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Heft 4

DasBuchfüvAlls

59

nur bei uns. Jrn Anfang des acht-
zehnter: Jahrhunderts wählte man
auch in England die weitesten Wege,
um durch höhere Taren mehr zu ver-
dienen ! In der Schweiz hat man bis
1848 mit Postsachen eine Art Handel
zwischen einzelnenKantonengetrieben.
In den dreißiger Jahren kostete ein
einfacher Brief von Frankfurt a. M.
nach Danzig eine Mark fünfzig Pfen-
nig, also fünfzehn Silbergroschen. Um
dieseZeit bezahlte man für einen Brief
von Berlin nach Kopenhagen eine
Mark fünfundvierzig Pfennig, von
Kopenhagen nach Toulon zweiein-
viertel und von Kopenhagen nach
Odessa dreieinhalb Mark; dabei wur-
den alle Vriefsendungen namentlich
eingetragen, wodurch sich die Beför-
derung stark verzögerte. Ähnliche Ver-
hältnisse hatten in England zu einem
weitausgedehnten Briefschmuggel ge-
führt. In Großbritannien bestand nächst Polen der höchste Portotarif in
Europa. Ein einfacher Brief, der nur ein Blatt füllen und nur ein halbes
Lot schwer sein durfte, kostete von London nach Edinburg über einen Taler
Porto. Damals schrieb man kaufmännische Mitteilungen an verschiedene
Stellen einer Gegend auf ein Blatt Papier, das vom Empfänger zer-
schnitten und dann entsprechend verteilt wurde. In industriereichen Gegen-
den beförderten schmuggelnde Fuhrleute als Haupterwerb Briefe. Im
Jahre 1838 konnte festgestellt werden, daß fünf Sechstel aller Briefe von
Manchester nach London nicht durch die Hände der Postbeamten gegangen
waren. In Glasgow, wo täglich mehr als zweihundert Fuhrleute eintrafen,
beförderten zwei dieser Leute viermal soviel Briefe wie die Post. Ein Kauf-
mann hatte 1836, also in einem Jahre, durch die Post 2068 Briefe erhalten;
6861 waren ihm durch Schmuggel Zugeleitet worden. Unterzwanzigtausend
Fällen, in denen ein Geschäftsmann die Postgesetze übertreten hatte, war
er nur einmal ertappt worden. Viele Handlungsreisende nahmen täglich
etwa fünfzig Briefe fremder Korrespondenten mit und brachten sie gegen
eine geringe Vergütung in die richtigen Hände. Zwischen Manchester und
Liverpool beförderte man die Hälfte aller Briefe auf Schleichwegen.
Auch mit den Eisenbahnen wurden Briefe, meist in Paketen, verschickt.
Den Parlamentsmitgliedern war Portofreiheit gewährt, und die Volks-
vertreter benützten dieses Vorrecht zu „geschäftlichen" Zwecken. Da
kam es zur Portoreform des Jahres 1840. Von da an kostete der eine halbe
Unze schwere Brief durch ganz England einen Penny. Dieser Schritt
brachte der Staatskasse einen Gesamtverlust von zwanzig Millionen Pfund,
denn erst 1874 erlangten die Posterträgnisse wieder die gleiche Höhe wie
1839. Man hatte 1840 geglaubt, nach der Herabsetzung der Taxe würde eine
Korrespondenzvermehrungum das Fünf- bis Dreißigfache eintreten; dabei
war das theoretisch angenommene Bedürfnis bedeutend überschätzt worden.
Als man in Deutschland 1868 einen einheitlichen Tarif für den einfachen Brief
zum Satze von einem Silbergroschen festgesetzt hatte, erfolgte ein Ausgleich
der zuerst gesunkenen Staatseinnahmen schon nach zwei Jahren. Die allmäh-
lich im Laufe der Zeit bis zum Jahre 1868 vorgenommene Ermäßigung des
Portos war mit der Hebung von Handel und Verkehr gleichmäßig erfolgt.
Die durch Kriege erschütterten Finanzen einzelner Länder zogen zu
ihrer Hebung auch in vergangenen Zeiten Porto- und Verkehrserhöhungen
nach sich, wenn auch nicht in so hohem
Maße, wie dies seit 1918 bei uns und
anderwärts der Fall gewesen ist. Nach
1814 kostete ein Brief auf der kurzen
Strecke von Stuttgart nach Lindau
zehn Kreuzer; ähnlich lagen die Ver-
hältnisse auch im übrigeu Vaterlande.
Der Verkehr mit den: Ausland war
Zeitweilig gänzlich unmöglich oder doch
so verteuert, daß er deswegen unter-
blieb. So schrieb am 4. Januar 1812
ein G elehrter aus Kopenhagen an Pro-
fessor Gräter in Württemberg: „Es ist
nun über ein halbes Jahr her, daß
keine deutschen Bücher bei uns ange-
kommen sind, und wenn dies geschieht,
ist der Kurs so hoch, daß wir sie nicht
bezahlen können. Das Porto der
Fahrpost kann niemand erschwingen,
und was mit Meßgelegenheit über
Leipzig geschickt wird, bleibt meist ein

