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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 46.1911

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Heft 9
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https://doi.org/10.11588/diglit.60742#0199
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192 . ' - - .. . . VasLuch sül-Mle - ... . 1)est 9

Vas wogende Licht.
koman 3U5 den kl-eisen der hohen Diplomatie,
von L. v. ttdler8feld-6allestrem.

(vortse^ung.) —. — Nachdruck verboten.)

Natürlich braucht Lady Desmonds heftig
geäußerte Antipathie gegen den photo-
graphischen Apparat nichts anderes zu
sein als eine Laune des Alters; es kann
2 aber auch ein tieferer Grund darin


liegen; nämlich, daß sie etwas zu verbergen hat,
das dieser grausam getreue Porträtist ans Tageslicht
bringen könnte. Die Photographie ist für meinen
Beruf eines der wichtigsten Hilfsmittel, weil sie
verrät, was dem schärfsten Auge entgehen kann: sie
rückt mit wahrhaft satanischer Deutlichkeit in den
Vordergrund, was nicht zum Menschen gehört, was
er zur „Verbesserung" der Natur der Kosmetik ver-
dankt. Hat Oliva getreu geschildert, so tut Lady
Desmond nichts, um ihr Alter zu verbergen; dennoch
aber brenne ich darauf, dies ihr geraubte Bild zu
sehen. Und dieses Kamel von Pfifferling trägt es
in ein Geschäft zum Entwickeln, voll dessen bewußt,
daß die Filmrolle für die Mieter des Palazzo Santa
Chiara hochwichtige Bilder enthält, und — ist stolz
darauf, daß er die Negative „schon" nach vierund-
zwanzig Stunden wieder holen darf! Wie ist es
nur möglich, daß ein Mensch gleichzeitig so gescheit
und so dumm sein kann? Dummheit ist ja eine
Gottesgabe, man soll nicht dagegen murren, aber
man soll sie auch nicht mißbrauchen. Ich habe ihm
das dringend ans Herz gelegt.
Oliva scheint trotz den Hinweisen des Sekretärs
an eine unmittelbare Gefahr nicht zu glauben oder
überhaupt eine solche nicht für möglich zu halten.
Vielleicht besteht sie auch nicht, und der Sekretär-
hat nur die Absicht, sie zu irgend einem Zwecke in
Angst zu versetzen. Das ist eine Theorie, die nicht
zu übersehen ist, aber die meinige ist sie nicht. Ich
habe immer noch den Verdacht, daß Oliva zu irgend
einem ganz besonderen Zweck in den Palazzo ge-
lockt worden ist — dem Zweck, dem der angekettete
Uhu in den Jagdhütten dient: anzulocken und das
angelockte Wild schußgerecht zu machen. Vielleicht
fürchtet der Sekretär, daß der Schuß dabei „aus
Versehen" den armen Uhu treffen könnte, und zeigt
ihm, wo die Kette zu lösen ist.
Oder der Uhu soll erst fallen, wenn das Wild
erlegt ist.
Gott verhüte, daß solche Minen gelegt worden
sind, aber ich fürchte, ich fürchte, das arme blonde
Ding ist durch einen richtigen Instinkt zum Konsul
geführt worden, es hat jenes unerklärte und uner-
klärliche Etwas sie dorthin getrieben, das namen-
los in des Menschen Seele schlummert. Fromme
Seelen nennen es ihren Schutzengel, von dem der
Psalmist im neunzigsten Psalm singt.
Nun aber wollen wir die blonde Oliva nicht nur
aus der Drachenhöhle holen, sondern uns die größte
Mühe geben, auch den Drachen selbst unschädlich
zu machen. Was nützt es, die Schlange zu ver-
jagen, damit sie einen Gefährdeten nicht beißt?
Man muß sie töten, damit andere nicht unter ihrem
Gifte fallen.

