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M 18.
trieben; aber ich w'ünsche sehr, daß uns ein Glücksschlag
gelingen möchte, der uns aus diesem Elend herausreißt
und cs ermöglicht, daß wir in den fruchtbaren Niede-
rungen des Westens eine kleine Farn: kaufen und darauf
in 'Zukunft behaglich leben können. Ich sehe anders
keine Möglichkeit mehr, um zu Gelde zu kommen."
„Ich auch nicht," knurrte der Alte. „Bein: Teufel,
fo möge denn Einer kommen und in sein Unglück Hinein-
rennen. Ich habe heute meinen bösen Tag und bin zu
irgend einem höllischen Streich recht aufgelegt! . . ."
In diesem Augenblick tönte von: jenseitigen Ufer ein
kräftiges Halloh deutlich herüber und dann der lang-
gezogene Ruf: „Holüber!"
Vater und Sohn, fo plötzlich aus ihren unheimlichen
Plänen und Betrachtungen gerissen, schauten etwas ver-
stört auf und erblickten eine Männergcstalt, die ein brau-
nes Pferd an: Zügel führte und drüben au: Uferraudc
auf und nieder schritt. Der Reiter war außer allen:
Zweifel eben erst angekommen, denn wenige Minuten
vorher war er noch nicht sichtbar gewesen, als Oliver
den Waldrand des jenseitigen Ufers gemustert hatte.
„Wenn man den Teufel an die Wand malt, so ist
er da," murmelte Sutter erstaunt. „Da läuft uns
Einer in's Garn, der uns helfen wird, sofern er die
Taschen voll Geld hat."
„Er sieht darnach aus," bemerkte Oliver. „Wenn
er allein ist und keine Freunde hinter sich hat, so kalku-
lire ich, wird er bald aller seiner Lebenssorgen entledigt
sein. — Ja, ja, Sir!" schrie er dann mit der ganzen
Kraft seiner Stimme, indem er seine Hände vor den
Mund hielt und daraus ein Sprachrohr machte.
Er holte die langen schweren Ruder aus den: Block-
hause und schritt dann zum Boot hinunter, welches
mittlerweile von seinen: Vater losgebunden worden war.
Die beiden Männer stiegen ein und ruderten rasch über
den Strom. Als sie das jenseitige Ufer erreicht hatten,
gewahrten sic, daß der Fremde ein.stattlicher Mann von
hübschen: Aeußern war, dessen behäbige Farmertracht auf
Wohlhabenheit schließen ließ.
„Nun, ich sehe mit Vergnügen, daß die Fähre noch
besteht," sagte der junge Fremde, indem er in's Boot
stieg, während sein Pferd hinten angebunden wurde,
um schwimmend die Strecke zurückzulegeu. „Die Leute
in Waynesburg sagten nur, daß hier keine Fährstelle
mehr sei, und ich war schon darauf gefaßt, mit meinen:
Pferde hinüber schwimmen zu müssen."
„Es ist auch nicht unsere Absicht, hier noch lange
auszudauern, Sir," versetzte der alte Sutter. „Der Ver-
kehr hat sich nach der neuen Straße in: Norden hinge-
zogen und hier gibt es also wenig mehr zu thuu. Ich ver-
muthe, daß Ihr der letzte Passagier seid, den wir befördern."
„Da freut es mich wahrhaftig, daß ich noch zu
rechter Zeit gekommen bin," meinte der Fremde lustig.
„Alle Wetter, ich habe große Eile nach Maysville zu
kommen, wo übermorgen eine Negerauktion stattfindet.
Deshalb jage ich spornstreichs auf den: nächsten Wege
durch das Land."
Bei diesen Worten rückte er sich auf den: Sitzplatz
zurecht und eS kau: den beiden Fährleuten so vor, als
hörten sie in demselben Augenblick leisen metallischen
Klang, wahrscheinlich von einem wohlgefülltcn Geldbeutel
in den Taschen des Fremden herrühreud. Dies leise
klingende Geräusch ging ihnen durch Mark und Bein
und reifte den dunklen bösen Gedanken in ihnen zum
festen verbrecherischen Entschluß. Der Passagier wollte
ja nach Maysville zu einer Negerauktion, folglich mußte
er jedenfalls mit Geld Wohl versehen sein.
Der Alte warf seinen: Sohne einen verständnißinnigen
Blick zu, welchen dieser ebenso erwicderte, indem er zu-
gleich mit einem kräftigen Stoße das ungefüge Fahrzeug
auf den Strom hinausgleitcn ließ.
