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30

DasLuchfüvAlle

Heft 2

Deutschenflucht aus den von den
Polen besetzten Gebieten wird die
Linie Danzig—Neupork große Ge-
fahren für die Mädchen bringen.
Denken wir daran, daß wir Deutschen
während des Krieges von Engländern
und Franzosen als Vieh bezeichnet
und fast noch schlimmer behandelt
wurden, denken wir ferner an die so-
ziale Not, die in Deutschland herrscht
und durch einen unerhörten Steuer-
druck noch steigen wird, so können
wir.die Notwendigkeit von entschie-
denen Abwehrmaszregeln gegen den
Mädchenhandel ermessen.
Es kann deshalb nur auf das drin-
gendste empfohlen werden, daß sich
alle Auswanderer, besonders aber
Frauen und Mädchen, ehe sie sich
zu dem folgenschweren Schritt ent-
schließen, über die Vertrauen s-
Würdigkeit angebotener Auslandstellungen an zuverlässiger
Stelle Gewißheit verschaffen. Bisher sind in den Aus-
wanderungsberatungen für Frauen außer dem „Reichswanderungsamt",
dem „Evangelischen Hauptverein für deutsche Ansiedler und Auswanderer

in Witzenhausen", dem „Caritasvcr-
band in Freiburg" für die katholische
Auswandererfürsorge und ihren Ne-
benstellen auch das „Deutsche Aus-
landsinstitut in Stuttgart" tätig. Holt
sich die Auswanderungslustige jedoch
an anderer Stelle Auskunft, so sollte
sie sich wenigstens auf alle Fälle
beim Reichswanderungsamt erkun-
digen, ob dieses die einwandfreie Zu-
verlässigkeit der Beratung bestätigen
kann, denn mehr als fünfhundert
Schwindelagenturen sind in Deutsch-
land zur Zeit darauf aus, denen, die
nie alle werden, das Geld abzu-
nehmen.
Deutschlands wirtschaftliche und
politische Verhältnisse werden sich hof-
fentlich nach und nach bessern. Manche
Schätze liegen noch ungehoben im
Boden, und zu der Arbeit, die Deutsch-
land wieder in die Höhe bringen soll, sind alle Kräfte daheim nötig.
Sollte trotzdem noch überschüssige Kraft vorhanden sein, so durften in
späterer Zeit Auswandernde wieder unter besseren Bedingungen in die
neue Heimat ziehen können, als es vorläufig der Fall ist.


Zwischendeckspassagiere auf dem Vorderdeck eines Auswandererschkffes.


O Der Kardinal La value im Käfig vor Ludwig XI. (S. 19). —
König Ludwig XI. von Frankreich ließ in seinem ewig wachen Argwohn un-
zählige unschuldig Verdächtigte dem Henker überantworten. Von Jugend
auf erfüllt von rücksichtslosester Selbstsucht, setzte er diese.auch in allen
Handlungen anderer voraus- er glaubte nicht an Liebe und Treue. Und
wie er sich schon in jungen Jahren als Meister der Heuchelei erwiesen hatte,
erwartete er auch später von seiner Umgebung nichts anderes. Sein Miß-
trauen verband sich mit grenzenloser Menschenverachtung,- Vertraute und
Ratgeber.wählte er aus den niedersten Ständen. Ein Barbier Olivier leDain,
dem das Volk den Beinamen „der Teufel" gab, stand ihm am nächsten,-
sein Rat galt viel, und oft verwendete er diesen Menschen zu diploma-
tischen Sendungen. Der Dritte in diesem Bunde war der Henker Tristan
HHermite, ein Künstler in seinem Fach, den Ludwig seinen „Gevatter"
nannte. Bei solcher Veranlagung überrascht es nicht, daß ein weiterer
Emporkömmling, der Kardinal La Balue, Einfluß auf den König gewinnen
konnte. Als Sohn eines Schneiders geboren, erwählte er den geistlichen
Beruf,- es gelang ihm durch Geschmeidigkeit, immer höher zu steigen, bis
ihn der Kardinalhut schmückte. Jahrelang nahm er den ersten Platz am
Hofe ein, bis er seinen Herrn verriet und mit dessen Gegnern insgeheim
Verhandlungen anknüpfte. Das wurde sein Verhängnis,- das ständige
Mißtrauen des Königs richtete sich auch gegen ihn, und der Schuldige
ward entdeckt. Als erster wurde La Balue in einen eisernen Käfig
gesperrt, den er selber dem König für Mißliebige empfohlen hatte. Elf
Jahre lang weidete sich Ludwig an den Qualen seines Opfers, dessen Trotz
und Hoffnung ungebrochen blieben. Endlich im Jahre 1480 freigelassen,
reiste er nach Rom, wo er sich vor dem Papst zu rechtfertigen vermochte.
Um acht Jahre überlebte er seinen Peiniger, den Verfolgungswahn und
Gewissensbisse hinter hohe Mauern des einsamen, scharf bewachten
Schlosses Plessis les Tours getrieben hatten. Jede unberufene Annäherung
an das Schloß wurde mit Erhängen geahndet,- in den Asten der Bäume
schaukelten die Leichen solcher Unglücklichen, die der „Gevatter" gerichtet
hatte, zu Dutzenden. Sechzig Jahre alt geworden, verschied dieser offenbar-
wahnsinnige Unmensch, dessen Gedächtnis mit Fluch beladen blieb-

