Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
40

DasBuchfüvAlle

HestZ

der Tochter war sie, mit Geschick die Kurzsichtige spielend, öfters
vorübergegangen, wenn es vorgetommen war, daß sie sich vor-
der Türe der Frau Mika Zippelmann begegneten. Ein paarmal
ging sie mit Fräulein Amalie an ihnen vorüber; sie sprachen dann
immer eifrig miteinander, und Fräulein Amalie schien dabei noch
lebhafter bemüht, nichts zu sehen, als Frau Luitgarde.
Aber das sollte doch nicht für immer so bleiben. Florian
Beeren wollte eben Frau Zippelmann aufsuchen, um mit ihr
wegen der notwendig gewordenen Erweiterung des Lagers zu
unterhandeln. Es zeigte sich als nötig, daß ein Teil des Hofes
mit Glas überdacht werden
mußte. Florian Beeren stand
vor der Türe, als Frau Luit-
garde eben das Schloß hinter
sich zuzog. Sie konnten ein-
ander nicht mehr ausweichen.
Die Rentmeisterin verlor für
einen Augenblick die gewohnte
Fassung und begriff nachher gar
nicht, warum sie eigentlich stehen
geblieben war und Florian von
unten herauf betrachtet hatte.
Obwohl sie ihn ganz absichtslos
musterte, machte es Florian doch
den Eindruck, als wolle sie ihn
bewußt übersehen, und da ihn
das nun doch ärgerlich stimmte,
sagte erkurz: „GutenTag!"und
blieb stehen.
Frau Luitgarde hatte sich im
stillen darauf vorbereitet, wie sie
sich benehmen wollte, wenn es
einmal nicht mehr Zu vermeiden
sein würde, daß sie einander
gegenüberstanden. Nur daran,
daß dies auf der Treppe ge-
schehen könnte, hatte sie nicht ge-
dacht. So begann sie denn nach
flüchtigem Kopfnicken, um die
Begegnung möglichst abzukür-
zen, rascher als es sonst ihre Art
war, zu sprechen: „So müssen
wir uns also wiedersehen! Aber
du wirst dir darüber klar sein,
wer die Schuld trägt, daß es so
gekommen ist. Du bist immer
herzlos gewesen, und es war dir
ganz gleich, wie schwer andere an
deiner Gemütlosigkeit gelitten
haben. Deshalb fiel dir's auch
leicht, in die Welt hinauszu-
laufen. Ja, du hast dir kein Ge-

schöne Geschichte ausgedacht, um dich ins Recht zu sehen. Manches
klang so schön wie in einer Predigt. Nur darin hast du dich ge-
täuscht, wenn du meinen solltest, ich fühlte mich als bestraften oder
gar als reuigen Sünder. Nein, dazu bin ich nie veranlagt gewesen!
Du wirst doch gewiß gar nicht ernstlich daran glauben, daß ich mich
hier durch euch beengt fühle? Ich kann dir sagen, daß du dich da
ganz gewaltig irrst. Ich würde heute ebenso davonlaufen wie da-
mals, und ich darf sagen, es ist der Anfang zu meinem Glück gewesen.
Und über die Erbschastsgeschichte, die euch so verdrießlich gemacht
hat, klärte ich den Oberforstmeister neulich noch nachträglich auf. Es


wissen daraus gemacht, uns da-
mit bloßzustellen. Du hast uns

Letzte Sonne.

gekränkt, aber dein trotziger Eigenwille hat dir auch Schaden genug
gebracht. Ich finde es gerecht, daß du dafür leiden mußt, daß dir
dein Leben hier erschwert ist. Das ist die Strafe für deine unkind-
liche Flucht. Du mußt dich selber anklagen, wenn jetzt nicht alles
so sein kann, wie die Natur es bestimmt hat. Die Entfremdung
zwischen uns war durch deinen jugendlichen Trotz, durch das
Verlassen der Familie heraufbeschworen, und du hast niemals
versucht, diese schwere Kränkung wiedergutzumachen. Du hast
dich damit aller Ansprüche begeben und uns genötigt, deine
gemütsarme Herzlosigkeit in stummer Ergebung zu tragen."
Ein paarmal wollte Florian Beeren der Stiefmutter irgend-
ein heftiges Wort entgegnen; aber er besann sich. Er fühlte deut-
lich den unwahren Ton, und dadurch geriet er in eine fast humo-
ristische Stimmung. Nein! Das war doch gar nicht der Mühe
wert, sich gekränkt zu fühlen. Er begann denn auch mit behag-
lichem Schmunzeln: „Wie ich höre, hast du dir da eine wunder-

gefiel ihm zwar nicht sonderlich, was ich ihm sagen mußte, doch es
ist nun mal so, die Wahrheit hört sich nicht immer erbaulich an.
Und schöne Redensarten zu drechseln, hab' ich in der Welt nicht ge-
lernt. Ist auch unter den Leuten, mit denen ich lebe, nicht beliebt."
Frau Luitgarde bemühte sich, den Spott zu überhören, und
fand es auch nicht geraten, dem Mann, der so eigenartig klare
Augen besaß, in ähnlicher Weise zu erwidern. Sie seufzte und
begann nach bedauerndem Kopfschütteln: „Ein wenig mehr vom
Geiste deines Vaters, und du würdest glücklicher geworden sein.
Sicher wäre es dir dann auch leichter geworden, in deinem Stande
zu bleiben, in den du von Geburt gehörst. Wir sind für diesen
Schritt nicht verantwortlich."
„Fällt mir auch gar nicht ein, darüber zu klagen," erwiderte
Florian trocken. Aber der ruhige Ton war erzwungen gewesen;
das Blut stieg ihm nun doch zu Kopf. „Bis jetzt habe ich noch
geduldig zugehört; solange man mir alte Geschichten vorhält,

