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Das Buch für Alle.

427

In Fesseln und Landen.
Erzählung
von
C. N. Strnwy.
(Fortsetzung.)
(Nachdruck verboten.)
Der Fremde, welchen ich draußen in Gesellschaft des
Grafen getroffen hatte, war unbemerkt neben mich ge-
treten.
„Woraus könnte man eine Komödie machen?"
fragte ich.
„Ja so," lautete die Antwort. „Sie wissen nicht,
was das Duett da drinnen zn bedeuten hat, Sie haben
ja die Fäden der Jntrigue nicht in 'der Hand. Es ist
ein Seitenstück zu Shakespeare's: ,Der Liebe Müh' um-
sonst', Herr Doktor."
„Sie kennen mich, niein Herr?" fragte ich weiter.
„Mein Freund, Graf Levin St., nannte mir Ihren
Namen, als wir uns vorhin begegneten. Aber ich meine,
wir wollen ein wenig zur Seite treten, die Akteurs da
drinnen haben ihre Scene zu Ende gespielt und bereiten
sich ans den Abgang vor."
Ich folgte dem Fremden, der das Alles in einem
scherzhaft spöttischen Tone vorgebracht hatte, in den
Schatten einer Säule. Der Graf und Luisa verließen,
ohne uns gewahr zu werden, die Kapelle, der Graf faßte
noch einmal grüßend an sein Käppi, dann gingen sie
nach verschiedenen Seiten von dannen.
Der Fremde blieb an meiner Seite, ein gleichgiltiges
Gespräch anknüpfend, als ich auf die Terrasse vor der
Hinteren Fa^ade der Kirche heraustrat, von der man auf
die breite Straße nach dem Monte Pincio hinüberschaut,
die, zuerst sich senkend, dann steil nach den von Sixtus V.
errichteten vier Brunnen, von denen sie den Namen hat,
hinaufführt. Rechter Hand dehnen sich jetzt laublose
Vignen aus, hinter deren hohen Mauern hie und da ein
verwahrlostes Wohnhaus oder ein Trümmerhaufe heraus-
ragt, links schaut man auf das Straßengewirr der in-
neren Stadt hinab, aus welchem der schlanke Glocken-
thurm der Sta. Pudenziana und in weiterer Ferne der
massige Thurm, Welchen der Volksmund tor äi Xarono
nennt, herausragt.
„Dieses Rom," bemerkte der Fremde, „mit seinen
Hügeln (ich denke, es sind deren mehr als sieben) ist der
Schrecken aller müden Touristen und aller Fiakergäule,
aber was wäre die ewige Stadt, wenn sic in einer Ebene
läge. Und doch — ich muß Ihnen meine Ketzerei offen
bekennen — halte ich Neapel, als Stadt betrachtet, für
malerischer. Rom ist vornehmer und unendlich reicher
an architektonischen Meisterwerken, aber die gelbgrauen
Fahnden Neapels mit ihren Schatten und Abwechslung
gebenden Vorsprüngen und Ballonen, die sich an den
Höhen hinaufziehendcn Straßen, hie und da von einer
soala oder seatotta unterbrochen, die über einander gc-
thürmten Häufcrmassen, die sich hoch über den Dächern
spannenden Brücken, von denen man aus der Vogel-
perspektive in ein Menschengewühl hinabschaut, das Alles
hat in der Welt nicht seines Gleichen."
„Sie sind Künstler?" fragte ich.
„Leider nein! Nicht einmal Dilettant. Wenn man
viel arbeiten muß, so fehlt die Zeit, sich mit des Lebens
Ueberfluß — und das ist die Kunst doch, die nicht nach
Brod geht — zu beschäftigen. Aber ich hoffe, in Rom
etwas mehr Muße zu finden."
„Ich habe Wohl das Vergnügen, einen Landsmann
vor mir zu sehen?"
„Ich bin ein Schweizer. Leider muß ich es mir ver-
sagen, mich Ihnen vorzustellcn. Dringende Gründe ver-
anlassen mich, heute noch mein Inkognito zu bewahren.
Hoffentlich werden wir uns bald einmal Wiedersehen und
noch manchen gemüthlichen Abend in irgend einer römi-
schen Trattorie mit einander zubringcn."
Ich sah mir meinen Begleiter, der jetzt Miene machte,
sich zu verabschieden, ein wenig näher an. Er trug einen
Strohhut und einen modernen grauen Sommeranzug,
hatte röthlich blonde Haare und eine Habichtsnase und
auS seinen grauen Augen traf mich ein stechender Blick.