O Jährendes Volk vor dem Kaiser Tiberius (S. 24—25). —Asiatische
Gaukler waren auf den Feldzügen der Griechen seit dem. zweiten Jahr-
hundert v. Ehr. mit diesen in Berührung gekommen und traten bald
danach auch in Rom öffentlich und bei Festlichkeiten und Mahlzeiten in
Privathäusern zur Unterhaltung der Gäste auf. Ihre Kunststücke wirkten
im Abendlands derart verblüffend, daß den Gauklern wie in ihrer Heimat
übernatürliche Kräfte zugeschriebcn wurden. Das von ihnen im Umhcm
ziehen betriebene Geschäft war recht einträglich, und bald bildeten sich auch
aus entlaufenen und freigelassenen Sklaven und Gladiatoren Trupps, die
ihre Künste sehen ließen. Die einen traten als Fechtkünstler und Akrobaten
auf, andere ließen abgerichtete Tiere Kunststücke vollführen. Die Messer-
werfer, Ventilatores genannt, zeigten ihre gefährlich scheinenden Künste,
Taschenspieler, die Saecularii oder Praestigiatores hießen, führten die Leute
an der Nase herum, Seiltänzer liefen mit hohen Kothurnen über dünne
Stricke, und Possenreißer trugen Pantomimen, Schwänke und derbe
Späße vor. Andere wieder bliesen die Flöte, spielten die Kithara oder
schlugen das Tamburin, und Ballspielerinnen, Paukenschlägerinnen rind
Tänzerinnen boten sich in bunten Gewändern oder auch unbekleidet dem
Publikum dar. Das fahrende Volk zeigte sich besonders bei den Säku-
larischen Spielen in Rom, zog aber auch von Dorf zu Dorf, von Stadt
zu Stadt. Während des Aufenthaltes des römischen Kaisers Tiberius, der
vom Jahre 14 bis zum Jahre 37 n. Ehr. ein strenges Regiment führte, aus
Capri nahm sich beispielsweise ein Schauspieler heraus, auf den Lebens-
wandel des „alten Bocks" eine Anspielung zu machen, wofür ihm vcm
Publikum mit lautem Beifall gedankt wurde.
Tiberius suchte bei jeder Gelegenheit das Auftreten der Possenreißer
einzuschränken. Auch veranstaltete er niemals dem Volke zu Gefallen
öffentliche Spiele. Kmso lieber war ihm eine Gesellschaft der lustigen
Leute, wenn sie in seinen Gemächern anftraten, um ihm und einem
Kreise froher Weiblichkeit ihre Künste vorzuführen. Wir 'sehen ihn auf
unserem Bilde in seinem Palast zu Capri angeregt dem Spiele einer
Truppe Zuschauen, während im Hintergrund ein Staatsmann rind ein
Priester warten müssen, bis er sich wichtigerer Beschäftigung widmet.
 
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