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DasBuchfürAlle

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Nach einem Gemälde von I. Wopfner.

Abendglocken.

erst ergrübeln zu müssen. Seit ihrem letzten Gespräch hatte er
im stillen häufig über sie nachgedacht, und auch jetzt schien es
ihm wieder, als klänge durch die nichtssagendsten Bemerkungen
ein Ton verborgenen Leides, dessen Ursache er nicht zu enträtseln
vermochte. War es der müde Mang ihrer Stimme oder waren
es die lässigen Bewegungen, die ihn so absonderlich berührten?
Was mochte sich hinter dieser blassen Stirn verbergen, welche
Gedanken machte sie sich über ihn und die andern, wenn sie
scheinbar gleichgültig auf herkömmliche Redensarten antwortete?
Ja, sie wich ihm nur zu geschickt aus, wenn er versuchte, sie
vom gewöhnlichen Gespräch vorsichtig abzulenken. Sie wünschte
offenbar nicht, ihm so weit entgegenzukommen, daß die Unter-
haltung einen ernsteren Ton erhielt. Ob sie dafür wohl Gründe
besaß, die tiefer lagen? Vielleicht gab es doch jemand, nach dem
sie im stillen verlangte, und der ihm nicht glich. Manchmal
dachte er, daß sie nur durch seine Art erst dazu bestimmt ward,

Amalie, der das nicht entging, hatte sich erhoben und anscheinend
harmlos so geschickt gegen die Seitenwand gelehnt, daß kein
Blick an ihr vorbei nach dem Platz möglich war, an dem die
verpönte Gesellschaft saß.
Hannas dunkle, undurchdringliche Augen verrieten nicht die
leiseste Teilnahme. An ihr allein im ganzen Meise war weder
Bedauern noch Verdruß zu gewahren. Sie wirkte so anziehend
in ihrem gelblichweißen Meid, das am Halsausschnitt durch
einen Veilchenstrauß lose zusammengehalten war, daß Salberg
sie überrascht betrachtete. Auch wenn sie sprach, wich der eigen-
artig verschlossene Ausdruck nicht aus ihrem Gesicht. Trotzdem
sie sich gesellig liebenswürdig benahm, blieb doch immer ein Zug
leiser Abwehr in ihrem ganzen Wesen. Es schien, als wünsche
sie, nie ungehemmt aus sich herauszutreten. Die gleichgültigsten
Redewendungen, die sie aussprach, wirkten auf Salberg so eigen,
daß er immer glaubte, den dahinter verborgenen wahren Sinn

Verdruß und mühsam verhaltener
innerer Erregung, ihrer Schwester zu,
„das Vordringen dieser Leute grenzt
meiner Auffassung nach stark an Un-
verfrorenheit. Geschmacklos, sich so,
aufzuspielen! Der arme, ahnungslose
Herr von Salberg! Er ist wirklich zu
bedauern — solch ein lächerlicher Rein-
fall! Ich weiß wahrhaftig nicht, was
ich mir denken soll: Ist das junge Ding
mit der komischen Tellerkrause um den
Hals eine alberne Pute, oder ist sie
verschmitzt?"
„Salberg tut mir ernstlich leid.
Fatale Geschichte, so eine Nachbar-
schaft beschert zu erhalten!" sagte
der Referendar von Beeren zur Ma-
jorin, die er in ihrer Loge aufgesucht
hatte. „Armer Kerl! So>n Pech zu
haben." ?
Die Majorin hatte die kleine Szene
ebenfalls beobachtet,' sie fand, daß
Salberg zu bedauern sei, bemerkte
aber noch: „Er hätte übrigens, als
er den Namen gehört, doch ganz ent-
schieden abschnappen müssen."
Otmar lächelte beifällig. „Werde
dem Laffen da drüben Bescheidenheit
beibringen. Aber gründlich, da kann
er sich drauf verlassen. Ich will ihm
die Vetternschaft bei nächster Gelegen-
heit ganz gehörig anstreichen. Daran
sollls meinerseits nicht im geringsten
fehlen."
Der Präsident betrachtete das junge
Mädchen durchs Opernglas. „Sag,
mal, Friederike, sieht sie nicht aller-
liebst aus? Wirklich ein liebes, nettes
Ding. Na, die Mutter ist allerdings
ein bißchen verunglückt. Schade! Tut
mir leid, die Meine. Kann ja am
Ende nichts dafür."
Frau Friederike erwiderte: „Ich
wünschte, die drei hätten sich weniger
auffällige Plätze wählen sollen. Ge-
schmacklos, sich so auf den Präsentier-
teller zu setzen! Sie wären richtiger
im Parkett untergebracht. Alles hat
seine Grenzen, sollte man meinen.
Die Leute tun mir leid; sie können ja
doch nichts dafür, daß die beiden Brü-
der so unglaublich verschieden geraten
sind."
Die danebensitzende Frau von Hen-
ner bemerkte: „Leid tun mir nur die Oberforstmeisters. Es
ist eine geradezu herausfordernde Aberhebung dieser Krämers-
leute, sich in so unglaublicher Weise bemerkbar zu machen.
Meinerseits sehe ich darin einen so überaus bezeichnenden Mangel
an einfachstem Taktgefühl, daß man nach diesem Auftreten
bestimmt voraussagen kann, auf welchen Ton diese Gesellschaft
gestimmt ist."
Auch die Medizinalrätin fand das Auftreten dieser Familie
aufreizend. „Man könnte doch verlangen, daß in einer solchen
Lage wenigstens der Schein gewahrt bliebe. Man muß doch
wissen, wo man hingehört. Herr von Salberg wird sich hinterher
gewiß nicht wenig geärgert haben, als er hörte, mit wem er das
zweifelhafte Vergnügen gehabt."
Inzwischen war Salberg in die Loge getreten und begrüßte
die Oberforstmeisterin. Haide verging fast vor Neugier, den
andern unerwünschte Beobachtungen machen zu können. Tante

