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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 46.1911

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Heft 15
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https://doi.org/10.11588/diglit.60742#0326
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V^Luchfül'fM
jllustnette familienreilung
15. kiest. 1911.


Seh. kommerrienrat vr. lidols von krönen -s- (5. 328)

sie den auch nur für einen Augenblick vergessen, der
ihr den Jungen und dieses gesicherte Heim geschenkt
hatte. —
In solcher Verfassung traf sie eines Tages der
Sanitätsrat an. Der alte Menschenkenner zog sich
einen Sessel heran, setzte sich ihr dicht gegenüber,
redete ganz harmlos mit ihr und untersuchte dann
den kleinen Joachim.
„Gnädigste Baronin, ein Musterknabe!"
Er wollte sie zu einem befreienden Lachen zwin-
gen, aber sie legte die Stnn in Falten.
„Ich werde meine Angst ja doch nicht los,"
sagte sie.
„Angst? Ich bitte Sie! Im eigentlichen Sinne
des Wortes haben Sie auch gar keine, aber Nerven
— und das ist kein Wunder, die rebellieren von
Zeit zu Zeit. Nicht wahr?"
„Schließlich kommt das wohl auf dasselbe heraus."
„Beim Arzte uicht. Das Kind braucht mich schon
lange nicht mehr, aber Sie."
„Ich?"
Freundlich nickte ihr der Sanitätsrat zu. „Ja!
Und nun müssen Sie hübsch folgsam sein! Also das
Stillen hört auf!"

„Nein!"
„Gerade jetzt ist die richtige Zeit. Im Hoch-
sommer Ut's nicht mehr ratsam."
„Ein Jahr lang stille ich mein Kind minde-
stens."
Da rückte der Arzt erst an seiner goldumränderten
Brille und sagte dann ruhig, aber sehr energisch:
„Das Vorhaben macht Ihnen alle Ehre, aber Sie
nützen damit weder dem Kinde noch sich. Vor allen
Dingen braucht der kleine Joachim später einmal
eine feste Mutterhand, da der Vater nicht mehr ist,
dann dürfen Sie keine Nerven haben, und mit
längerem Stillen ruinieren Sie sich nur!"
Ein Zucken lief über Grete Mattstedts Gesicht,
und schließlich fing sie leise an zu weinen. Stumm
saß der Sanitätsrat neben ihr. Mochte sie sich nur
erst ihr Herz ein wenig erleichtern.
Dann schämte sie sich ihrer Schwäche. „Ja,
Nerven hab' ich wohl bekommen. Ihnen will ich
sagen, was mir den ärgsten Stoß versetzt hat, wenn
Sie mir versprechen, das Geheimnis zu wahren."
Da haschte der Sanitätsrat nach ihrer Händ.
„Liebe Frau Baronin, zur Verschwiegenheit sind
wir ja verpflichtet. Bitte, verheimlichen Sie mir
nichts, je klarer ich sehe, umso schneller
bring' ich Sie wieder auf den Damm."
„Sie haben ja meinen Mann wie
kaum einer gekannt."
„Das stimmt! Der prächtigste,
edelste Mensch weit und breit !"
Grete Blottstedt nickte, über ihr
verweintes Gesicht glitt ein verklären-
des Lächeln, und dann straffte sich
ihre Gestalt im Sessel auf, die Worte
hasteten ihr aus dem Munde. „Als
ich sein Weib wurde, da ist's mei-
nem Vater unsagbar schwer gewor-
den, mich von sich zu lassen. Und jetzt,
wo ich mit meinem kleinen Kinde
allein stehe, hat er mich fast aus
Süderlohe hinausgeworfcn!"
Der Sanitätsrat wußte, daß dies
arg übertrieben war, die überreizten
Nerven gaukelten ihr Trugbilder vor,
da mußte er doppelt vorsichtig in sei-
ner Antwort sein. „Na, na, na! Sie
kennen doch Ihren Herrn Papa! Der
hat gleich mal ein drastisches Wort
aus der Zunge. Das geht aber vielen
Menschen so, die nicht gern zeigen,
was sie eig-mtlich für ein weites
Herz haben."
„Hätt' er wenigstens nicht den
Versuch machen können, mich in Sü-
derlohe zu halten?"
Der Sanitätsrat legte die flache
Hand ans Kinn und machte ein nach-
denkliches Gesicht. „Das hätte er
wohl können — geb' ich gern zu. ...
Da haben Sie ganz recht, liebe Frau
Baronin.... Nun wollen wir aber
auch mal in aller Ruhe die Kehrseite
der Medaille betrachten. Ihr Herr
Papa — ich kenn' ihn doch auch
ziemlich genau — wird sich gesagt
haben, ich hab' kein Recht mehr, meine
Tochter zu halten! Ihr Junge kriegt
drüben das schöne Blottstedt, und —"
Aufgeregt winkte sie ihm mit der
Hand, zu schweigen.
„Da sehen Sie's! Der Gedanken-
gang war also richtig!"
„Gewiß, aber —"
Sie rückte unruhig in ihrem Sessel
hin und her.

