DasBurbMvAllL
HestJLZtlustrierteKmIllMMlung. i->2t
Filmrau^cl).
Roman von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung
^MIHolfgang Reinhardt sah Hilde einen Augenblick wie be-
troffen an, dann sagte er: „Nein, mir hilft kein Schlaf-
Mir hilft nichts. Ich kann das Gesicht nicht mehr-
los werden — das
gräßliche Gesicht
dieses Toten."
Hilde war auf-
gestanden. Ohne
Scheu ergriff sie
seine Hand und
führte den schwach
Widerstrebenden zu
einem Diwan.
„Setzen Sie sich
erst einmal. Wenn
es sein muß, werde
ich Sie natürlich
hinauslassen;denn
Sie sind kein Ge-
fangener. Aber Sie
könnten doch viel-
leicht versuchen,
HerrüberJhreNer-
ven zu werden. Ich
weiß von meinem
Bruder, daß Sie
etwas Schreckliches
erlebt haben. Einen
Menschen sterben
zu sehen, ist immer
furchtbar. Den Ver-
stand aber verliert
mandarübernicht."
„Auch nicht, wenn
inan Schuld ist an
seinemTode?Wenn
man ihn hineinge-
trieben hat—ohne
Mitleid — ohne ein
Erbarmen mit sei-
ner Verzweiflung?"
„Das taten Sie
gewiß niemals. Ich
ahne ja nicht, was
zwischen Ihnen und
ihm geschah. Aber
was Sie sich auch
vorzuwerfen hab en
mögen — diese
Folge sahen Sie
sicherlich nicht vor-
aus."
„Nein. Aberdas
spricht mich nicht
frei. Als er mich
flehentlich bat, ihm
das Weib zu über- Das Abendlied.
lassen — warum sagte ich ihm nicht: ,Nimm sie! Ich verabscheue sie
ja! Ich könnte sie nicht mehr anrühren ohne das Gefühl, mich
zu beschmutzen/ — Er würde die Pistole nicht gegen sich abge-
drückt haben, hätte ich ihm das gesagt."
„Das sind sinnlose Selbstanklagen, Herr Reinhardt! Der
Mann, von dem Sie reden, war wohl kaum zu retten. Und mag
jene Frau gewesen sein, wer sie will, daß Sie nicht so hätten
von ihr sprechen dürfen, ist doch ganz selbstverständlich."
„Ja — vielleicht
haben Sie recht —
vielleichtkonnteund
durfte ich es nicht
sagen. Aber dadurch
wird nichts daran ge-
ündert, daß ich ein
verlorener Mensch
bin. Ich habe einen
Ekel vor mir selbst
undeinGrauenvor
dem Leben."
„JndieserNacht
—wohl. Übermor-
gen, wenn es Tag
geworden ist, wer-
den Sie anders
denken. Man soll
in Ihrem Alter-
nicht von einem
verlorenen Leben
sprechen. So weit
können Sie sich
nicht weggeworfen
haben, daß Sie sich
nichtwiederfänden."
Er hatte sich
matt an die Lehne
desSofas zurückge-
neigt und lag mit ge-
schlossenen Augen.
„Sprechen Sie
weiter," sagte er
leise. „Ihre Stimme
istso sanft—so gütig
—sietutmirwohl."
„Und ebensolche
freundlichen Stim-
men werden Sie
noch viele hören.
Denken Sie doch
an Ihren Vater, an
Ihre Schwester!
Glauben Sie nicht,
daß ihre Liebe stark
genug ist, diefinste-
renG eister aus Ihrer
Seele zu scheuchen?"
„MeineSchwe-
ster!" murmelte er.
„Meine liebe kleine
Ilse! Wenn sie
wüßte, was für einen
Bruder sie hat!"
Nach einem Gemälde von Walter Fiele.
22. 1921.
HestJLZtlustrierteKmIllMMlung. i->2t
Filmrau^cl).
Roman von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung
^MIHolfgang Reinhardt sah Hilde einen Augenblick wie be-
troffen an, dann sagte er: „Nein, mir hilft kein Schlaf-
Mir hilft nichts. Ich kann das Gesicht nicht mehr-
los werden — das
gräßliche Gesicht
dieses Toten."
Hilde war auf-
gestanden. Ohne
Scheu ergriff sie
seine Hand und
führte den schwach
Widerstrebenden zu
einem Diwan.
„Setzen Sie sich
erst einmal. Wenn
es sein muß, werde
ich Sie natürlich
hinauslassen;denn
Sie sind kein Ge-
fangener. Aber Sie
könnten doch viel-
leicht versuchen,
HerrüberJhreNer-
ven zu werden. Ich
weiß von meinem
Bruder, daß Sie
etwas Schreckliches
erlebt haben. Einen
Menschen sterben
zu sehen, ist immer
furchtbar. Den Ver-
stand aber verliert
mandarübernicht."
„Auch nicht, wenn
inan Schuld ist an
seinemTode?Wenn
man ihn hineinge-
trieben hat—ohne
Mitleid — ohne ein
Erbarmen mit sei-
ner Verzweiflung?"
„Das taten Sie
gewiß niemals. Ich
ahne ja nicht, was
zwischen Ihnen und
ihm geschah. Aber
was Sie sich auch
vorzuwerfen hab en
mögen — diese
Folge sahen Sie
sicherlich nicht vor-
aus."
„Nein. Aberdas
spricht mich nicht
frei. Als er mich
flehentlich bat, ihm
das Weib zu über- Das Abendlied.
lassen — warum sagte ich ihm nicht: ,Nimm sie! Ich verabscheue sie
ja! Ich könnte sie nicht mehr anrühren ohne das Gefühl, mich
zu beschmutzen/ — Er würde die Pistole nicht gegen sich abge-
drückt haben, hätte ich ihm das gesagt."
„Das sind sinnlose Selbstanklagen, Herr Reinhardt! Der
Mann, von dem Sie reden, war wohl kaum zu retten. Und mag
jene Frau gewesen sein, wer sie will, daß Sie nicht so hätten
von ihr sprechen dürfen, ist doch ganz selbstverständlich."
„Ja — vielleicht
haben Sie recht —
vielleichtkonnteund
durfte ich es nicht
sagen. Aber dadurch
wird nichts daran ge-
ündert, daß ich ein
verlorener Mensch
bin. Ich habe einen
Ekel vor mir selbst
undeinGrauenvor
dem Leben."
„JndieserNacht
—wohl. Übermor-
gen, wenn es Tag
geworden ist, wer-
den Sie anders
denken. Man soll
in Ihrem Alter-
nicht von einem
verlorenen Leben
sprechen. So weit
können Sie sich
nicht weggeworfen
haben, daß Sie sich
nichtwiederfänden."
Er hatte sich
matt an die Lehne
desSofas zurückge-
neigt und lag mit ge-
schlossenen Augen.
„Sprechen Sie
weiter," sagte er
leise. „Ihre Stimme
istso sanft—so gütig
—sietutmirwohl."
„Und ebensolche
freundlichen Stim-
men werden Sie
noch viele hören.
Denken Sie doch
an Ihren Vater, an
Ihre Schwester!
Glauben Sie nicht,
daß ihre Liebe stark
genug ist, diefinste-
renG eister aus Ihrer
Seele zu scheuchen?"
„MeineSchwe-
ster!" murmelte er.
„Meine liebe kleine
Ilse! Wenn sie
wüßte, was für einen
Bruder sie hat!"
Nach einem Gemälde von Walter Fiele.
22. 1921.