halbes Jahr unterwegs. Ihr letztes
Schreiben, das ich erst vor vierzehn
Tagen erhielt, kostete mich elfReichs-
taler und drei Mark." Das ist
das höchste mir bekannte Briefporto
der neueren Zeit.
Die schwersten Schwankungen erlitt
im vorigen Jahrhundert Frankreich
durch politische Erschütterungen. Vor
1848 galt einallgemeinerPortosatz von
fünfzehn Centimes. Seit 1849 wurde
das Porto für jeden Brief im Gewichte
bis zu siebeneinhalb Gramm durch
ganz Frankreich auf zwanzigCentimes
erhöht und steigerte sich bei fünfzehn
Gramm auf den doppelten Betrag,
von da an bis hundert Gramm auf
einen Franken. Jede weiteren hundert
Gramm kosteten einen Franken mehr;
der Einheitssatz blieb jedoch trotzdem be-
stehen. 1850 kam es zu einer Erhöhung
von zwanzig auffünfundzwanzigCen-
times. Dies waren Folgen der achtundvierziger Revolution. Erst 1854 kam
man zur Taxe von zwanzig Centimes für den frankierten Brief zurück; dies
blieb bis zum Ende des Kaiserreiches. Nach 1871 erhöhte sich die Taxe wieder
auf fünfundzwanzig Centimes; Stadtpostbriefe kosteten fünfzehn Centimes.
Die Segnungen des Weltpostvereins sind durch die Kriegsfolgen überall
mehr oder weniger zerrüttet. Und nun bestätigt sich die Wahrheit der Worte
eines Geschichtschreibers des Postwesens: „Die Post ist eines der notwendig-
sten Organe unserer Existenz geworden; wir können sie gar nicht mehr ent-
behren, vom kleinsten Teil des persönlichen Lebens bis zu den großen Inter-
essen der Völker und der Menschheit. Menn einmal ein Zufall das Spiel
einer einzigen Feder dieser gewaltigen Einrichtung zerstörte: Tausende von
Interessen, die der Privaten sowohl wie die der Staatsverwaltungen,
würden mit einem Schlage in Mitleidenschaft gezogen werden."
Seitdem die letzten Erhöhungen im Postverkehr festgesetzt worden sind,
hörte man klagen, daß der briefliche Verkehr von einzelnen nicht mehr
im früheren Umfang gepflogen werden kann. Und doch ist die schreibseligste
Zeit das achtzehnte Jahrhundert gewesen, als der Postverkehr teuer genug
und nichts weniger als einfach war. Die Post ging damals immer nur an
gewissen Tagen nach bestimmten Orten ab. Zudem brauchten Briefe von
Frankfurt a. M. bis Berlin neun, von München nach Augsburg nicht selten
drei Tage. Und oft blieben sie an der Endstelle gar noch einige Zeit liegen.
Man mußte einen Postkalender besitzen und sich an die darin angegebenen
Tage halten. Noch heute hört man da und dort: „Er ist um einen Posttag
zu spät daran." Man schrieb deshalb fast überall an solchen Tagen und
beförderte die Briefe rechtzeitig zur Post, denn sonst blieben sie liegen
bis zur nächsten Gelegenheit. Wer Nachrichten bekommen wollte, ohne den
weniger Begüterten Ausgaben zu machen, nahm keine frankierten Briefe
an. „Denken Sie ja nicht an die kleine Höflichkeit," schrieb Mendelssohn an
den armen Lessing, „mir die Briefe wieder zu frankieren. So wahr ich
Ihr Freund bin, ich nehme keinen postfreien Brief von Ihnen an." — „War-
um frankieren Sie Ihre Briefe an mich?", schrieb Gellert der Lucius.
„Das ist nicht recht." Boie will nicht haben, daß Bürger seine Briefe
frankiert, und „wenigstens die Hälfte bezahlen". Der Dichtervater Gleim
gab jährlich große Beträge für unfrankierte Schriftstücke seiner zahllosen
Freunde aus, die alle „kein Portogeld verschwenden sollten". Man legte auch
anderen Briefen eingeschlossene Nach-
richten bei, die dann weitergegeben
wurden, und bezeichnete dies als
„durch Güte" oder „durch Gefällig-
keit" besorgt. Wer auf Reisen ging,
nahm gewöhnlich ein gut Teil Briefe
mit, und manche Bekanntschaften und
dauernden Freundschaften bahnten sich
auf diese Weise an. In unseren Tagen
würde sich ein einfacher Weg finden,
um weniger Begüterten das Schreiben
zu erleichtern. Was früher nicht mög-
lich war, geht heute leicht genug durch
Einlage von Marken in Briefe, soweit,
inan Karten mit Rückantwort nicht be-
nützen will. Doch ist es ein eigen Ding:
man kann erloschene Sitten nicht so
leicht wiederbeleben. Und die Zeit des
beschaulichen Briefeschreibens ist längst
dahin. Ob die Not unseres Daseins
darin Änderung schafft?


Deutsche postuniformen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts.


Ältestes Posthaus der Thurn-und-Taxisschen Post in Augsburg.
 
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