Gerade so hatte mir Geralds HerrU Meier geschildert.
War der Fremde etwa Luisa's Gatte, der schon seit
vierzehn Tagen in der trattoria tsäosoa erwartet wurde?
„Entschuldigen Sie noch eine Frage," sagte ich. „Ken-
nen Sie den Maler Gerald B.?"
„Nicht daß ich wüßte."
„Ich meinte, Sie seien mit ihm in den Bergen von
Sora zusammengetroffen?"
„Ja so, der kleine Herr, der im Hauptquartier des
Generals Chiavone meiner Frau zu Füßen fiel, heißt
Gerald. Ich sehe, Sie vermuthen, wer ich bin. Da
muß ich schon mein Inkognito fallen lassen und mir die
Freiheit nehmen, mich Ihnen vorzustellen: Ich heiße
Meier — Rudi Meier, bin Agent und, wie Sie wissen,
zur Zeit Inhaber einer Trattorie, via 8an Lubtaobio
hinter dein Pantheon, welche von meiner Fran bewirth-
schaftet wird. Jetzt also sind die Formalien erledigt
und ich habe Sie nur noch zu bitten, es Luisa nicht zu
verrathen, daß ich schon in Rom bin. Ich gedenke sie

zu überraschen und dann — dann gab es noch sonst
allerhand wesentliche Umstünde, die mich veranlaßten,
mich Vorläufig in der trattoria teässoa noch nicht sehen
zu lassen. — Aber wir stehen hier gerade vor einer klei-
nen Osteria, in der man vortrefflichen spanischen Wein
schenkt — ich habe ihn schon Probirt. Was meinen
Sie, Herr Doktor, wenn Wir einträten und da Wir nun
doch schon Bekanntschaft mit einander gemacht haben,
ein Stündchen verplauderten. Schenken Sie mir die
Ehre, mein Gast zu sein."
Ich hajte keinen Grund, den Vorschlag abzulehnen.
Wir setzten uns, der Wein war vortrefflich; Herr Meier
erzählte, er sei bereits seit vierzehn Tagen, ohne Wissen
seiner Frau, in Rom, die päpstliche Polizei habe ihm
offiziell den Aufenthalt nicht gestatten wollen, noch we-
niger den Betrieb eines Geschäftes, weil er derselben als
Agent für die bourbonische Sache bekannt sei und aus
dem Neapolitanischen komme. Man sei ängstlich gewor-
den, weil kürzlich wieder ein energischer Protest aus
Paris eingelaufen, daß der Kirchenstaat zum Herd fort-
währender Agitationen gegen das Königreich Italien ge-
macht werde. Doch habe nian ein Auge zugedrückt, als
eines der Häupter der Emigration im Palazzo Farnese
ihn bei sich ausgenommen. Jetzt habe man diese Be-
denken fallen lassen und dies verdanke er vorzüglich sei-
nem Freunde, dem Grafen Levin St., mit dem er bei
den Jesuiten in Feldkirch studirt. Dieser habe ihm jetzt
durch einen seiner Gönner, einen bei der Consulta an-
gestellten einflußreichen Monsignore, die Erlaubniß aus-
gewirkt, in Rom bleiben und seine Gastwirthschaft aus-
üben zu dürfen.
Das Alles erzählte mir Herr Meier mit anscheinend
vollständiger Aufrichtigkeit.
„Und jetzt," fuhr er fort, „muß ich Ihnen doch noch
Ausschluß über die Scene geben, deren Zuschauer wir in
Maria maggiore gewesen find. Wir waren'vorgestern
Abend beim Principe T., der auch zur neapolitanischen
Emigration gehört, in einer lustigen Gesellschaft zusam-
men. Graf St., der, obschon nur Zuave ohne Grad,
in den vornehmsten Zirkeln verkehrt, war ebenfalls dort.
