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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 46.1911

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Heft 22
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https://doi.org/10.11588/diglit.60742#0474
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478 — ' — .
scheidungen? Der Herr Vater ließen sich doch auch
von meiner Frau Mutter scheiden!"
Der König znckte zusammen. Die Erinnerung
an seine erste Gemahlin blieb ihm stets schmerzlich,
und der peinliche Ehescheidungsprozeß mit dieser
mecklenburgischen Herzogin die bitterste Erfahrung
seines Lebens. „Ich hatte schwerwiegende Gründe
dazu," sagte er dann.
„Nun, meine Frauen mögen wohl auch schwer-
wiegende Gründe gehabt haben," rief Kronprinz
Friedrich lachend.
„Dafür hast du allerdings reichlich gesorgt," be-
stätigte der König bitter. „Von der Stunde deiner
Geburt an warst du ein Stein in meinem Wege,
ein Dorn in meinem Auge," fuhr er sich immer
mehr erhitzend fort. „Häßlich und plump von Kind-
heit an, rief mir dein Anblick stets befchämende Er-
innerungen ins Gedächtnis."
„Darum wurde ich wohl auch so viel wie möglich
beiseite geschoben nnd in jeder Weise vernachlässigt,"
stimmte Kronprinz Friedrich im Andenken an seine
allerdings sehr freudlose Jugend bei. „Mir war auch
immer am wohlsten, wenn ich nichts von dir und
der gnädigen Frau Stiefmutter sah, sondern als Graf
Wagrien im Auslande leben konnte."
„So tue das wieder, und uns allen ist geholfen!"
„Nein — denn dann wird Christine nicht Gräfin,
und mein Museum bleibt unvollendet."
„Wir drehen uns im Kreise." Die wächsernen,
mageren Finger des Königs fuhren mit leise kratzen-
dem Geräusch über die blauseidene Decke, die über
seinen Knieen lag. „Also du willst trotz schriftlicher
Versprechen, daß ich die Mamsell Rasmussen in den
Adelstand erheben und sie dir zur linken Hand so-
fort antrauen lassen werde, nicht auf die Thronfolge
verzichten?"
„Erst tue das, was du versprichst. Dann wollen
wir weiter sehen," entgegnete der Kronprinz schlau.
Der König zuckte nur die Achseln. „Ich fühle
mich nicht imstande, diese Unterredung weiterzu-
führen, und muß also auch meinerseits die Verhand-
lungen mit dir als gescheitert betrachten," sagte er
endlich mit schwerer Betonung. — „Graf Holm!"
„Majestät!"
„Leider kann ich Euer Exzellenz nicht den Vor-
wurf ersparen, die Verhandlungen mit Seiner König-
lichen Hoheit dem Kronprinzen mit wenig Geschick
geführt zu haben."
„Die Unzufriedenheit Euer Majestät schmerzt
mich tief. Ich bitte daher untertünigst, eine ge-
eignetere Person an meine Stelle setzen zu wollen
und mich von dem Amt eines ersten Ministers zu
entbinden."
Der König neigte zustimmend den Kopf. „Ihr
erbetener Abschied wird Ihnen mit der gesetzlichen
Pension bewilligt. Die wird es Ihnen ermöglichen,
einen freundlichen Lebensabend im Kreife der Ihren
zu genießen. Oder sollten Sie es vorziehen, noch
in andere Dienste zu treten?"
Graf Holm sah sich durchschaut, doch verriet er
sein Mißbehagen mit keiner Silbe. Er verbeugte
sich tief vor dem König, als dieser ihm nach einer
entlassenden Handbewegung kalt die Spitzen seiner
Finger hinhielt. Dann ging er hinter dem voran-
schreitenden Lakaien die so wohlbekannten Gänge
und Treppen hinunter. Ihm war zumute wie einem
Menschen, dem soeben ein Glied feines Körpers
amputiert wurde. Er weiß, daß ihm etwas fehlt,
was er stets schmerzlich missen wird, aber die Nerven
sind noch wie gelähmt. Er ahnt erst die Qualen,
die noch folgen müssen.
Die Ungnade des Königs, dem er so lange diente,
ging ihm sehr nahe. Aber wer konnte es ihm in
seiner verzweifelten Lage verdenken, daß er einen
Sterbenden, dessen Tage gezählt waren, verließ,
um sich der Gunst des Nachfolgers zu versichern?
