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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 46.1911

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Heft 7
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https://doi.org/10.11588/diglit.60742#0155
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V^LuchfülMe
Illustrierte vamilienreitung
7. liest. 1911.

uns

MH Üeuter. (5. 122)

„Hm — ja — natürlich/' murmelte Mowbray,
der sehr gut merkte, daß ich mehr nicht sagen
wollte. Dagegen war aber nichts zu tun. Hin-
gegen hatte ich den Eindruck, als ob Mowbray
wirklich nichts über Lady Desmond wüßte. Schon
seine Bereitwilligkeit, sich zu erkundigen, sprach
dafür. Das will freilich „unter uns" nicht viel
sagen, aber ich habe die feste Überzeugung, daß er
anders geantwortet hätte, wenn er tatsächlich etwas
wüßte.
Meine Gründe hierfür will ich Ihnen nicht vör-
enthalten: ich habe Mowbray als einen Menschen
kennen gelernt, der in seinem Herzen ein Heiligtuin
trägt — nämlich seine Achtung vor der Frau. Er
prahlt nicht damit, denn er prahlt überhaupt nicht,
aber ich habe zufällig einen Blick in dieses Heilig-
tum werfen dürfen und auf dieses Wissen mei-
nen Appell gebaut. Ich hoffe nur, daß ich den
grundanständigen und fähigen Menschen damit
nicht in einen Konflikt mit seiner Pflicht bringe.
Sobald ich seine Antwort habe, teile ich sie Ihnen
mit. Meine Mutter gedenkt Lady Desmond morgen
oder übermorgen einzuladen, sobald die Sache
mit unserem Koch „klappt", der heute seinen Ein-
zug bei uns hält und vertrauenerweckend aussieht.
Ich werde Ihnen unsere Einladung dazu tele-
phonisch übermitteln und versuchen, Fräulein
v. Uhlenhus auf die Begegnung mit Ihnen vor-
zubereiten, damit sie sich bei Ihrem Anblick nicht
verrät.
Immer Ihr dankbar getreuer
Fr. v. Burgfried.

Fünfter Bericht von Oliva v. Uhlenhus.
Palazzo Santa Chiara, 1. Dezember 19 ..
Ich habe die vergangene Nacht den Schlaf der
Gerechten geschlafen, folglich auch nichts erlebt, und
kein Mäuslein hat versucht, mich zu stören. In-
folgedessen fühle ich mich sehr wohl, unternehmungs-
lustig und widerstandsfähig zum Antritt meines
Amtes, das ja mit dem heutigen Tage beginnt.
Sicherlich ist es nicht das, was ich mir geträumt habe,
denn die weiblichen Wesen, die nach solchen Stel-
lungen angeln, wissen eben nichts Besseres zu tun,
aber da das „Bessere" nicht kommen wollte, so hilft's
nichts. Sobald ich schwimmen kann, werde ich
schwimmen, so viel steht fest. Tante Burgfried
würde mir ja helfen, das weis; ich, aber ich möchte
doch lieber nicht nach einer anderen Seite abhängig
werden, und schließlich wäre es doch auch lächerlich,
auf der Schwelle umzukehren und die Flinte ins
Korn zu werfen — als Kind eines Jahrhunderts,
das jeden sich in feinen „berechtigten Eigentümlich-
keiten ausleben lassen" will. Das wäre nun meiner
unmaßgeblichen Ansicht nach mit Erlaubnis zu sagen
scheußlich und um nach einem anderen Planeten
mit dem nächsten Luftschiff auszureißen, aber
nehmen wir einmal an, daß die „Eigentümlichkeiten"
der Bewohner dieses Hauses „berechtigt" find,
und drücken wir großmütig die Augen darüber zu
— weil uns eben nichts anderes übrig bleibt. Und
damit komme ich mir vor wie die Leute, die im
Finstern pfeifen, um sich die Furcht zu vertreiben.
Nicht etwa, daß ich ernstlich eine solche hätte.
Jetzt schon gar nicht mehr, nachdem die
famosen Schloßsperrer, die Pfifferling mir
gestern abend gegeben hat, heute früh noch
so schön an Ort und Stelle saßen, daß ich ein
wenig Mühe hatte, sie zu entfernen und zu
verbergen. Ich denke, daß auch ein guter
„Forscher" sie nicht finden kann. Es ist sehr
angenehm, in einem solch riesenhaften Hause,
in einer Wohnung, in der man ganz isoliert
ist, wo einem der Hals umgedreht werden
kann, ohne daß ein Hahn danach kräht, eine
Sicherheitsvorrichtung zu haben, die jeden-
falls gegen eine kleine Belagerung stand-
hatten dürfte: wenigstens so lange, bis einem
ein Geistesblitz sagt, ob man kapitulieren
oder einen Ausfall machen oder sich über-
haupt dünn machen soll. Es ist ganz gut,
wenn inan leinen Geist schon vorher blitzen
läßt, um im entscheidenden Augenblick nicht
die Qual der Wahl zu sehr zu verspüren,
aber anderseits trügt die Überlegung der
Strategie nicht gerade zum Wohlbehagen
bei. Nur Mut — 's wird schon schief gehen!
Von Pfifferling habe ich heute den ganzen
Morgen noch nichts gesehen. James brachte
mir das Frühstück, hatte aber von Lady Des-
mond keine Befehle für mich erhalten. Diese
Unsicherheit, ob ich gebraucht würde oder
nicht, verbot mir zunächst, auf eigene Faust
auszugeheu, denn im Falle ich abkömmlich
war, hatte ich beschlossen, ohne weiteres
meinen Spaziergang anzutreten nach dem
Grundsatz: Wer viel fragt, kriegt viel Antwort.
Außerdem hatte ich ja Lady Desmonds Zu-
sicherung, daß ich darin vollständig frei war.
Während ich nach beendetem Frühstück
überlegte, ob ich mich besser unten melden
oder oben bei mir abwarten sollte, was über
mich verfügt würde, klopfte es an meiner
Tür, und auf mein „Herein!" erschien —
Mister Weed.
„Verzeihen Sie, wenn ich störe," sagte
er mit einer sehr respektvollen Verbeugung.

