Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 46.1911

DOI Heft:
Heft 17
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.60742#0368
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Da^Luchfül-fM
sllustllette fgmilienreitung
17. l^est. 1911.


achtundzwanzig Jahre auf dem Buckel habe, als Arzt
finde ich mich, hier draußen wenigstens, in jedem zu-
recht, wenn ich zehn Gramm Salz mit ihm verzehrt
habe. Daß ich an unseren Wimmerkasten sprang,
war nur eine Probe aufs Exempel. In diesem
Falle war der Rittmeister ein taugliches Objekt."
„Ein Sonderling ist's!"
„Nee, ist er nicht! Verliebter Spatz!"
Mentzen lachte. „Na, na, mein Herr Menschen-
kenner, dieses Mal werden Sie wohl auf dem Holz-
wege sein. Blottstedt ist ein Kerl, wie er den Wei-
bern gefällt, hat Geld, also —"
„Mentzen, Sie sind kein Schatzgräber."
„Wozu ich auch ganz sicher keine Anlage habe."
„Also dann beobachten Sie mal den Rittmeister
etwas eindringlicher. Wenn er so dasitzt, die Lippen

prinrregent Luitpold vou Sayern. (5. 572)
Nach einer Pftowgr-Mie von 8. Mttmsr. Hofodotogrspft m München.

zusammengekniffen, die Wulst auf der Stirn, nichts
hört und nichts sieht — da sind die Gedanken auf
Reisen! .. . Und dann das Pippern nach jeder Post!
Steckt sicherlich ein langhaariges Geschöpf dahinter!
Na ja, wär' ich ein Weibsbild, ich taumelte ihm
jubelnd in die Arme. Und das täten wohl alle, Lis
ausgerechnet auf die eine. ... Und was der Mensch
nicht haben kann, danach sehnt sich sein Herze be-
kanntlich ganz besonders inbrünstig."
„Meinethalben. Mir kann's egal sein."
„Ja, Ihnen! Sie sind eine der ganz wenigen
Ausnahmen. Sie lassen sich hier zum puren Ver-
gnügen braten."
„Oh, Sie Menschenkenner!" meinte Mentzen mit
spöttischem Lachen.
„Nanu? Ist Ihnen der Weihnachtsabend auch
auf die Nerven gefallen?"
„Vielleicht. — Gute Nacht,
Frisch, ich gehe noch die Posten
revidieren."
Der Doktor erbarmte sich noch
der dreiviertelvollen Flasche. Oft
schüttelte er den Kopf. Na ja, er
war ein rheinischer Junge, klug ge-
nug, dem Leben die besten Seiten
abzugewinnen — Gott sei Dank,
daß er nicht so schwerblütig war
wie der Hinterpommer Blottstedt
oder der Holsteiner Mentzen, über
den er doch wohl seine Meinung
einer Revision unterziehen mußte.
Da hatte er ja eine dankbare
Aufgabe vor sich.

In Blottstedt war der 24. De-
zember ganz vergnüglich verlaufen.
Mittags war der Herr Vetter
dagewesen, hatte für Grete und
den Jungen ein paar Kleinigkeiten
gebracht, auch im Auftrage von
Wussow kür Joachimke eine große
Kiste Spielzeug und einen Brief.
Zum Abend war der Vater
mit Adalbert gekommen.
„So, Kinder," hatte Dankers-
bach gesagt, „nun wollen wir uns
freuen, daß wir beieinander sind.
Bitte dringend — keine trübe-
tümpligen Gesichter heute!"
Die hatte er auch nicht zu
sehen bekommen. Adalbert blickte
mit frohen Augen in seine Zu-
kunft, da verwischen sich die pein-
lichen Eindrücke aus der Vergangen-
heit. Und Grete war aufgeregt und
lustig gewesen wie selten. Mit
vollen Händen hatte sie ihren
Leuten den Tisch gedeckt, das
Geben war ihr eine reine Freude
gewesen, eine ganz reine, denn
Wussows Brief an den Jungen
sagte ihr alles.
Nun lag sie im Bett, hielt das
Schreiben in der Hand, las es
wohl zum hundertsten Male.
„Mein lieber Joachimke!
Schade, daß ich nicht sehen
kann, wie Du um den Weihnachts-
baum trippelst und Dich freust!
Hoffentlich gefallen Dir meine Ge-
schenke und hoffentlich werden wir
üecht bald gut Freund.
Sag Deiner lieben Mama einen
schönen Gruß von mir.
Dein alter, grauer Onkel Wussow."

ver wilde Wussow.
ssoman von lgorst godemei-.
(roNsebung ) ...... — Nachdruck verboten..)

Dan, .Herr Rittmeister, total die Sprache ver-
I' loren?"
Blottstedt fuhr auf. „Ich hab' Stra-
II Pazen hinter mir, da döst man gerne mal
H vor sich hin — an solchem Tage!"
Der Arzt war aufgesprungen und ins Zimmer
gelaufen. Da drinnen stand ein Klavier, das unter
der tropischen Temperatur freilich eine recht merk-
würdige Stimmung aufwies.
„I was — alleweil fidel! Gassenhauer oder
Weihnachtslied?" rief er zum Fen-
ster heraus.
Blottstedt schüttelte den Kopf
nnd stand auf. „Was Sie Lust
haben, Doktor. Mich bitte zu ent-
schuldigen, ich kriech' unter mein
Moskitonetz. — Gute Nacht!"
Mentzen schüttelte er die Hand,
dein Arzte nickte er durchs Fen-
ster einen Gruß zu, und während
er die Verandatreppe hinabschritt,
klang das Lied hinter ihm her:
„Stille Nacht — heilige Nacht."
Er beschleunigte seine Schritte.
Leise, die halbleerc Sektflasche in
der Hand, schlich sein Boy hinter
ihm her.
Das Lied verklang. Mentzen
war ans offene Fenster getreten.
„Hören Sie auf, Doktor, kom-
men Sie 'raus! Noch einer Pulle
den Hals gebrochen, und dann die
Augen zugemacht! An solchen
Tagen hier das Schlauste, was
man tun kann!"
Der Arzt klatschte in die Hände
und kletterte durchs Fenster. Der
Boy stand schon neben ihm und
half.
„Der Rittmeister bringt einen
wahrhaftig um die gute Laune!"
„Wohl ein bißchen Selbstbetrug,
verehrter Jünger des Äskulap!
Hab' so 'ne Ahnung, als wünschten
wir beide uns ein paar tausend
Meilen ganz wo anders hin, jeden-
falls etwas nördlicher — he?"
„Mein verehrter Herr Komman-
dant dieser weltberühmten, unein-
nehmbaren Feste, ohne ein bißchen
Selbstbetrug und Galgenhumor ist
das Leben durchaus keine nagel-
neue Hühnerleiter, und solange
man noch 'nen vernünftigen Trop-
fen zu trinken hat und sicher ist
vor dem Gerichtsvollzieher, so lange
ist das Leben noch erträglich! Und
nach dieser abgrundtiefen Weis-
heit Ihnen einen Hochachtungs-
schluck, mein Allerverehrtester!"
Mentzen brummte: „Sie mit
Ihrem Jringaer Salondeutsch!"
„Richtig! Mit dem Helf'ich mir
über die Stunden weg, die mir
durchaus nicht gefallen wollen!
Nicht alle setzen sich zu ihrem Plä-
sicrvergnügen hier unten in den
lieben Sonnenschein. Und wenn
rch auch man nur knapp meine

XVII. Ml.
 
Annotationen