51L

41

DasBuchsüvAlle

Heft 3

könnte ich auch noch eine Weile den Humor finden, das nicht Übel-
zunehmen. Aber ich will doch gleich klipp und klar sagen, redet
mir nie über meine Frau und meine Kinder; da vertrage ich
aber auch nicht die leiseste Anspielung. In dem Punkte bin ich
ganz verdammt empfindlich. Über mein Geschäft könnt ihr reden,
was ihr wollt, und euch darüber aufhalten nach Geschmack und
Laune. Und damit wir nicht in die Lage kommen, unnützerweise
leeres Stroh zu dreschen, verzichten wir künftig auf jedes weitere
Wort. Wenn ich euch im Wege stehe, so bleibt dabei, es so zu
halten wie bisher. Ich bin für unklare Lagen nicht geschaffen."

zu ziehen? Im Geschüftsleben konnte ich keinen Staat damit
machen, deshalb nannte ich mich Florian Beeren. So sieht sich
das in meinen Augen an. Wie ihr darüber denkt, das macht mir
keine grauen Haare. Meine Zeit ist Geld. — Guten Tag und
guten Weg!"
Luitgarde fand keinen Anlaß mehr, etwas zu erwidern, denn
Florian wandte sich um und läutete an der Glocke vor Frau Zippel-
manns Türe.
Sie stieg äußerlich so würdevoll, als es nach den letzten, schroff
geäußerten Worten möglich war, über die Stufen hinab und ging
an den Schaufenstern vorüber,

Nach einem Gemälde von ^aul Hey.


hinter denen in geschmackvoller
Weise allerlei feine Leckerbissen
ausgestellt waren.
Wenn die Rentmeisterin fähig
gewesen wäre, die wahren Mo-
tive ihrer beabsichtigten Hand-
lungsweise streng und genau zu
prüfen, dann hätte sie jetzt zur
Einsicht gelangt sein müssen, daß
durch Kompromisse eine unhalt-
bare und üble Lage geschaffen
wird. Im ersten Augenblick, da
Florian ihr „ guten Tag" geboten,
überwog noch die Vernunft, und
sie wollte nach flüchtiger Er-
widerung seines Grußes an ihm
vorbeigehen. Dann aber war
sie doch ein Opfer heimlicher Ge-
danken und Vorstellungen ge-
worden. Es schien ihr möglich,
bei aller Wahrung ihres unan-
tastbaren Standpunktes, ein er-
trägliches Verhältnis mit Florian
herbeizuführen. Vor allem sollte
ihm klargemacht werden, daß er
alle Schuld bei sich allein zu
suchen habe. Deshalb hatte sie
sich die Rede ausgedacht, die nun
leider nicht den erwünschten Ein-
druck hervorgerufen. Daß ihr
nicht gelungen war, ihn in die
Stimmung eines reuigen Sün-
ders hineinzureden, war ihr bald
klar geworden. Aber der sonder-
bare Mensch hatte auch ihre Ge-
mütstöne überhört; darüber erst
war sie unsicher geworden. Wenn
sie nun ernstlich fürchtete, daß
im Hause irgend jemand ihr
Gespräch belauschen könnte, so
hatte sie doch auch gehofft, daß
er, einmal in ihrer Wohnung auf
einem bequemen Stuhl sitzend,

Frau Luitgarde fühlte sich peinlichst berührt; die Szene im
Treppenhaus war nicht nach ihrem Geschmack. Wer konnte wissen,
ob nicht irgendwo jemand stand und lauschte. Zweifelnd, ob sie ihn
auffordern sollte, ihre Wohnung zu betreten, da sie im Augen-
blick nicht den richtigen Schluß fand, sagte sie: „Ist dir's gefällig?"
Florian achtete nicht auf die einladende Handbewegung der
Rentmeisterin. „Ich bin nicht gewohnt, belehrt und zurecht-
gewiesen zu werden. Das konnte ich schon als junger Mensch
nicht ertragen. Nun hat das ein Ende; du glaubst ja doch in deiner
Beschränktheit, alle Schuld außerhalb suchen zu müssen. Oder,
was noch schlimmer ist, du machst Mätzchen mit alten Geschichten,
um nur nachträglich noch den Kopf zu waschen, damit du selber
dir nicht zweifelhaft vorkommen sollst. Was soll das heißen, ich
Hütte den Adel nicht ablegen sollen? Glaubst du denn, ich wollte
mich in der Welt lächerlich machen als einer der armen Teufel,
die es nicht über sich bringen, die Konsequenzen aus ihrer Lage

leichter zugänglich werden könne. Der Augenblick schien dazu
deshalb ganz besonders glücklich, weil beide allein gewesen wären.
Nun durfte sie aber nicht mehr erwarten, daß von all den guten
Bissen, die im vormals Bertinischen Geschäft zu haben waren,
dann und wann der eine oder andere den Weg in ihre Küche fand.
Das wäre, nach ihren heimlichsten Wünschen, recht gut unter vier
Augen möglich geworden; am Ende war sie ja doch seine Stief-
mutter, der er sich erkenntlich zeigen durfte, wenn er dabei nur
in den gebührenden Schranken gehalten werden konnte. Sie
seufzte leise und zog die Brauen ärgerlich zusammen.
In ein wunderliches Gemisch von persönlicher Verletztheit und
Verdruß über ihr Mißgeschick versunken, hätte sie beinahe ihren
Enkel Otmar übersehen, der ihr auf der Straße entgegenkam.
Ihr großmütterliches Gefühl war diesem Beerensproß be-
sonders zugetan; sie streckte ihm deshalb liebevoll die Hand ent-
«Fortsetzung sülgt.s
 
Annotationen