen, so sand sie darin doch eine beinahe unpassende
Vertraulichkeit und überhaupt iu den Mienen Aller ein
gewisses triumphirendes Lauern, das sie beunruhigte.
Schon jetzt bereute sie, sich nach Opalin begeben zu
haben, zumal die Wiederabrcise der Gerichtsbeamten, für
die sie in so dringender Weise hieher citirt worden war,
sehr auffällig erscheinen konnte; indessen ließ sich jetzt
nur gute Miene zum bösen Spiele machen, doch blieb
sie entschlossen, keinenfalls die Nacht auf dem Schlosse
zuzubringen, sollte sie auch genöthigt sein, anderen Tages
noch einmal dahin zurückzukehren.
Die Prozeßangelegenheit der Familie wurde bei der
Unterhaltung gar nicht berührt, höchstens der Wunsch
und Nutzen einer gütlichen Ausgleichung ganz leise an-
gedeutet; es schien, als ob es sich heute um solche Vor-
schläge handle. Von Doktor Dorn war auch nur wenig
die Rede und keine Anspielung auf intimere Beziehungen
zwischen ihm und Josepha fiel vor; Gräfin Valeska, die
von seiner Reise nach Radom noch nichts gewußt zu
haben schien, bedauerte nur kühl seine Abwesenheit, und
Graf Anton erwähnte kurz einer früheren Bekanntschaft
mit ihm.
Alle thaten sich offenbar Zwang an, ihre Empfin-
dungen zu verstecken und gleichgiltige Worte zu wühlen,
und nach einem gemeinsamen kleinen Diner nahmen Jo-
sepha und Fräulein Krüger gern die Gelegenheit wahr,
sich in die für sie vorbereiteten Zimmer zurückzuziehen,
um etwas zu ruhen.
Kaum eine Stunde später verbreitete sich auf den:
Schlosse das Gerücht von den: Anmarsche der Insur-
genten und erzeugte jene Verwirrung, von der Ignaz
Doktor Dorn berichtet hatte.
Die beiden Damen, die sich ohnehin schon Besorgnissen
Hingaben, wurden sehr bestürzt durch das Hin- und Her-
laufen und Schreien der Leute in: Hause und auf den:
Hofe. Die erste Aufklärung darüber erhielten sie bald
durch Gräfin Valeska selbst, die zu ihnen geeilt kam und
sich in der größten Aufregung zu befinden schien; sie
sprach davon, daß man unverzüglich von Opalin fliehen
müsse.
Josepha begriff eine solche Nothwendigkeit gerade
nicht; was konnten die Gräfin, ihr Sohn und Vetter,
alle geborene Polen, von ihren Landsleuten zu befürchten
haben, wenn sie denselben nur einigermaßen bereitwillig
begegneten? — Auch ließ sich schwer annchnien, daß
Langiewicz lange auf Opalin verweilen würde, wenn er
einmal die Absicht hegte, Opatow zu erreichen.
Sie sagte dies unverhohlen ihrer Stiefmutter und
auch Graf Anton und Gregor, die inzwischen hinzu-
gekommen waren und sich ebenso ängstlich stellten; doch
sie Alle erwiederten ihr, daß sie die Insurgenten an und
für sich Wohl nicht fürchteten, sondern Unannehmlichkeiten
von Seiten der Russen, wenn sie sich freundlich gegen
Jene bezeigt Hütten; auch wäre eS nicht unmöglich, daß
man an Gregor die Forderung stellte, sich dem Kampfe
anzuschließen, und dazu besaß er augenscheinlich nicht
die mindeste Lust.
Da nun nur vom schleunigsten Aufbruche die Rede
war, hielt Josepha es für das Beste, ebenfalls sogleich
nach Opatow zurückzukehren, indessen suchte man ver-
geblich ihren Wagen; vcrmuthlich hatte der Postillon im
ersten Schrecken sich damit schon aus dem Staube nach
der Stadt gemacht. Gräfin Valeska sagte, sie müsse den
direkten, nach Norden führenden Weg nach Radom ein-
schlagen, und dahin wollte Josepha sie natürlich nicht
begleiten; dagegen erboten sich Graf Anton und Gregor,

Heft 4.
sie nach Opatow zu geleiten und erst auf diesem Umwege
der Gräfin zu folgen.
So ungern sich die Comtcsse diesen beiden Herren
auch nur für die kürzeste Zeit anvcrtraute, mußte sie sich
doch, da dieselben darauf bestanden, entschließen, es an-
zunehmen. Mittlerweile war die Dunkelheit schon ein-
gebrochen und zwei Equipagen wurden zur Abreise vor-
bereitet, jedoch verging noch eine geraume Zeit, bis sie
fertig waren. Bei der im Hause herrschenden Konfusion
konnte man zu keiner ruhigen Unterredung mehr gelangen;
Alles wurde überstürzt, und bei Fräulein Krüger fand
Josepha auch keinen besonnenen Rathschlag.