„Es ist eine schauderhaft einsame Gegend hier," be-
merkte der Fremde, als das Boot ungefähr die Mitte
des Flusses erreicht hatte. „Um zwei Uhr Nachts ritt
ich von der Farm, wo ich übernachtete, fort und bis
jetzt, etwa zehn Uhr Morgens, begegnete nur unterwegs
kein Mensch."
„Ja, es ist in der That recht einsam," versetzte der
Alte, indem er einen Augenblick das Ruder ruhen ließ
und seinen Sohn starr ansah, der das Beispiel befolgte.
„Ich kalkulire, Sir, Ihr werdet auf der anderen Seite
auch keiner Menscheuseele mehr begegnen."
„Das ist ein Fact!" rief Oliver, sich weit vorüber-
biegend. Er riß ein langes blitzendes Messer aus seiner
Jacke und stieß es gedankenschnell dem jungen Fremden
in die Seite.
Dieser glitt von der Bank auf den Boden des Fahr-
zeugs nieder und verröchelte nach wenigen Minuten,
während ein Blutstrvn: aus der schrecklichen Wunde
hervorschoß.
„Es ist gethau," sagte der Mörder kaltblütig, indem
er ein Stück Segeltuch über den Leichnam warf.
Nathanael Sutter schaute nach allen Seiten ange-
strengt aus. Es waltete eine feierliche friedliche Ruhe
iu der Natur; nur die Wasscrfluth murmelte melodisch,
die Baumwipfel au: Ufer rauschten leise im Lufthauch
und in hoher Luft flatterte nut mißtönendem Geschrei
eine Krähe über den Fluß weg.

Das Buch für Alle.

419

„Und es ist Niemand da, der es gesehen," brummte
der Alte beifällig. „Meiner Treue, Du hast das recht
geschickt gemacht, mein Junge. Nun wollen wir das
Boot treiben lassen und nach den Dollars sehen."
Er schob das Segeltuch etwas beiseite und durch-
stöberte gierig die Taschen des Leichnams. Bald fand
er einen Beutel, der nut Silbergeld angefüllt war und
auch eine kleine Rolle Goldstücke enthielt.
„Sapperment," sagte er mit vergnügten: Grinsen nach
flüchtiger Schätzung, „das können Wohl 900 bis 1000
Dollars sein. Hm, Oliver, heutö haben wir richtig un-
fern Glückstag gehabt!"
Der Sohn beraubte unterdeß die Leiche ihrer Waffen,
zwei Pistolen und ein schönes Messer erklärte er als gute
Beute; ferner nahm er die silberne Taschenuhr des Todten
und eine seidene Halsschnur, an welcher ein goldenes
Medaillon hing, welches eine Haarlocke enthielt. Eine
Brieftasche mit Papieren wurde nicht gefunden und
ebensowenig sonst ein Abzeichen, das über Namen und
Herkommen des Ermordeten hätte Aufschluß geben können.
Nach vollendeten: Raubgcschäft berieth sich das ent-
menschte Paar über die beste Art und Weise, den Leich-
nau: für ewig verschwinden zu lassen. Ein Grab in der
Tiefe des Flusses mußte ihnen naturgemäß als das
zweckmäßigste erscheinen. Sie wickelten demnach den ent-
seelten Menschcnkörper fest in das alte Segeltuch, be-
schwerten dasselbe mit einigen großen Steinen, die
im Fahrzeug als Ballast dienten, und verschnürten das
Ganze sorgfältig mit Tauen, so daß es sich nicht aus
einander lösen konnte. Dann senkten sie den todten
Passagier in die Tiefe und fühlten sich erleichtert, als
gurgelnd die Wasserflut!) sich darüber schloß und sonnt
das gräßliche Verbrechen geheimnißvoll verbarg.
„Was fangen wir mit dem Gaul au?" fragte Oliver.
„Sollen wir das Thier frei laufen lassen oder tödten?"
„Es ist ein gutes Thier und wenigstens 60 Dollars
Werth," meinte der Alte. „Ich will das Brandzeichen
auf eine künstliche Art verändern und dann nach einer
Stadt des Ostens reiten, wo man uns nicht kennt, um
dort das Pferd zu verkaufen. — Du unterdeß treibst mit
dem Boot stromab, sobald wir die Blutflecken sorgfältig
weggeschabt und unsere paar Habseligkeiten darin verladen
haben. Wir treffen wieder zusammen in Louisville an:
Ohio, wo wir dann in Ruhe überlegen können, in welcher
gesegneten Gegend des Westens wir eine Farin kaufen
wollen, denn jetzt haben wir das Geld dazu."