Es kam, nachdem wir ein wenig gespielt — die Neapo-
litaner haben eine Passion für das Hazardspiel — das
Gespräch auf allerhand Dinge, unter Anderem auch auf
den Gehorsam der Frauen. Wir hatten Champagner
getrunken, leider ein wenig zu viel — und — um es
kurz zu machen — es gelüstete mich, einmal den Parci-
val zu spielen und zu erproben, ob meine Frau so ge-
horsam sei wie Griseldis. Ich wettete, daß sie Alles
thuu werde, was ich ihr befehle, und schrieb ihr ein
Billet, natürlich nicht aus Nom datirt, in welchem ich
ihr aufgab, jeden Wunsch des Grafen so anzusehen und
zu erfüllen, als sei es der meinige. Das mußte der
Graf ihr schicken mit der Bitte um ein Stelldichein in
Maria maggiore. Nun, es war keine Gefahr für mich
dabei, denn mein Freund Levin, nennen Sie ihn nicht
den Zuaven in Glacehandschuhen? Sehen Sie, auch
das weiß ich schon — mein Freund Levin macht bei den
Frauen nicht besonderes Glück, er ist viel zu salbungsvoll
und pathetisch und war Luisa schon antipathisch, als wir
in — als wir einmal ein paar Monate mit einander
verlebten. Zudem hatte ich mir vorgenommen, bei der
Zusammenkunft zugegen zu sein. Es traf sich auch, daß
der Wunsch des Grafen ein Motiv erhielt. Er hatte
zufällig heute die Papiere, welche meinen Aufenthalt in
Rom gestatten, erhalten und durfte sie meiner Frau
nicht bringen, da der Dienst ihn hinderte, seine Kaserne
auf länger als eine halbe Stunde zu verlassen. — Nun,
Luisa ist gekommen und ich habe meine Wette gewonnen."

Rom war zu päpstlicher Zeit ein neutrales Terrain,
auf welchem manche problematischen Existenzen, männ-
lichen und weiblichen Geschlechts, die anderswo Schiffbruch
gelitten, Geltung oder mindestens nachsichtige Duldung
erlangten, wenn sie es verstanden den Leuten zu impo-
niren oder sie zu amüsiren. Man kümmerte sich nicht
um Jemands Vergangenheit, wenn nur die Gegenwart
genügte.
Auch bei Herrn Meier fragten wir nicht, woher er
kam, als derselbe mit allen seinen Effekten, als treffe er
gerade in Rom ein, nicht am Tage nach unserer Unter-
redung auf den: Esquilin, sondern erst am nächstfolgenden
in seiner Wohnung erschien. Es dauerte nicht lange,
so war er in der trattoria tsäasaa eine beliebte Persönlich-
keit geworden. Er wußte sich aber auch überall angenehm
zu «lachen. Mit den päpstlichen Soldaten sprach er vom
Dienst, von den mangelhaften Einrichtungen der pie-
montesischen Armee, vom heiligen Vater und den Kirchen-
festen; bei den Offizieren betonte er seine vornehmen
Bekanntschaften unter dem emigrirten neapolitanischen
Adel und Andrea hatte er vollständig für sich ge-
wonnen.
„Schaut unfern Padrone doch nur an," sagte Andrea,
„hat er nicht eine ausgeprägt aristokratische Physio-
gnomie ?"
„Ich finde an der Habichtsnase nichts Aristokratisches,"
versetzte Geraldo.
„Habichtsnase? Da muß ich doch bitten, es ist ent-
schieden eine echt römische, eine Adlernase, gerade eine

solche wie die des Septimus Severus. Beiläufig, ich
glaube, daß die Büste auf dem Kapitol jedenfalls dessen
Sohn Caracalla vorstellt."
„Sie schwärmen ja förmlich für diesen Herrn Meier,"
bemerkte Geralds.
„Meier? Ja Wohl, er sagt, daß cr so heiße, aber ich
glaube er heißt nicht einmal v. Meier oder Ritter
v. Meier. Höher hinauf, mein Lieber, höher hinauf!
Ich habe ihn studirt und bin überzeugt, dieser Herr
Meier ist nicht was er scheint. Er hat nicht blos die
Manieren eines Gentleman, sondern, ich sag' es noch
einmal — etwas entschieden Aristokratisches im Gegen-
sätze zu feiner unbedeutenden bürgerlich einfachen Frau."
„Luisa, die Sie früher für die Tochter einer illustren
Familie erklärt haben?" lachte der kleine Maler.
„Es kann sein," schloß Andrea, „daß ich mich damals
geirrt habe, aber diesmal irre ich mich gewiß nicht."
Es war richtig, der Ankömmling besaß die Manieren
eines Gentleman; er hatte augenscheinlich nicht viel ge-
lernt, aber er war scharfsinnig, von rascher Auffassung
und mit einem sehr guten Gedächtniß begabt. Dazu
hatte er das seltene Talent, mit anscheinendem Interesse
zuhören zu können. Er wußte Jeden von uns bei seinen
kleinen Schwächen zu fassen und bemühte sich, Jeden
durch Zuvorkommenheit und geschickt angebrachte Schmei-
cheleien zu gewinnen. So kam es, daß er bald in seiner
Trattorie die Hauptperson wurde, nicht wie ein Wirth,
von dein nian anerkennt, daß er seine Gäste gut unter-
halte und gewandt bediene, sondern wie Jemand, der
seinen cingeladenen Freunden die Honneurs macht. Wenn
wir an den immer länger werdenden Winterabenden bei-
sammen saßen — und das geschah fast täglich, so war
es nicht, als befänden wir uns in einer Trattorie, son-
dern als seien wir in einem befreundeten Hause zu Gast.