Ich habe das unheimliche Gefühl, als hätten
wir es mit einer der subtilsten und gefährlichsten
Art zu tun.
Abends sechs Uhr. Vor einer halben
Stunde kam Pfifferling atemlos mit den Films
angehetzt, aus denen ich das, wie es schien, sehr
scharfe Negativ der im besten Lichte sitzenden alten
Dame rasch aussuchte und die anderen Bilder
Pfifferling für Oliva v. Uhlenhus mitgab. Während-
dem berichtete er, daß erstens Oliva heute vormittag
von einer Ausfahrt mit Lady Desmond in einer
kuriosen Stimmung heimgekehrt sei, und daß es
zweitens einen Disput zwischen dem Sekretär und
der Kammerfrau gegeben habe, von dem er aber
leider nur so Viel verstanden hat, daß der Sekretär
h^ute etwas noch nicht getan oder gesagt hat, was
er gestern schon hätte tun oder lagen müssen, wes-
halb Frau Taylor ihm scharf „zugesetzt" hätte.
Sie hätten eben sehr rasch und im Nebenzimmer
geredet, entschuldigte sich Pfifferling für diesen
vagen Bericht, das aber hätte er verstanden, daß der
Sekretär etwas von noch fehlenden Beweisen ge-
sprochen hätte, die noch nicht in seinen Händen wären.
Daraus ist nun nichts zu machen. Befragt, was er,
Pfifferling, unter einer „kuriosen Stimmung" von
Fräulein v. Uhlenhus verstünde, gab er die von
guter Beobachtung zeugende Erklärung: „Sie hatte
den Mund fest geschlossen, als wollte sie etwas ver-
beißen — etwas, das ihr wehtat oder was sie nicht
sagen wollte; die Nasenflügel zitterten ihr, und ihre
sonst so ruhigen und steten Augen funkelten nur
so wie eine gutgeputzte Messerklinge."