Trotzdem mußte er öfter den Kneifer abwischen, weil
die Gläser anliefen, als er so zum letzten Male als
Minister die steinernen Stufen der Schloßtreppe
hinunterging.
Die Pappeln auf dem Amalienborgplatz säuselten.
Wenn ein Windstoß durch die Bäume fuhr, ging
ein Silberschauer über die Zweige, weil die lang-
gestielten Blätter bei jedem Hauch ihre innere, weiß-
glänzende Seite nach außen drehten. Die Geranien
auf den länglichen Beeten glühten brennendrot. Tie
graugrünen Reseden, die sie einfaßten, dufteten stark.
Die Kastanien auf der Gröningen-Esplanade wehten
mit goldenen Herbstfächern.
Graf Holm nahm das alles wahr, ohne es doch
eigentlich zu sehen. Ein mattes Wohlgefühl mit
Wehmut vermischt beschlich ihn. Er fühlte die ver-
traute Natur, die er so tausendmal gesehen, alle diese
Häuser, Bäume und Blumen, unter den jetzt so
veränderten Verhältnissen wie einen feinen körper-
lichen Schmerz am Herzen.
Mechanisch erwiderte er die respektvollen Grüße
einiger bekannter Herren, die an ihm vorübergingen.

- Da5 Luch sül- Me_---
„Wenn sie ahnten, daß ich im Begriff bin, mein
Abschiedsgesuch aufzusetzcn, würden sie die Hüte nicht
mehr so tief vor mir ziehen," dachte Graf Holm in
bitterer Sclbstverspottung.
Er beachtete, in seine unangenehmen Gedanken
vertieft, nicht die eiligen Fußtritte hinter ihm, die
ein lautes Schnaufen, Pusten und Stöhnen be-
gleitete. Erst als eine Hand sich schwer auf seine
Schulter legte, wandte er sich um — und sah dem
Kronprinzen Friedrich in sein blaurot gefärbtes
Gesicht.
„Mensch, was können Sie mit Ihren Spinnen-
beinen laufen?" stöhnte der Prinz in seiner burschi-
kosen Art. Der Hut saß ihm schief auf dem Kopf.
Er nahm ihn ab und trocknete sich den Schweiß von
der Stirn. Sein Anzug — er trug selten Uniform,
sondern fast immer Zivil — war nichts weniger als
elegant. Diesen nachlässigen Aufzug kannte man
aber am Kronprinzen, und niemand in Kopenhagen
wunderte sich mehr darüber, ihn stets ohne Ad-
jutanten oder Kammerherrn im Räuberzivil, oft an
sehr merkwürdigen Orten, in ganz kleinen Kneipen
und Winkeltheatern, anzutreffen.
„Was befehlen Königliche Hoheit?" fragte Holm
gemessen. „Ein Bote hätte mich doch schnell erreicht,
und Euer Königliche Hoheit brauchten sich nicht selbst
zu bemühen."
„Weiß ich — weiß ich. Es stehen genug saule
Lümmel im Schloß herum. Ich wollte Sie aber
lieber noch abfassen, um Ihnen gleich selbst zu sagen,
daß ich Ihnen sehr dankbar bin, weil Sie sich meiner
annahmen in dieser fatalen Angelegenheit."
„Meine Pflicht dem Lande gegenüber gebot mir,
Euer Königlichen Hoheit von dem so folgenschweren
Schritt einer Thronverzichtung abzuraten - obgleich
mich dies die Gunst des Königs kostete."
„Freilich, der Herr Vater grollt. Er ließ sich
vor Wut zitternd in sein Schlafzimmer führen. Die
Unterredung griff ihn wirklich sehr stark an," meinte
der Kronprinz in bedauerndem Ton. „Lieber Him-
mel, ich hätte dem alten Herrn ja schließlich den
Gefallen tun und verzichten können, aber wenn Sie
meinen, daß er in der Tat so krank ist, da wäre
solcher Schritt doch sehr übereilt gewesen."