sich so verschlossen zu zeigen, denn er
war über sich selbst und seine schwere
Natur, die ihm das Leben nicht leicht
werden ließ, nicht im unklaren. Und
er gab sich entsagend damit zufrieden,
daß sie vor ihm zurückwich. Wußte
er doch nur zu gut, daß' auch ein-
fachere und harmlose Gemüter in seiner
Nähe sich verschlossen. Sie fühlten,
daß er, mit sich selber zerfallen, an
seiner nicht zu lösenden Vereinsamung
litt. Wie oft waren ihm die Worte
eingefallen, daß man sich selbst ver-
trauen müsse, wenn man bei andern
Vertrauen erwecken wolle. Und nicht
weniger wahr empfand Salberg den
Satz: „Wer sich der Einsamkeit ergibt,
ach! der ist bald allein." Noch trüberen
Gedanken gab er sich hin, während er
versuchte, harmlos zu plaudern. Und
nicht nur er fühlte dabei das Gemachte
seines Tones. Auch Hanna empfand das
Verworrene und Zwiespältige seines
trüben Wesens, obwohl sie sich nichts
anmerken ließ.
Er betrachtete Hanna in der heißen
Theaterluft unter dem farblosen Decken-
licht, und ihn beschlich und bedrückte
ein absonderliches Empfinden. In
einem Gemisch von Bewunderung und
rätselhafter Bangigkeit stellte er sich
vor, daß sie eines Tages die Frau
eines Mannes werden könne, der nicht
ahnte, was in ihr verborgen lebte. Ja,
sie selbst wußte nichts von dem, was
sie innerlich peinigte, und sie erwachte
wohl erst, wenn sie gebunden sein
würde, um, zu spät zur Klarheit kom-
mend, ihr Schicksal still zu beweinen.
Der Oberforstmeister dachte seit län-
gerer Zeit daran, Salberg mit seiner
Tochter verbunden zu sehen, ihn in seine
Familie aufzunehmen. Salberg war reich,
und wenn es gelang, ihn und Hanna
zu einem Paar zu machen, brauchte seine
Frau sich nicht mehr um eine mögliche
Erbschaft der Mika Zippelmann so ängst-
lich zu kümmern; man konnte dann auch
dieses unliebsame Anhängsel übersehen.
Er überließ Salberg seinen Platz und
verließ die Loge. Tante Amalie zog
geschickt alle andern in ein so lebhaft ge-
führtes Gespräch, daß es ihm eine Weile
nicht möglich war, mit Hanna zu plau-
dern. Endlich löste sich die Gruppe, und Salberg begann: „Irre
ich nicht, so macht auch Ihnen dies verstaubte Zeug, das heute da
unten gespielt wird, trotz des berühmten Gastes aus der Haupt-
stadt kein sonderliches Vergnügen. Ich gestehe gern, daß ich nur
herkam, um einmal, wenn möglich, herzlich lachen zu können.
Aber dieser altbackene .Störenfried" wirkt eher verdrießlich."
Lächelnd erwiderte Hanna: „Das alte Stück ist nicht schuld
daran. Unsere Großeltern fanden es noch köstlich und freuten
sich harmlos darüber. An uns, nicht an dem Stück liegt es;
wir sind nicht mehr so einfach und schlicht anspruchslos wie die
gewiß glücklicheren Menschen, die diese Szenen zum ersten Male
fröhlich belacht haben. Ich glaube, damals sind die alten Leute
innerlich jünger und heiterer gewesen, als wir es heute sind."
„Jünger und heiterer," wiederholte Salberg leise. „Sie haben
recht. Und auch das ist wohl richtig: gewiß sind die Menschen
jener Jahrzehnte viel glücklicher gewesen." «Fortsetzung folgt.«
 
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