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Heft 2

DasVuchfüvAlle

2Z

Bolschewistische Kavallerie in Soldau.


rade aufs Ziel losgehend, „sondern auch peinlich berührt.
Man braucht nicht allzuviel Weltkenntnis zu besitzen, um
das zu begreifen. Mein Dienstrang und die gesellschaftliche
Stellung meiner Familie, die Auszeichnung, die dem Major
von Lure überall entgegengebracht wird —"
„Na — und? — Was weiter noch?"
Die Frage klang so spitz, daß der Oberforstmeister einzu-
lenken versuchte.
„Wir sprechen vertraulich über vertrauliche Dinge. Gegen ,
den Strom kann keiner schwimmen, und überall, was ich
dir gewiß nicht erst zu erklären brauche, stoßen Gegensätze
aufeinander. Wir, das heißt ich und du, haben die Gesell-
schaftsordnung nicht gemacht. Wir fanden sie so und müssen
sie hinnehmen, wie sie überliefert ist. Daran ändern kann
man nichts. Jeder Stand ist auf seine Weise und in seiner
Bedeutung ehrenvoll und unentbehrlich. Wenn du dies als
Grund nimmst, wirst du begreifen, was ich dir anzndeuten..."
Florians Gesicht verfinsterte sich, bei dem Wort „ehren-
voll" sah er beinahe grimmig aus. Er steckte beide Hände in
die Rocktaschen, drehte sich kurz auf dem Absatz zum Fenster
hin und trommelte dort mit den Fingern an die Scheiben.
Der Oberforstmeister folgte ihm mit zwei Schritten, unbehag-
lich mißgestimmt. „Du solltest die Geschichte nicht tragisch nehmen.
In einer Stadt mit hunderttausend Einwohnern wäre kein Wort
darüber zu verlieren, hier aber in den verhältnismäßig engen
Verhältnissen ist das doch anders. Da sind, um nur an eines zu
erinnern, die Dienstboten —"
Florian Beeren kehrte sich mit einem Ruck um. Sein Gesicht
erschien beängstigend rot; er strich sein leicht ergrautes Haar heftig
von der Stirn in die Höhe.
„So steht's? Darauf lüuft's hinaus?" sagte er, jedes Wort
scharf betonend. „Du schämst dich meiner, bedauerst, daß ich hier-
bin. Ich, das heißt der Florian Beeren, ist dir im Wege mit seinem
Kolonialwarengeschäft. So ist das zu verstehen, Herr Oberforst-
meister?" Er lachte schroff. „Und ich bedankte mich auch noch für
deine Brüderlichkeit! Spürte so was wie Verständnis dafür.
Na, ich hätte doch besser wissen sollen, was in den Lures steckt,
und — und sofort begreifen müssen, als du zu mir kamst!"
„Ich suchte Verständigung," beeilte sich der Oberforstmeister
zu erwidern. „Ich sagte nichts, als was jeder in meiner Lage
empfinden und aussprechen müßte. Jeder, der mit den Verhält-
nissen zu rechnen versteht, wie sie nun einmal in der Welt sind.
Deine Gedanken gegen mich und meine Familie sind gehässig."
„Laß die Spiegelfechterei!" rief Florian. „Schäme dich der
Schaumschlägerei, meine Gedanken über euch als Vorwand zu
brauchen, um deinen Hochmut zu verbergen und den Hochmuts-
teufel deiner Mutter. Das also bricht dir, dem Oberforstmeister,

eine Perle aus der Krone, daß der leibliche Bruder Florian
Beeren — den Adel habe ich abgelegt, wie dir bekannt ist —
Hinterm Ladentisch steht. Wenn du aber glauben, richtiger ge-
sagt fürchten solltest, ich und meine Familie, wir wollten uns
euch an die Fersen heften, hast du dich umsonst beunruhigt. Deine
Familie! Nein, daran hab' ich wahrhaftig genug und nicht erst
seit heute."
„Bist du fertig mit Injurien?" fragte Otmar von Beeren.
„Und kannst du ein vernünftiges Wort in Ruhe anhören? Ich
kam hierher ..."
„Ich bedaure, daß ich hierher kam," unterbrach Florian schroff.
„Hätte ich eine Ahnung gehabt, wäre mir nicht eingefallen, den
Schritt'zu tun."
„Ich kam mit dem besten Willen, Verständigung zu suchen,"
wiederholte der Oberforstmeister, sich gewaltsam zur Ruhe
zwingend.
„Zwischen uns gibt es keine Verständigung," entgegnete
Florian schroff.
Er stand dicht vor seinem Stiefbruder und sah ihn mit finsterer
Miene an. „Das ist euch unangenehm, daß der Verschollene
wieder da ist. Das fährt euch in die Glieder. Was ich in all den
Jahren getrieben, wie ich mich durchgeschlagen habe, das berührt
euch nicht. Wenn ich ein Eaudieb geworden wäre, ein Lump,
so wär's euch weniger peinlich, als daß mein Name auf dem
Schilde dort steht."
„Es hat dich niemand geheißen, daß du davongehen soll-
test," bemerkte der Oberforstmeister abweisend. „Du hast nur
ausgegessen, was du dir selbst eingebrockt hast. Davon kann
in dieser Stunde keine Rede mehr sein. Ich habe dir meinen
Standpunkt nicht verhehlt, ohne jede persönliche Kränkung,
habe dir meine Gründe erklärt, die es uns wünschenswert
machen ..."
„Leider zu spät," spöttelte Florian und wandte sich ab.
„Nicht zu spät, wenn auf dein Entgegenkommen nur
einigermaßen zu rechnen ist. Das unerquickliche Zusammen-
finden hier wird sich verhindern lassen, und ich biete dir meine
Hilfe dazu an."
„Da bin ich doch neugierig!" rief Florian und wandte
sich wieder um.
„Verkaufe das Geschäft — meinethalben billiger, als du
es erworben hast. Was du verlierst, bezahle ich."
Florian lachte laut auf.
Dem Oberforstmeister stieg das Blut zu Kopf.
„Wenn etwa die Umzugskosten — ich bin auch dazu er-
bötig."
Florian Beeren lachte nicht mehr. Ein Ausdruck mit
Bitterkeit vermischten Kummers verdüsterte sein Gesicht.
Ruhig erklärte er: „So habt ihr euch das ausgedacht. Hals
über Kopf sollte ich wieder fort, und möglichst weit. Und


Phot. Ftztotyp, Berlin.
Flüchtlinge aus dem ruststch-polnischen Grenzgebiet im Auswanderer-
lager von Danzig.
 
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