„Der Tod kann täglich eintreten, sagte mir der
Leibarzt. Wenn Seine Majestät sich ganz ruhig hält,
mag das Ende noch einige Wochen auf sich warten
lassen, wie kann man aber bei den verwickelten
politischen Verhältnissen dem hohen Kranken Er-
regungen fernhalten?"
„Was denken Sie denn zu tun, Graf? Hier in
Kopenhagen als Minister a. D. zu leben, wird Ihnen
schwerlich gefallen."
„Königliche Hoheit, ich muß mich um irgend eine
Stellung bewerben. Ich bin ohne Gehalt nicht in
der Lage, von meiner Pension meine Familie
standesgemäß zu erhalten."
Der Kronprinz pfiff durch die Zähne. „Ich
dachte, Sie hätten Geld wie Heu."
„Unglückliche Spekulationen, große Ausgaben —"
„Na, wenn's so steht, kann ich Ihnen einen Vor-
schlag machen, mit dem uns beiden gedient sein
wird."
„Königliche Hoheit befehlen?"
„Ich schlage Ihnen vor: kommen Sie zu mir
nach Frederiksborg. Werden Sie dort Hofmarschall.
Mit meinen jetzigen Kammerherren und Hofchefs
habe ich beständigen Ärger. Die sind alle verheiratet,
und ihre albernen Frauen können sich nicht mit
Christine stellen. Dabei lebt die mit ihrer alten
Tante ganz zurückgezogen in einem Gartenhäuschen
im Park. Natürlich lade ich die Tante und meine
Braut — denn das ist Christine, und wenn sich auch
ganz Kopenhagen deswegen auf den Kopf stellt —
ins Schloß zu kleinen Festlichkeiten, und darüber
spektakeln die Damen — diese Gänse! Sie sind ja
zum Glück Witwer, lieber Holm, und ohne weib-
lichen Anhang, denn die schöne Karin heiratet gewiß
bald."
Obgleich dieser Vorschlag ganz den Hoffnungen
des Grafen entsprach, griff er doch nicht sofort zu,
sondern bat um Zeit, da er erst mit Tochter und
Schwiegersohn Rücksprache nehmen müsse.
Das gestand der Kronprinz bereitwillig zu. Das
viele Sprechen hatte ihm aber großen Durst gemacht.
„Wir wollen rasch in den ,König von Dänemark
gehen und unsere Pläne begießen," schlug er vor.
Aber Graf Holm bat, wegbleiben zu dürfen. Er
kannte diese Begießungen des Kronprinzen, bei denen
der Gastgeber meist zum Schluß schwer betrunken
unter dem Tisch lag. Er versprach, bald zu schreiben
und seine Bedingungen nennen zu wollen. „Allzu
bescheiden werden diese aber nicht sein, Königliche
Hoheit," sagte er.
Der Kronprinz nickte ihm lachend zu. Er dachte
anders als sein sparsamer Vater, und heute war er
trotz der häßlichen Szene mit dem König in strahlen-
der Laune, weil er einmal wieder ohne lästige Be-

- -. hest 22
glcitung ausgiebig m Kopenhagen herumbummeln
konnte.
Er begleitete den Minister noch bis zu seiner
Wohnung. Am Fenster bemerkte er Karins reizendes
Gesicht und sandte einen Gruß hinauf. Am liebsten
hätte er ihr eine Kußhand zugeworfen, aber das
wagte er dieser stolzen jungen Schönheit gegenüber,
die seinen Gruß mit eisiger Kälte erwiderte, doch
nicht.
„Nun, ist mein junges Paar einig?" fragte Gras
Holm, als er in Karins Zimmer trat, in dem diese
mit Christian ihn bereits ungeduldig erwartete.
„Exzellenz haben doch nicht eine Sekunde glauben
können, daß der Wechsel in Ihrem und daher auch
in Karins Geschick meine Gefühle für meine Braut
ändern könnte?" fragte Christian rasch.
„Nein, mein lieber Reventlow, das habe ich nicht
gedacht, sondern Karin sofort meine Überzeugung
ausgesprochen, Sie würden jetzt nur um so fester
an ihr halten." Graf Holm klopfte dem jungen
Offizier freundlich auf die Schulter. „Und auch an
der Einwilligung Ihres Vaters zweifle ich nicht,
wenn Sie ihm entgegenkommen — und vorläufig
einen längeren Urlaub erbitten."