Der Sohn hielt diese Arrangements durchaus für
weislich und erklärte sich damit einverstanden. Bis
Mittag waren alle Vorbereitungen beendigt. Dann ver-
zehrten sie zum letzten Mal in: einsamen Blockhause an:
Keutuckyufer eine spärliche Mahlzeit und überließen
dasselbe darauf seinen: Schicksal. Oliver begab sich in
das Boot, setzte ein vielfach geflicktes Segel auf und glitt
dann mit de:tt schwachen aber günstigen Winde stromab,
während sein Vater auf den: geraubten Pferde nach
Osten ritt.
2.
150 englische Meilen in südwestlicher Richtung von
der im vorigen Kapitel beschriebenen Mordstätte befand
sich an einen: Nebenstrom des grünen Flusses unweit
Brownsville in Kentnky ein wohleingerichtetes Landgut,
welches dem Farmer David Nugget gehörte, der auch
eine Sägemühlc erbaut hatte, die ihn: im Verein nut
dem Ertrag aus seinem landwirthschaftlichen Betrieb ein
recht beträchtliches Einkommen verschaffte. Seine Farin
lag in einen: angenehmen, von Hügelketten rings um-
schlossenen Thale, durch welches oer Strom nut raschem
Gefälle rauschte. In der nächsten Umgebung wuchsen
die prächtigsten Fichten, Eichen und Hickorybäume, die
treffliches Nutzholz lieferten, welches in Gestalt von
Brettern oder Fenzriegeln zu jener Zeit, als die An-
siedelungen in dortiger fruchtbarer Gegend von Jahr zu
Jahr sich mehrten, leicht mit guten: Vortheilc zu ver-
kaufen war. Nugget war ursprünglich ein einfacher rauher
Backwoodsman gewesen, der nut nichts angefangen hatte,
nun aber in seinen alten Tagen mit Stolz auf das
blicken konnte, was der Fleiß seiner Hände geschaffen.
Seine wackere Frau Susanne hatte ihn nach besten
Kräften dabei unterstützt und besorgte noch im Verein
nut ihrer einzigen Tochter Mary, einem hübschen blau-
äugigen blondköpsigcn Mädchen von 20 Jahren, die nach
und nach recht ansehnlich gewordene Haushaltung, welche
aus uoch zwei erwachsenen Söhnen, Jack und John
nut Namen, sowie sechs schwarzen Sklaven bestand, die
alle in der Sägemühle, auf den Farmländereien und bei
den: Verflössen des Holzes vollauf zu thuu hatten.
Man hätte sonach glauben sollen, daß unter solchen
guten, gedeihlichen Umständen das Glück ein beständiger
Gast auf der Farn: sein müsse. Lauge Jahre hindurch
war dies in der That der Fall gewesen, dann aber hatte
eine dunkle Wolke dies Glück dauernd getrübt. Mary
war es, die an: härtesten davon betroffen wurde, und
eine sanfte Traurigkeit umflorte seitdem ihr Gemiith. Es
hatte dannt folgende Bewandtniß:
Bei der Einrichtung der Nugget'schen Sägemühle
hatte ein junger, in mechanischen Dingen sehr erfahrener
- Mann Namens William Dibdin mitgewirkt, der
! aus den östlichen Staaten gekommen war und anfänglich

die Absicht gehabt hatte, am grünen Flusse sich eine
Farm zu kaufen. Nachdem er jedoch mit David Nugget
Bekanntschaft geschlossen und dessen schöne frisch er-
blühende Tochter Mary kennen gelernt, verliebte er sich
in Letztere, fand Gegenliebe und trat in Kompagnie nut
dem alten Farmer, der den jungen, geschickten und in-
telligenten Techniker sehr gut bei seinen industriellen
Unternehmungen brauchen konnte. Dibdin, obgleich er
nur von geringer Herkunft und keineswegs bemittelt war,
gewann durch sein lebhaftes Wesen rmd seinen Frohsinn
bald Aller Herzen für sich und man bezeigte sich allge-
mein damit zufrieden, daß er in Zukunft zur Familie
gehören, Mary heirathen und die Oberleitung der Säge-
mühle sowie anderer projektirter industrieller Etablisse-
ments erhalten solle. Es war schon der Hochzeitstag
festgesetzt, als in: Augustmonat des vergangenen Jahres
der alte Nugget, welcher den Wunsch hegte, zwei kräftige
Negersklaven'mehr anzuschaffen, von einem Freunde in
Maysville brieflich davon benachrichtigt wurde, daß in
dortiger Stadt eine Sklavenauktion stattfinden solle und
die Preise aus mannigfachen Ursachen wahrscheinlich
billig sich gestalten würden. Nun hatte William Dibdin,
wie er sagte, so wie so noch Geschäfte in Maysville zn
erledigen und erbot sich dazu, in: Auftrage seines künf-
tigen Schwiegervaters die Auktion zu besuchen, um dort
zwei tüchtige Neger einzukaufen, welches Anerbieten selbst-
verständlich gerne angenommen wurde. Nugget übergab
den: jungen Manne vertrauensvoll eine Summe von
1000 Dollars in Gold und Silber und derselbe reiste
nach herzlichen: Abschiede von Mary ab, indem er das
Versprechen gab, nach längstens 14 Tagen znrückzukehren.
