Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
28

DasVuchfüvAlle

Heft 2

möchtest, daß ich dir den Gefallen tue und — gehe," sagte
^^Jellinek, „aber ich kann und will nicht, Lisa. Ich mutz mir
alles, was zwischen uns steht, einmal vom Herzen reden."
„Ich wüsste nicht, Vetter, was zwischen uns stehen könnte,"
erklärte Elisabeth kühl.
„Latz doch endlich die Maske fallen, Lisa. Meine Gefühle
für dich..."
„Gibst du dich mit Gefühlen ab?" unterbrach ihn Elisabeth
mit leisem Spott. „Der-rücksichtslose Eroberer und Gefühle? —
Du, der nur Ehrgeiz als Triebfeder seiner Handlungen anerkannte,
der sich lachend von dem weinenden törichten Mädchen mit den
Worten trennte: ,Jch mutz frei sein, denn du bist arm. Kriegs-
trauungen sind für die Masse, für die unbedacht Handelnden, oder
für reiche Leute.' Sprachst du nicht so? Mein Gedächtnis ist treu."
„Du hast die Worte richtig behalten, Lisa. Aber glaube mir,
überall sah ich nur dich, sah und hörte deine..."
„Du verirrst dich ins Poetische, Vetter!"
„Spotte nicht, Lisa!"
„Das klingt rührend, nur müsstest du es nicht sein, der so
spricht," unterbrach sie ihn rasch.
Dringlicher redete er weiter: „Hütte ich ahnen können, welch
trauriges Schicksal dir bestimmt sein würde, ich . . ."
Wieder unterbrach sie ihn ruhig und ernst: „Du irrst! Ich
bin über Verdienst glücklich, und ein gütiges Geschick waltete
über mir; es hat mir meinen Mann nicht geraubt." Ihre Stimme
klang fest und klar: „Ich liebe Rolf."
„Ich glaube nicht an Märchen. Ein Wort von dir, Lisa, und
wir gehören zusammen."
Gleichgültig erwiderte sie: „Entschuldige einen Augenblick,
Vetter," und drückte auf den Knopf einer elektrischen Klingel.
Das Mädchen kam aus der nahen Küche herbei.
„Bitte, Klara, bringen Sie den Hut für Herrn Iellinek, er
mutz rasch fort."
Als das Mädchen gegangen war, wandte sie sich ihm ruhig
wieder zu und sagte so bestimmt, datz jeder Widerspruch vergeb-

lich sein mutzte: „Ich hoffe, wir sehen uns nicht wieder. Solltest
du nach diesem Auftritt je die Schwelle wieder überschreiten,
so müsste ich zu einer Abwehr greifen, die man nur anwendet,
wo man verachtet."
„Leb' wohl!"
„Leb' wohl," erwiderte sie höflich in Gegenwart des Mädchens,
das Hut und Mantel brachte, „grüß' den Onkel von uns."
Er öffnete die Tür und trat hinaus. Elisabeth folgte ihm mit
dem Mädchen und sah schweigend zu, wie er sich den'Mantel
anzog.
„Mein Spazierstock? — Ich hatte ihn doch — ach, da ist er.
Danke."
Noch einmal schaute er unschlüssig Elisabeth an. Dann fiel
die Tür Zwischen ihnen ins Schloß.
Im Zimmer sagte Elisabeth, befreit aufatmend vor sich hin:
„Gott sei Dank!" Und leidenschaftlich schluchzte sie auf: „Rolf, du
stolzer, lieber Mann, du starker Mann im Leid, du weißt ja nicht,
wie ich dich liebe!"
Sie horchte erschreckt auf. Rolfs Stuhl rollte bis zur offenen
Balkontür. Sie ging ihm entgegen mit leuchtendem Blick.
„Elisabeth," — glücklich sah er zu ihr auf — „was sprachst du
da? Sage mir noch einmal, datz du mich liebhast."
Sie kniete bei ihm nieder und umschlang ihn leidenschaftlich.
„Nicht wahr — wir lieben uns? Sag' auch du es mir."
Sein junges Weib innig umschlingend, blickte Rolf Allmers froh
sinnend auf den alten Birnbaum, der ihm jetzt wie eine lichte Ver-
heißung erschien. Der Wintersturm hatte ihm einen Hauptast ab-
gerissen. Er sah die splitternde Wunde. Morsches, geknicktes Geäst
verbarg das Laub auch an anderen Stellen. Und darüber, rundum
stand die Krone in Blüten. So reich wie dieser Verstümmelte
hatte keiner angesetzt, keiner versprach so viele Früchte zu tragen.
Frei von allen Zweifeln fühlte sich Rolf. Nichts schmerzte
ihn mehr. Er wußte, daß sie beruhigt gemeinsam einer Zeit
entgegengingen, in der sie frei von verdüsternden Leidenschaften
auf reiches Blühen mit Gewißheit hoffen durften.