Damit schoß Pfifferling wieder davon. Warum
Oliva den Mund zusammengepreßt und mit den
Augen gefunkelt hat, werde ich erst aus ihrem Bericht,
also bestenfalls morgen früh erfahren können
— wenn sich die Gelegenheit nicht findet, heute
abend mit ihr ein Wort unter vier Augen reden zu
können. Das muß abgewartet werden.
Kaum war Pfifferling fort, als ich auch sofort
an die genaue Untersuchung des Films ging. Das
Negativ war scharf: es zeigte die alte Dame in
voller Beleuchtung auf dem Hintergrund des frucht-
beladenen Zitronenbaums in einem Rollsessel sitzend;
aus ihrem Gesicht konnte ich nicht viel machen, denn
es war mit lauter weißen und grauen Strichen und
Flecken bedeckt, die nicht im Film ihren Ursprung
hatten und auch nicht durch die Schatten sich leis
bewegender Blätter verursacht sein konnten.
Ich stieß unwillkürlich einen leisen Pfiff aus,
als ich dieses verkleckste Negativ durch die Lupe
betrachtete, und ging dann ohne Verweilen daran,
bei elektrischem Licht auf Veloxpapier eine Kopie
anzufertigen. Schon im Entwicklungsbade fing der
kostbarste und unfehlbarste aller Detektive, Frau
Sonne, seine Enthüllungen an; doch ich wollte eine
tadellose und haltbare Kopie, bezwang darum meine
Ungeduld und ließ das Fixierbad gründlich sein Werk
tun. Dann, im Wasserbade sah ich mir die sehr
gute und scharfe Kopie genau an und wußte nun,
was ich wissen wollte: daß diese Lady Desmond
eine Fälschung ist, denn die Falten und Runzeln
auf ihrem Gesichte, die das Auge ihrer nächsten
Umgebung täuschen konnten, die hohlen, grauen
Wangen sind „gemalt"! Die Sonne, die große
Meisterin, aber läßt sich nicht täuschen, sondern ent-
hüllt schonungslos die künstliche Nachhilfe, die hier
auf dem Gesichte der sogenannten Lady Desmond
als ein Netz von feinen und groben Strichen und
Flecken liegt, denn die mineralischen Substanzen,
aus denen die Schminken großenteils hergestellt
werden, verbinden sich auf der Photographie nicht
mit der Haut, sondern werden extra ausgeschieden.
Jeder Photograph kann sagen, welche Mühe es
macht, das Negativ eines geschminkten Gesichtes so
zu retuschieren, daß man dem fertigen Bilde den
Betrug nicht ansieht. Denn es ist ein Betrug, sich
so zurecht zu malen, daß man den Leuten damit
eine falsche Jugend oder falsche Schönheit, oder,
wie hier, ein falsches Alter vortäuscht.
Ich wette, daß die von Oliva so beanstandeten
Zahnlücken der Lady Desmond nichts sind als -—
schwarzes Wachs. Uber eine etwaige Identität der
Dame wage ich keinen Schluß. Einmal verdecken
die riesengroßen schwarzen Brillengläser zuviel von
dem Gesichte, das die auf der Photographie als
Kunst enthüllten Falten und Runzeln zudem un-
kenntlich machen. Auch die Form der Nase wird
dadurch verschoben, der Mund in eine falsche
optische Stellung gebracht. Er ist zudem auch über-
malt, wahrscheinlich blaßrötlich, wie er dem Alter
eigen ist. Als ob ich nicht jeden einzelnen dieser
Schminktöpfe kennte, nicht beurteilen könnte, welcher
Meister diese Lady Desmond zurecht macht und
unter seinem Pinsel entstehen läßt, daß er selbst
das scharfe Auge der Jugend zu täuschen vermag
und auch die Schnüffelnase dieses Riesenkamels von
Pfifferling nichts hat wittern lassen.
Nur die Hand, die auf der Photographie so
lässig auf dem Knie liegt, diese schlanke, wunderbar
schöne Hand könnte einiges verraten. Wir werden
heute abend dieser Hand eine besondere Aufmerk-
samkeit widmen, trotzdem sie sich Wohl wahrscheinlich
in ihre Spitzenhalbhandschuhe verstecken wird. Einen
sehr ernsthaften Charakter nehmen die Leute im
Palazzo Santa Chiara an durch ihre Kenntnisse
der verborgenen Verbindungswege, „die der Be-
sitzer nicht einmal kennt". Woher weiß man das?
Woher kennt sie der Stab der „Lady Desmond"?
Was bezwecken sie mit dieser Kenntnis?
Endlich: sind sie auch dem Geheimnis der Kaiserin
Messalina auf die Spur gekommen???
Doch es wird Zeit, zu Burgfrieds zu gehen,
weil ich eine Viertelstunde vor Lady Desmond
geladen bin, um ihren „Einzug auf der Wartburg"
mit anzusehen.
Jetzt, Franz Xaver Windmüller, jetzt brauchst
du nicht mehr im Dunkeln zu tappen, jetzt hast du,
dank den Instinkten Olivas, heimlich diese Photo-
graphie zu machen, einen Angriffspunkt gefunden,
der vielleicht neuen Lorbeer in deine Krone flicht,
von der deine Mitwelt wenig weiß, deine Nachwelt
wahrscheinlich nichts wissen wird. Wie sagt Scheffels
Erdmännlein?
Und wird dir auch kein Lorbeerreis
Um deine Stirn geflochten,
Auch der sei stolz, der sonder Preis —
„Den Kampf fürs Recht gefochten," variiere
ich mir die letzte Zeile.