Allein er kehrte nicht zurück, und als nach Verlauf von
vier Wochen eine Anfrage nach Maysville geschickt wurde,
stellte sich heraus, daß er gar uicht bei der Auktion zu-
gegen gewesen und überhaupt uicht nach jener Stadt
gekommen sei. Auch später tauchte keine Spur von ihn:
auf. Nachforschungen ergaben, daß man ihn zuletzt in
Waynesburg gesehen, wo er in einen: Wirthshause flott
und lustig gelebt und dann in aller Eile aufgebrochen
sei, um über den Kcntuckystrom zu setzen. Nugget und
die Seinen konnten nicht glauben, daß dem raschen,
jungen, kräftigen und gut bewaffneten Manne ein Un-
glück widerfahren sei; es setzte sich vielmehr der Gedanke
in ihnen fest, daß sie ihr Vertrauen einem Schwindler-
geschenkt, der dasselbe gemißbraucht, um sich in den Besitz
einer großen Summe Geldes zu setzen und damit sein
Glück in der weiten Welt zu versuchen. Mary wider-
sprach freilich anfänglich dieser Ansicht, doch fand
sie keinen Glauben und das erhöhte ihre Traurigkeit.
Ihr Vater, der sich schmählich betrogen wähnte, hatte
großen Zorn gezeigt und es verboten, daß der Name
William Dibdin jemals wieder in: Haushalte genannt
werde. So erfuhren denn die Leute in der Gegend nicht
viel von der häßlichen Affaire und cs gab kein leicht-
fertiges Gcklatsche, wie es sonst Wohl der Fall gewesen wäre.
Eines Morgens — es war zur Zeit des beginnenden
Frühlings und ein schöner, sonnenheller Tag — ging
der alte David nach der Stelle hinaus, wo er hatte
Bäume Niederschlagen lassen, welche, nachdem die Stämme
abgeholzt worden waren, ans Schleifen nach der Säge-
mühle geschleppt werden sollten. Seine vier Pferde und
vier seiner Neger befanden sich, als er an den: Orte
ankam, rüstig bei der Arbeit. Zu seinem nicht geringen
Erstaunen aber erblickte er in der sonst so einsamen
Wildniß einen Fremden, nämlich eine:: ältlichen hageren
Mann nut verwitterten: braunen Gesicht, grauen scharfen
Augen und struppigem Bart, der seinen: Aeußcrei: nach
nicht gerade wie ein Spitzbube und in der Kleidung recht
anständig anssah. Er saß auf einen: der gefällten
Stämme, ließ die Beine gemächlich niederbaumcln und
hatte eine lange Büchse auf den Knicen liegen, sowie
eine kleine Whiskeyflasche in der Hand, aus welcher er
bisweilen einen Schluck nahm, der ihn dann allemal
sichtlich erquickte.
„Hoho, ich vermuthe, dies ist der alte Nugget, der
da auf zwei Beinen angewackelt kommt!" schrie er ver-
gnügt, sobald er den Ankömmling gewährte. „Na, altcr
Nngget, wie wackelt diese schlechte Welt?"
„Danke, danke!" versetzte der Farmer bedächtig, „die
Welt wackelt noch immerfort ihren schiefen Gang, schätze
ich. Es ist nur übrigens nicht erinnerlich, daß ich je-
mals das schätzbare Vergnügen gehabt, Euch in dieser
wackeligen Welt zu sehen. Was wollt Ihr von mir?
Wer seid Ihr?"
„Ich heiße Nathanael Sutter und habe Jones' ver-
wilderte Farn: gekauft da weiter zurück in den Hügeln,
sechs Meilen von hier. . ."
„In der That, ich habe von einen: neuen Ansiedler
dieses Namens gehört. Da wünsche ich, daß Ihr gute
Nachbarschaft halten mögt."
„Will's daran nicht fehlen lassen, alter Nugget, und
was ich wollte, ist dies: Dreitausend Stück fertige Fenz-
riegel zum billigste:: Preis und gegen baare Bezahlung.
Seht Ihr, die Zeit ist schon vorgerückt und ich habe bei
der Masse anderer Arbeiten keine Zeit übrig, um sclber
die nöthigen Fenzriegel zu spalten."
„Kann mir's denken. Ihr habt aber doch gewiß
Hilfe zu Hause. .Seid Ihr verheirathet?"
 
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