Unser Kreis bestand jetzt außer mir aus Andrea,
Gerald» und dem Zuaven, der sich zu uns gesellt hatte,
weil Luisa fast jeden Abend mit ihrem Rudi an unserem
Tische Platz nahm. Die schöne Frau ließ sich die Ge-
sellschaft des Westphalen, der ihr in seiner halb be-
fangenen, halb hochmüthigen Weise eifrig den Hof machte,
offenbar nur um ihres Gatten willen gefallen. Dieser
behandelte seinen alten Studiengenosscn mit außerordent-
licher Zuvorkommenheit; hinter dessen Rücken nannte er
ihn den westphälischen Don Quixote, machte sich auch
Wohl über die übertriebene Frömmigkeit desselben lustig.
Geraldo schwankte. Herr Meier war ihm unsym-
pathisch, wiewohl er sich nicht verhehlen konnte, daß er
demselben seine Rettung aus der Höhle des Löwen in
den Bergen von Sora hauptsächlich verdankte, auch die
frivole Weise, mit welcher jener selbst in Gegenwart
seiner Frau über viele Dinge sprach, verletzte sein Zart-
gefühl.
„Es ist doch eine katilinarische Existenz," sagte er
einmal, als wir allein waren.
„Aus Ihnen spricht die Eifersucht, Kleiner," lautete
Andrea's Antwort.
„Und ein gettators ist er auch. Schauen Sie nur
seine stechenden Augen an. Käliban sagt, er bringe
Jedermann Unglück, den er anschaue."
„Am Ende werden Sie hier in Rom zu guter Letzt
noch gar abergläubisch," entgegnete Andrea. „Ich be-
haupte, Meier ist nur ein wenig zu fromm, im Uebrigen
aber ein Normalmensch."
Trotz alledem blieb der kleine Maler ständiger Gast
in der trattoria tsäasoa. Er konnte ja an keinem
andern Orte der schönen Padrona nahe sein und zu ihr
hinüber schmachten; von Herrn Meier ließ er sich die
neuesten Kravattenmoden angeben, machte ihn auch Wohl
zum Vertrauten, wenn wieder einnml ein Paar wunder-
bar dunkle Augen aus dem und dem Fenster ihm nach-
geschaut hatten. Seine natürliche Gutmüthigkeit hinderte
ihn, denc Gemahl der angebeteten Frau, dem er noch
dazu Dank schuldete, kalt zu begegnen. Dafür zeigte
dieser sowohl dem Zuaven als auch Geraldo gegenüber
keine Spur von Eifersucht, er schien von der Treue Luisa's
so vollkommen überzeugt, daß er den Beiden völlig das
Terrain überließ. Geraldo war sehr wohlhabend und es
kam mir vor, als ob dessen Großmuth von unserem
Wirth, der viel Geld anszugeben schien, schon hie und
da in Anspruch genommen werde. Als ich meinen Freund
einmal deshalb befragte, bestritt er das nicht. „Konnte
ich denn einem Manne, der mir vielleicht das Leben ge-
rettet hat, solch eine Kleinigkeit abschlagen?" gab er mir
zur Antwort.
Und Luisa? — Sie strahlte vor Glück seit der An-
kunft ihres Gatten, sie gab den: Geliebten die zärtlichsten
Schmeichelworte, sie lauschte ihm seine Wünsche von den
Lippen ab, noch ehe er sie ausgesprochen, und wenn cr
unerwartet zur Thüre hereintrat, so übergoß eine holde,
wunderschöne Röthe ihr liebliches Gesicht. Aber nicht
immer befand sie sich in der sonnenhellen Stimmung.
Wenn ihr Rudi nicht zugegen, so schien eine Unruhe,
eine Angst sie zu überfallen, die Lhränen standen ihr
ohne Grund in den Augen, sie schreckte zusammen, sowie
die Thüre sich öffnete. Kam er dann, so übte seine
Gegenwart eine beruhigende Gewalt auf sie aus. Ihr
Gatte hatte Recht, sie war eine gehorsame Frau und
mit einem Blick aus seinen grauen Augen wußte er sie
 
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