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74

DcrsBuchsüvÄlle

Heft 5

Klöppelspihen.

Von S. Pötter.

Mit acht Bildern.

pitzen! Unwillkürlich verbindet sich mit dem Wort die Vorstellung
auserlesenen Zierates an weißer Wäsche, leisrauschender Volants
oder zartgemusterten Einsatzes oder hauchfeiner Umsäumung. Kost-
barkeiten, wie sie jedes junge Mädchen für die Brautausstattung sammelt.
Also eine schöne, schließlich aber doch wohl entbehrliche Ausschmückung? —
Droht deshalb nicht die Gefahr, daß jetzt, da die allgemeine Verarmung zu
äußerster Sparsamkeit nötigt, für die vielen tausend fleißigen Hände, die
solchen Lurus anfertigen, der Verdienst ausbleibt, und daß die Kunsthand-
fertigkeit über kurz oder lang vielleicht ganz verloren geht? Auch Hoch-


muster wenig Einfluß ausübte. Sehr früh übernahmen Niederländer und
Franzosen von den Italienern die Technik, die Muster und das Wohl-
gefallen an der Spitzenkunst. Als in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts
die Halskrause, erst als schmaler Besatz, dann aber zu den radartigen Krausen
erweitert, aufkam, fand die Spitzenkunst allgemeinste Würdigung. Kragen
mit Spitzenabschluß folgten- später wurden auch die Armei mit gleichem
Zierat versehen, ja sogar Beinkleider und Schuhe, Tisch- und Leibwäsche.
Berühmte Modellbücher, die schon Ende des sechzehnten Jahrhunderts in
Paris von Italienern und Franzosen herausgegeben wurden, sind erhalten
geblieben und zeigen deutlich die rasche Entwicklung. Weil aber die Ent-
lehnung und freiere Ausgestaltung der Muster eine ziemlich willkürliche
war, kann inan weder bei den damaligen Modellbüchern noch in weit
späterer Zeit auf Grund von Stichähnlichkeiten auf Zeit und Ort der

entwickelte Kulturen haben

Entstehung des einzelnen


Die Spitzenklöpplerin.

Photographk-verlag von Fr. pansstaengy München.
Nach einem Gemälde von G. Metsu.

freilich Spitzen im heutigen
Sinn nicht gekannt. Ver-
geblich hat man die grie-
chischen und römischen
Schriftsteller, die Bibel
und andere Schriften durch-
forscht, um festzustellen, ob
nicht schon im Altertum die
Spitzen bekannt waren. Als
Vorläufer mögen wohl der
netzartige Kopfschmuck der
Kopten frühchristlicher Zeit
in Ägypten und Fransen-
verzierungen der prachtlie-
benden Orientalen, Haar-
netze einer mittelalterlichen
Frauentracht und anderes
gelten. Die eigentlichen
Spitzen kamen aber doch
erst viel später auf. „Zeit
und Ort der Erfindung",
sagt Frau Tina Frauberger
in ihrem Handbuch der
Spitzenkunde, „ist nicht
sicher nachzuweisen. Das
Prinzip, auf dem sie be-
ruht, Fäden untereinander
zu verflechten, und zwar in
erster Linie als vierteiliges
Geflecht, reicht zweifellos
ins Altertum zurück. Die
Entwicklung jedoch zu einem
breiten, flachen, gemuster-
ten und durchbrach enen E e-
bilde unter Zuhilfenahme
der anfänglich primitiven
Klöppel vollzog sich erst im
Laufe der ersten Hälfte des
sechzehnten Jahrhunderts,
als die Mode den Besatz
der Leinwand mit Bogen
und Zacken begünstigte."
Die klassische Einfachheit
antiken Stiles bevorzugte
die Wirkung fließender Ge-
wandung, satte Farben und Faltenwurf der Stoffe. Freude an durch-
brochener, formenverzierter, breiter Umsäumung hatte dagegen die Re-
naissance, und in den Zeiten des damaligen Wohlstandes entwickelte sich
die Spitzenkunst. An den weißen Altardecken und den Alben der Priester
wie an der Tracht verschiedener Stünde damaliger Zeit brachte man Spitzen
an, wie manche Bilder in den Museen beweisen. Italiener und Nieder-
länder haben sich darüber gestritten, welchem Land der Ruhm zukommt,
diese Erfindung hervorgebracht zu haben. Heute ist kaum noch ein Zweifel,
daß Italien die Heimat der Spitzenkunst ist. Vom Orient mag das Handel
und Schiffahrt treibende Venedig einst die ersten Anregungen erhalten
haben, und in den damals reichsten tonangebenden Städten, wie Genua
und Mailand, ist die Technik bald zu vollendeter Fertigkeit entwickelt worden.
Einfachere Durchbruchsarbeiten, bei denen einzelne Fäden ausgezogen,
kleine Stücke des Leinengewebes ausgeschnitten wurden, kamen auf. Dann
stellte man den Besatz für sich allein, zunächst ohne Zusammenhang mit
längerem Stoff, her, meist geometrisch gemustert, später in reicherer Durch-
bildung mit Ornamenten, Laub, Blumen, Tier- und Menschenfiguren.
Auch zur Rokokozeit liebte man es, Spitzen zu verwenden, während die
Empirezeit mit ihren strengeren Formen auf die Entwicklung der Spitzen-

