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Heft 2



Schmugglermarkt in Kaldenkirchen an der holländischen Grenze.

übertragen, war für seinen Entschluß entscheidend gewesen. Nicht
zuletzt auch die Gewißheit, seiner Frau einen längst still gehegten
Wunsch damit zu erfüllen.
Obwohl sie ihm seinerzeit ein hübsches Erbteil mitgebracht,
hatte sie sich doch immer bescheiden in alles gefügt, was er für-
richtig gehalten; vor allem in die straffe Sparsamkeit. Nun sollte
sie dafür aber auch Wohlstand im Hause kennenlernen, wenn das
Geschäft auch weiterhin soviel abwarf wie bisher. Daß es unter
seiner Leitung nicht rückwärts gehen würde, dazu fühlte Florian
Beeren sich Manns genug.
Mit erfreulichen Gedanken war er in Schlaf gesunken, als
ein Pochen an der Tür ihn erweckte. Da er mit dem Gesicht nach
der Wand lag und dem Eingang den Rücken zukehrte, mußte er
sich erst umkehren, während das Schloß zuklappte, der Besucher
also eingetreten war.
Florian Beeren kam mit noch geöffneter Weste und Rock zum
Sitzen und fragte: „Was gibt's denn?" Er musterte den Störer-
nicht allzu freundlich vom Scheitel bis zur Sohle, stand dann aber
auf und fragte höflich: „Womit kann ich dienen?"
Der Oberforstmeister stand im Bann der Erinnerung. Die
Gestalt seines Stiefbruders, wie sie ihm im Gedächtnis geblieben
war, mußte erst in Vergleich treten mit der gedrungenen Männer-
gestalt. Dies gerötete Gesicht erkannte er nicht mehr. Die ganze
Erscheinung in ihrer saloppen Bequemlichkeit berührte ihn nicht
angenehm.
„Womit kann ich dienen?" wiederholte Florian Beeren und
brachte seine Weste in Ordnung.
„Mit ein wenig gutem Willen," erwiderte der Ober-
forstmeister, seine schlanke Gestalt straff aufrichtend. Die
schöne Luitgarde von Lure hatte ihrem Sohn genug von
ihrem Äußern vererbt, um ihn als schroffen Gegensatz zu
seinem Stiefbruder erscheinen zu lassen.
„Womit? Mit was?" fragte Florian. Er glaubte nicht
recht gehört zu haben.
„Du erkennst mich nicht?" fragte der Oberforstmeister,
einige Schritte näher tretend, wobei auch ihm bei einem
Seitenblick durch das Fenster das sonnenbeleuchtete Laden-
schild die Augen blendete. „Ich kenne dich auch nicht wieder.
Doch das wäre schließlich das geringste."
Florians Augen öffneten sich weit vor Staunen. Dann
glitt ein Zucken über sein Gesicht, und endlich hellte es sich auf.
„So, so!" sagte er, ihm die Hand bietend. „Das ist
anerkennenswert von dir, mich aufzusuchen. Nimm Platz.
Wir sind hier ganz gut untergebracht. Meine Gattin ist
eben zu Frau Zippelmann gegangen. Wie kommst du denn
hierher?"
Der Oberforstmeister hatte die derbe Hand eine Se-
kunde lang in der seinen gehalten, bevor er sich auf den
angebotenen Stuhl setzte.

„Ich wohne in der Stadt. Ich bin als Oberforstmeister
hierher versetzt worden."
„Na," sagte Florian Beeren, „da hast du's ja weit ge-
bracht. Damit wird es dann aber wohl aus sein. Oder
kannst du noch weiter kommen?"
„Zukunftsfrage. — Meine Mutter, ihre Schwester und
ihr Vetter, der Major von Lure, wohnen auch hier." Der
Oberforstmeister zwang sich zu vertraulichem Ton. „Das
sollte dich auf die Spur bringen, weshalb ich dich ungeschickter-
weise im Schlaf störte."
Florian räusperte sich ein paarmal; dann sagte er nach-
denklich: „Mir wäüs zwar lieber gewesen, wenn es Zwischen
uns geblieben wäre wie bisher, aber abgesehen von dem
Major Lure, den ich nicht kenne, macht es auf mich keinen
besonderen Eindruck, daß deine Mutter und die Tante hier-
leben. Die Zeiten sind glücklicherweise vorüber, wo ich der
Familie nicht in den Kram paßte. Ja, ja, man mißachtete
mich, und es gab so viel an mir zu erziehen und zu be-
mängeln, daß ich mein bißchen Verstand zusammennahm
und auf und davon ging, und ..."
„Was zu vermeiden gewesen wäre," unterbrach der
Oberforstmeister lebhaft.
„Ich wußte nicht," sagte Florian, und ein harter Zug erschien
um seinen Mund, „daß einem von euch das Essen darum weniger-
geschmeckt Hütte. Aber herausgebracht hat es später mein Rechts-
anwalt, daß der Nießbrauch des Vermögens meiner Mutter -
die Beeren sind, wie dir bekannt ist, nicht begütert —, daß unser
beiderseitiger Vater den Begriff des Nießbrauchs ziemlich weit
ausgedehnt hat. An meinem Erbe konnte ich das nachrechnen."
„Das kann nicht sein," erwiderte der Oberforstmeister heftig.
„Na, das laß nur gut sein. Ich sagte damals, Skandal will
ich nicht. Zu ändern ist auch nichts mehr — also reden wir weiter
nicht darüber."
Florian Beeren blickte auf.
„Er ist gestorben, ohne an mich gedacht zu haben — gut. Ich
habe mir selber geholfen und darf mit dem Erfolg zufrieden sein.
Was deine Mutter und Tante betrifft, die damals, wenn sie zu
Besuch kau:, immer redlich gepetzt und gehetzt hat gegen mich,
die sich's wohl sein ließ bei uns nach den Damenstiftfastereien —
Nein, bleib nur sitzen! Es fuhr nur so mit heraus. Kinder hast
du wohl nicht?"
„Mein Sohn ist Referendar. Zwei Töchter habe ich," sagte
der Oberforstmeister, seinen Verdruß mühsam verhaltend.
„Ich habe außer meinem Sohn bloß eine Tochter. Aber die
ist uns so gut wie zehn andere. Seid wohl überrascht gewesen,
als ihr meine Anzeige gelesen habt?"
„Nicht nur überrascht," sagte der Oberforstmeister, jetzt ge-



Der wiederaufgebaute, aber im polnisch-russischen Greuzkrieg aufs
neue zerstörte Bahnhof in Soldau.
 
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