Einmal tauchte in ihr die Idee auf — sie erinnerte
sich jetzt erst wieder, daß sie ja die eigentliche Herrin
auf Opalin sei — sie wolle im Schlosse, das die Anderen
verließen, einstweilen bleiben und sich in aller Güte nut
den Insurgenten abfinden, aber Alle überhäuften sie, als
sie dies aussprach, mit Gegenvorstellungen und Fräulein
Krüger beschwor sie, sich nicht einer so großen Gefahr
auSzusetzen und sich ihrer Freunde in Opatow zu erinnern,
die um sie iu äußerster Besorgnis; schweben würden, wenn
sie nicht noch an diesem Abende hcimkehrtc.
Der Wagen Gräfin Valeska's kam übrigens nicht
früher fort wie der andere, den Josepha nut ihrer Be-
gleiterin und Graf Anton besteigen sollte, denn Erstere
hatte noch zuviel Anordnungen zu hinterlassen; sie nahm
nur ganz kurzen Abschied von Josepha, welche umsonst
wenigstens Gregor zu bewegen suchte, daß er seine Mutter
begleite; die Nähe der beiden Herren war ihr keineswegs
tröstlich, zumal sie sich überzeugt hielt, daß sie iu: Falle
eines Zusammentreffens mit den Insurgenten an ihnen
nicht die eifrigsten und tapfersten Beschützer finden
würde.
Als der Wagen den Schloßhof verließ, war die
Dunkelheit schon so tief geworden, daß die Damen nicht
mehr zu erkennen vermochten, welche Straße er einschlug,
doch versicherte Graf Anton wiedcrholentlich, man befinde
sich auf dem richtigen Wege nach Opatow, der sich auch
schwer verfehlen ließ. Gregor, der eine Strecke voraus
ritt, aber öfter wieder hcrankam, bestätigte dies.
In dem geschlossenen finsteren Wagen war es eigent-
lich recht unheimlich, und Josepha konnte sich dieses Ge-
fühles umsoweniger erwehren, als Graf Anton nur von
ganz schrecklichen Greueln zu erzählen wußte, welche die
Insurgenten hier und da angerichtct haben sollten; es
sah beinahe aus, als ob er die beiden Damen absichtlich
ängstigen wollte.
Außerdem fiel cs der Comtesse nach einiger Zeit auf,
daß die Pferde eine sehr wechselnde Gangart hielten, und
an den Bewegungen des Wagens ließ sich bemerken, daß
derselbe bald bergauf, bald bergab geführt wurde; die
Landstraße nach Opatow besaß aber wenig solche Er-
hebungen und Senkungen. Sie konnte endlich nicht
umhin, den: Grafen ihre Verwunderung darüber aus-
zudrücken.
„Beunruhigen Sie sich deshalb durchaus nicht, liebe
Nichte," antwortete er ihr — so vertraulich hatte er sie
bisher noch nicht genannt, und diese Bezeichnung war für
ihren weitläufigen Verwandtschaftsgrad auch nicht recht
passend — „Gregor wird wahrscheinlich den Kutscher
angewiesen haben, einen Seitenweg einzuschlagen, der uns
ebenso gut, wenn auch vielleicht nut unbedeutenden: Zeit-
verluste, an das Ziel führt; vcrmuthlich hält er die große
Straße nicht mehr ganz sicher."
„Aber man hätte mich doch von einer solchen nicht
verabredeten Aendcrung in Kenntniß setzen sollen, Herr
Graf," bemerkte Josepha etwas empfindlich; „ich fürchte
mich weniger vor den Insurgenten, wie davor, daß wir
den Weg verfehlen könnten."
„Das geschieht gewiß nicht," entgegnete Graf Anton
kurz, „Gregor kennt ihn."
Die Comtesse war in dieser Gegend nicht bekannt
genug, um bcurtheilen zu können, welche Richtung mau
eingeschlagen hatte; als jedoch so viel Zeit vergangen war,
daß man in der Nähe von Opatow sein mußte, erregte
ein neues Vorkommnis; ihr höchstes Mißtrauen.
Der Wagen hielt nämlich plötzlich, und sie hörte die
Stimmen fremder Männer, nut denen Gregor, der die
seinige sehr dämpfte, unterhandelte; aus einzelnen Worten
und eigenthümlichem Geräusche wurde ihr klar, daß man
sich in: Begriffe befand, auf einer Führe über einen
größeren Fluß zu fetzen; ein solcher kreuzte aber gar
nicht den Weg nach Opatow.
„Was ist das, Herr Graf?" fragte sie sehr entschie-
den. „Ich verlange, daß Sie mir sagen, wo wir uns
hier befinden, oder ich ziehe es vor, den Wagen auf der
Stelle zu verlassen!"
„Still, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, Comtesse!"
erwiedcrte er in barschem, drohendem Tone, setzte aber
sogleich wieder, wie begütigend, hinzu' „Wir befinden
uns in größerer Gefahr, wie Sie glauben; ein über-
eiltes Wort kann uns Alle verderben, und ich muß Sic
dringend bitten, Gregor und nur Alles zu überlassen.
Bürgt Ihnen nicht unsere Ehre dafür, daß wir Sie
schützen werden, soweit es ii: unseren Kräften steht?"
Josepha und Fräulein Krüger waren über sein ernstes
Ausbrausen noch so erschrocken, das; sie gar kein Wort
zu antworten wagten; sie drückten sich nur heimlich die
 
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