Also, „auf in den Kampf, Torero! Mut in der
Brust — siegesbewußt!" —
SechsterBericht von Oliva v. Uhlenhus.
Palazzo Santa Chiara, 2. Dezember.
James brachte mir heut früh mit dem Frühstück
den „Tagesbefehl". Danach wünscht Lady Des-
mond am Vormittage mit mir auszufahren, um
nachmittags ruhen zu können, weil sie eine Ein-
ladung für sich und mich von Ihrer Exzellenz der
Frau v. Burgfried zum Souper angenommen habe.
Fritz hat gestern von dieser Einladung nichts ge-
sagt; entweder hat er's vergessen, oder seine Mutter
hat ihn selbst damit überrascht. Was das wahr-
scheinliche sein dürfte.
Gegen elf Uhr endlich wurde ich gerufen und
stieg bei dem strahlend schönen, wie im Frühling so
warmen Morgen zu Lady Desmond in ihr enges,
festgeschlossenes Coupe. Natürlich muß man gerecht
sein und sich sagen: Wenn du mal erst so alt bist,
wirst du wahrscheinlich auch im geschlossenen Wagen
fahren; aber mich verlangte so schrecklich nach Luft,
von der ich nichts mehr gespürt, seit ich im Palazzo
Santa Chiara war — Luft und Bewegung fangen
an, mir sehr zu fehlen.
Die Fahrt ging nicht allzu weit: nur bis zur Villa
Mattei, für deren Park Lady Desmond einen stän-
digen „Permesso" zur beliebigen Benützung hat.
Dort, in den Alleen und Gängen von immer-
grünen Ilex, Steineichen, Zypressen, Buchs und
Lorbeer wäre es einfach ideal gewesen, wenn man
nur hätte laufen dürfen! Aber ich mußte natürlich
Lady Desmond führen, und langsam schritten wir
die breite, von antiken Statuen und Büsten ein-
gefaßte Allee hinab bis zu dem wunderbaren Punkte,
wo eine Tafel besagt, daß hier der große, köstlich
heitere und frohmütige Filippo Neri mit seinen
Schülern zu sitzen liebte, die herrliche Aussicht auf
die fernen Berge von Albano, mit der leuchtenden
Perle Frascati an der Brust, zu bewundern — gegen-
über den grünen Aventin mit seinen fünf Kirchen,
seinen Ausläufern mit San Sabbas und dem festungs-
ähnlichen Kloster von Santa Balbina, zu Füßen die
kolossalen Ruinen der Caracallathermen — rechts
die Kuppel Michelangelos von Sankt Peter, links die
Via Appia, sich in der sonnenbeleuchteten Campagna
verlierend-oh, das ist ein Anblick, bei dem
man vergessen konnte, daß alles, alles ganz anders
gekommen war.
„Ja, das ist ein herrlicher Fleck Erde," erinnerte
mich Lady Desmonds Stimme an die Gegenwart.
Sie saß auf einem ausgebreiteten Plaid auf der
Bank und schien, wie ich, verloren in den Anblick
der Landschaft, aber der Ton, in dem sie sprach, hatte
etwas Ironisches, das mir weh auf die Nerven ging,
besonders als sie merkwürdig trocken und mißtönig
auflachte. „Was da nicht alles zu einem zurück-
kommt, wenn die Sonne scheint und das Leben vor
einem lacht--aber es kommt nicht mehr zurück,
es zeigt sich nur von weitem. Bah! Tont Ias8s,
tont casss, tont passo! Wir alle müssen's erfahren!"
Vielleicht hatte sie vom Standpunkt ihres Alters
recht — ich aber lehnte mich dagegen auf.
„Es braucht nicht alles zu ermüden, zu zerschellen
und vorüberzugehen, und es tut's auch gottlob nicht!"
behauptete ich mit mehr Energie, als mir daran lag
zu zeigen. „Was bei einem zutrifft, muß das gleich
für alle gelten?"
„Abwarten!" gab Lady Desmond zurück, und
als ich nur mit einem Achselzucken antwortete, be-
gann sie nach einer kleinen Pause: „Da wir mit
unseren Weltanschauungen wahrscheinlich doch nicht
übereinstimmen werden, so wechseln wir das Thema,
schlage ich vor. Ich habe Sie noch nicht danach
gefragt, Oliva, wie Sie sich gestern bei dem Emp-
fange unterhalten haben."
„Danke — sehr gut, Lady Desmond."
„Das ist recht. Ich sah Sie wenigstens öfters in
angeregter Unterhaltung. Herr v. Burgsried schien
Ihnen besonders viel zu sagen zu haben," sagte sie
in einem so öligen Tone, daß ich sofort die Ohren
spitzte.
„Ja natürlich — wir beide haben uns auch viel
zu sagen, nachdem wir uns so lange Jahre nicht
gesehen," gab ich zu und ärgerte mich dabei wütend
über mich selbst, weil ich fühlte, daß ich purpur-
rot wurde. Ich hoffe aber, daß man durch solch
schwarze Brillengläser einen Menschen nicht rot
werden sehen kann.
„Und Sie haben inzwischen nichts von ihm, nichts
über ihn gehört?" forschte Lady Desmond.
„Nicht ein Wort, außer daß er die diplomatische
Laufbahn eingeschlagen hatte," antwortete ich wahr-
heitsgetreu.
„Nun, es ist manchmal besser, wenn man nichts
hört, nichts erfährt," meinte Lady Desmond und
nahm eine Prise. Das macht sie wirklich sehr ele-
 
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