Vas wogende 5ichü
vornan au5 den weisen der hohen Diplomatie,
von N. o. üdlersfeld-vallestrem.
iroUsetiung.) > - (Nachdruck verboten.)
ber mein lieber Burgfried! Lady Des-
mond steht auf der Besuchs- und Einla-
dungsliste der Botschafterin!" entgegnete
Mowbray mit sanftem Vorwurf im Ton,
H und als ich ein Gesicht schnitt und ihn
lachend ansah, fuhr er ebenfalls lachend fort: „Nun,
ja — ja! Wir wissen alle beide, daß wir oft Leute
empfangen müssen, die, bei Tageslicht betrachtet,
anders aussehen. Das ist eben nicht zu ändern.
Gehört zum Geschäft."
„Hören Sie, Mowbray," sagte ich, entschlossen
auf mein Ziel zusteuernd, „meinetwegen kann Lady
Desmond sein, wer sie will, und meiner Mutter
schadet es auch nichts, einmal einen Löffel Suppe
bei jemand zu essen, der nicht für ganz .korrekt'
gilt, denn meine Mutter ist es so sehr und so zweifel-
los, daß nicht einmal der Schmutz imstande wäre,
sie zu besudeln. Und sie hat schließlich auch ihr Alter
für sich. Aber wir haben zu unserem Erstaunen
und zu unserer Freude ob des Wiederfindens gestern
erfahren, daß Lady Desmond eine junge Dame
zu sich genommen hat, um sich von ihr in ihren
geselligen Verpflichtungen unterstützen zu lassen,
die von so vortrefflicher Familie ist und
dadurch, daß sie als Kind und halb-
wüchsiges Mädchen unser täglicher Gast und
Gespiele war, so ungemein nahe steht, daß
es uns nicht gleichgültig sein kann, in wessen
Haus sie ist. Wie die Verhältnisse lagen,
konnte Fräulein v. Uhlenhus uns nicht zu
Rate ziehen, ehe sie zu Lady Desmond ging
—- wir fanden sie schon als ihre ,junge Ge-
fährtin' vor. Nun kann ja die Sache in
Ordnung sein, aber — sie kann's auch nicht
sein, und meine Mutter und ich würden
sicher Himmel und Erde in Bewegung setzen,
um Fräulein v. Uhlenhus einer Umgebung
zu entziehen, die vielleicht im Widerspruch
mit ihrem einwandfreien Rufe steht. So
liegt die Sache, Mowbray, und Sie
würden uns zu unendlichem Danke ver-
pflichten, wenn Sie mir vertraulich, aber
ohne jeden Rückhalt sagten, ob Lady
Desmonds Haus der richtige Ort für eine
junge Dame ist, gegen die nichts vorliegt, dis
keine Ahnung hat von — den Irrwegen des
Lebens. Bitte, nehmen Sie an, es wäre
meine eigene Schwester, für die ich diese
Frage stelle, denn ungefähr in diesem Ver-
hältnis hat Fräulein v. Uhlenhus zu meiner
Familie gestanden."
„Ich kann zu Ihrer Frage weder ja noch
nein sagen," erwiderte Mowbray ohne Zö-
gern. „Ich habe nichts gegen oder für Lady
Desmond gehört, als daß sie klotzig reich
sein muß, um sich deu Palazzo Santa Chiara
mieten zu können, und daß sie trotz ihrer
neunzig Jahre die ausgesprochene Absicht
hegt, ein Haus zu machen. Aber ich werde mich
näher nach ihr erkundigen und Ihnen Bescheid
geben. Haben Sie irgend einen Grund zu
der Frage, ob Lady Desmonds Hans der
richtige Boden ist für eine junge Dame von
der Qualität des Fräuleins — wie heißt sie?"
„Doch. Unser Interesse für Fräulein
v. Uhlenhus," erwiderte ich prompt, um
nicht zu zeigen, daß ich ausweichen wollte.



VII. isii.
 
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