„Ganz meine Ansicht, Exzellenz," bestätigte
Christian mit glänzenden Augen. „Ich kenne meinen
Vater besser als Karin, die das bezweifelt. Mein
Vater wird sie mit offenen Armen empfangen, und
der Gedanke, sie in Johannisberg bei meinen Eltern
zu wissen und selber in ihrer unmittelbaren Nähe
auf dem Medderkoog zu sein, hat sogar sehr viel
Reiz für mich."
Er legte seine Hand unter Karins Kinn, um sich
ihr ihm abgewandtes Gesicht zuzudrehen, aber sie
streifte seine Hand ein wenig ungeduldig ab und
wandte sich ihrem Vater mit der Frage zu: „Wie
nahm der König deine Mitteilung auf, Papa?"
„So unfreundlich wie möglich. Ich erbat meinen
Abschied. Der ist mir sofort in Gnaden — das heißt
eigentlich in Ungnaden bewilligt. Alles übrige ist
nur noch Formsache."
„Also doch!" Karins stolzer Mund zuckte. Jetzt
merkte sie erst, wie fest sie im stillen immer noch
an eine andere Lösung geglaubt hatte.
Graf Holm sah ihre bittere Enttäuschung und
fuhr darum fort, seine Unterredung mit dem Kron
Prinzen und dessen Anerbietungen in möglichst
günstigem Licht darzustellen.
„Trotzdem bleibt es ein himmelweiter Unter-
schied, ob du erster Minister beim König oder Hof-
marschall bei dem verdrehten Kronprinzen bist," ent-
gegnete Karin mutlos.
„Gewiß!" bestätigte Graf Holm. „Darum werde
ich mich ohne feste Zukunftsgarantien auch auf nichts
einlassen. — Und Ihnen, lieber Christian, rate ich
ebenfalls, sich nicht die Hände zu binden Ihrem
Vater gegenüber. Sie nehmen Urlaub, aber Sie
verpflichten sich zu nichts. Sehen Sie diese Zeit
als ein Ubergangsstadium an. Meiner festen Über-
zeugung nach haben sich in wenigen Wochen sowohl
in Dänemark wie in Schleswig-Holstein sämtliche
Verhältnisse bereits wieder zu unseren Gunsten ge-
ändert."
Er küßte Karin auf die Stirn, drückte Christian
die Hand und ging dann in sein Zimmer, um sein
Abschiedsgesuch in festen Zügen aufzusetzen. —
Die Tatsachen gaben dem Grafen Holm recht.
Der König bewilligte kurzerhand den erbetenen Ab-
schied. Herr v. Hall wurde Graf Holms Nachfolger,
und diesem neuen Stern am politischen Himmel
wandten sich sogleich alle „guten und besten Freunde"
des entlassenen Ministers zu. Auch seine nächsten
Verwandten zeigten sofort eine kühl reservierte Hal-
tung. Karins Stolz litt schwer darunter.
Aus Lotte war überhaupt nichts mehr heraus-
zubringen. Sie sah bis zur Unkenntlichkeit verweint
aus, weil sie zwei Tage vor Schluß der Ferien in
die Pension zurückkehren sollte. Dies traf sie viel
härter als der Abschied ihres Vaters und die Auf-
lösung ihres heimatlichen Haushalts.
Vom alten Grafen Reventlow lief sehr bald ein
Schreiben ein, in dem er dem Sohn seine Zustim-
mung zur Verlobung erteilte unter der Voraus-
setzung, daß sein Sohn, wie er versprochen habe,
Urlaub erbitten und den Medderkoog bewirtschaften
wolle.
Der Schluß des Briefes klang beinahe herzlich —
herzlicher jedenfalls als das recht kühl gehaltene
Schreiben der Mutter, die ihre bittere Enttäuschung
über die Wendung im Geschick des Ministers und
damit auch in dem ihres Sohnes nicht verbergen
konnte. Erst als Christian ihr einige Andeutungen
über die geheimen Motive des Grasen Holm machte,
beruhigte sie sich. Für solche Pläne und weitaus-
schauenden Zukunftsberechnungen besaß sie viel Ver-
ständnis.
Sie fand sich daher anscheinend so leicht mit dem
 
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