Zur Frage der Auswanderung von Frauen und Mädchen. Von Hugo Semper.

Deutschland herrscht zur Zeit ein Auswanderungsfieber, von dem
Hvrauch in großer Anzahl Frauen und Mädchen ergriffen sind. Biele
in der Heimat und in der Etappe, in der allein fünfund-
zwanzigtausend tätig gewesen sind, vor nicht geringen Aufgaben gestanden,
so daß sie sich nun schwer in dem früheren Kreis ihrer Tätigkeit zurecht-
finden. Viele sind auch von den zurückgetehrten Männern aus ihren: Ar-
beitsfeld wieder verdrängt worden. Wenn es in einzelnen Fällen noch zu
keinen übereilten Entschlüssen geführt hat, so liegt das wohl daran, daß
viele nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen.
In den Jahrzehnten vor dem Krieg wanderten häufig Familien aus,
allmählich aber immer mehr Einzelpersonen. Bei der Familienauswande-
rung überwog das weibliche, bei der Einzelauswanderung das männliche
Geschlecht. So betrug beispielsweise 1910 die Familienauswanderung 35
und die Einzelauswanderung 65 Prozent. Im Durchschnitt waren un-
gefähr 40 Prozent der Auswandernden weiblichen Geschlechts. Fast alle
Auslandsberichte erzählen von der unschätzbaren Bedeutung der deutschen
Frau für die Erhaltung des
Deutschtums im Ausland.
Fehlt sie, dann ist schon
die nächste Generation dem
Deutschtum verloren. Ein
weitverzweigtes Netz von
deutschen Vereinen und Or-
ganisationen zur Fürsorge
für weibliche Auswanderer
ist vom Krieg zerstört. So-
lange die dadurch entstandene
Schutzlosigkeit nicht beseitigt
ist, ist jeder alleinstehenden
Frau entschieden von der
Auswanderung abzuraten.
Aber auch andere Hinder-
nisse erschweren die Übersee-
auswanderung: kostet doch
beispielsweise schon die Fahrt

Rotterdam—Buenos Aires, die früher für 160 Mark möglich war, 4012 Mark
und Genua—Buenos Aires 2411 Mark. Von allen Seiten wird gemahnt,
deutsche Frauen und Mädchen sollten sich nicht den Gefahren des Zwischen
decks aussetzen, da es ein Wunder wäre, wenn sie diese Fahrt ohne scha-
den an Leib und Seele zurücklegten. Da schon jetzt die Welttonnage viel
höher ist als vor dem Krieg, ist es zum mindesten ratsam, die unweiger-
lich kommende Herabsetzung der Schiffahrtsp/eise abzuwarten, die eine
würdigere Unterkunft für eine Überseereise gestatten wird. Außerdem
beachtet man nicht genug, daß die Teuerung sich über die ganze Welt
erstreckt. In dem großen Eetreideerportland Argentinien sind die Lebens-
mittelpreise auf das Doppelte bis Dreifache gestiegen. Bedenkt inan
weiterhin, daß es nur wenigen vergönnt sein wird, sofort in der neuen
Heimat Erwerb zu finden, daß sie also auf das mitgebrachte und durch
die Umwechslung kläglich zusammengeschmolzene Kapital monatelang an-
gewiesen sind, so kommt man zu dem Ergebnis, daß man, so merkwürdig
es klingt, in Deutschland doch noch billiger als im Ausland lebt.
In dem früher belieb-
testen Auswanderungsland,
den Vereinigten Staaten von
Nordamerika, fiel es schon
vor 1914 schwer, eine neue
Existenz zu gründen- Oft
war es weiblichen Einzel-
auswanderern nur möglich,
Stellungen als Dienstmäd-
chen und Köchinnen zu er-
langen. Während des Kriegs
setzte dann die maßlos und
eifrig betriebene Deutschen-
hetze ein, wodurch noch jetzt
das Leben in den Staaten
und vor allem in den öst-
lichen Gebieten vergiftet ist.
Wie mancher deutsche Lands-
mann möchte jetzt in die


Auswanderer auf dem Wege zur Abfahrtstelie.
 
Annotationen