Der wilde Wussow.
ssoman von lgoi-st godemer.
cvoi-tseftung.) ... -—lvschdruck verboten.)
hatte, bevor ihr Wussow den Vor-
l»SWM schlag gemacht, noch gar nicht ernsthaft an
eine Übersiedlung nach Blottstedt gedacht.
Später, viel später, mußte das natürlich
geschehen. Als aber der Herr Vetter in
seiner Äußerung gegen den Vater mit seinen Ner-
ven kokettiert hatte — der tiefere Sinn der Worte
Ivar ja unschwer zu erraten gewesen —, da war sie
mit sich zu Rate gegangen, ob sie doch nicht am
besten gleich umzöge. Zu einem klaren Entschluß
kam sie aber uicht, mochte also der Vater ent-
scheiden.
Dem hatte der Burgunder eine schwere Zunge
gemacht. Als sie ihm erzählte, was Wussow ihr
vorgeschlagen, hatte er sich nicht lauge gesperrt.
Nicht ein einziges Wort des Bedauerns war ge-
fallen, keinen noch so geringen Versuch hatte er ge-
macht, sie zu halten. Da fühlte sie sich tief verletzt.
Also nun mußte sie ganz allein auf
ihren Füßen stehen. Gut und schön,
aber wundern sollte man sich.
Dankersbach fühlte endlich doch,
daß er etwas mehr sagen mußte.
„Kind, vielleicht bleibst du doch noch
lieber hier!"
Mit einer energischen Handbewe-
gung schnitt sie ihm die Weiterrede
ab. „Nein — danke! So ist alles
in bester Ordnung!"
Damit das Gespräch nicht weiter-
geführt werden konnte, klingelte sie
nach der Zofe. Und nun ging's ans
Packen.
Allesblieb im Mattstedter Schlosse,
wie es gewesen war. Der Güter-
direktor schlug ihr eine Verlegung der
Wohnräume vor, sie wollte aber
nichts davon wissen, saß viel mit
dem Kinde im Freien und besuchte
täglich ein paarmal das Grab ihres
Mannes. Von dort holte sie sich
Stärke, so meinte sie, aber nur Ver-
bitterung brachte sie mit heim.
Der Tote hatte ihr einen festen
Halt gegeben, ein Kind hinterlassen,
dem hielt sie die Treue. Kaum ein
Jahr war sie Witwe, und schon ließ
Wussow merken, was er erhoffte!
Ein harter Zug legte sich um ihren
Mund. Bevor Joachim seine Hand
nach ihr ausgestreckt hattet wär's ihr
der Inbegriff aller Seligkeit gewesen,
Wufsows Weib zu werden. Und nun,
nachdem er jahrelang mit ihr — ge-
spielt, jawohl gespielt hatte, wollte er
Ernst machen! — O nein, so unter-
schätzen durfte er sie nicht, das grenzte
ja an Beleidigung!
Immer fester verbiß sie sich in
den Gedanken. Und wenn einmal
eine weichere Stimmung bei ihr auf-
kam, wenn sie sich vergegenwär-
tigte, welche Furchen seit zwanzig
Monaten das Schicksal in Wussows
Gesichtszüge eingemeißelt hatte, dann
nahm sie schnell das Kind in ihre
Arme und sah mit feuchten Augen
den kleinen, rosigen Kerl an. Sünde
und Schande wär's ja gewesen, hätte

xv. itzn.
 
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