sichere Rückschlüsse machen.
Um 1640 soll man schon mehr
als zehntausend Spitzen-
klöppler in Frankreich ge-
zählt haben. Auch in Flan-
dern verbreitete sich die
Fertigkeit rasch, und Anfang
des siebzehnten Jahrhun-
derts war in Brüssel schon
eine ausgedehnte Hausin-
dustrie entstanden.
In Frankreich führte man
aber trotzdem noch für viele
Millionen jährlich Spitzen
ein; der Verbrauch nahm so
sehr überhand, daß von den
Kanzeln dagegen gewettert,
von der Regierung Verbote
erlassen wurden. Der Finanz-
minister Ludwigs XIV.,
Lolbert, sah indes die Sache
von anderem Standpunkte
aus an. Ihm kam es dar-
auf an, daß das viele Geld
hübsch im eigenen Land
und nicht für venezianische
Spitzen ans Ausland aus-
gegeben würde; er gründete
eine Manufaktur in Alen-
^on, und der König erklärte
diese pomw (O Vrauoe, die
französischen Spitzen, zur
Hoftracht. Im letztenViertel
des siebzehnten Jahrhun-
derts war es den Fran-
zosen gelungen, die Füh-
rung der Spitzenindustrie
von Venedig nach Paris zu
verlegen, und die Erträge
der französischen Spitzen-
kunst sind seit damals bis
in die Vorkriegszeit bedeu-
tend geblieben. Aber auch
die belgische Ausfuhr, vor
allem nach England, für das
besonders angefertigte Spitzen die Bezeichnung xoints ck'^uZletsrrs er-
hielten, war ansehnlich. Mecheln und Brüssel waren in Belgien, wie
Valenciennes, Lille und Alenyon in Frankreich, die Hauptplätze. Immer
größer wurden die Ansprüche an die Feinheit des Materials, den dünn-
sten Zwirn vom besten Flachs und schmiegsamster Seide. Dort überwog
die Anfertigung genähter und geknüpfter, an anderen Orten geklöppelter
- Spitzen. Um die Ausbreitung der Spihentechnik, besonders der geklöp-
pelten Spitzen, haben sich seit je die Frauenklöster, vor allem Belgiens,
verdient gemacht, im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert auch die
Insassen der Beginenhäuser.
In Deutschland bezog man die Spitzen meist aus Italien und
Flandern und noch mehr aus Paris, das ja leider für die deutsche Mode
seit jeher im Rufe der Unübertrefflichkeit stand. Eine deutsche Frau im
Erzgebirge ist es jedoch gewesen, die in Annaberg 1560 das Klöppeln der
Spitzen eingeführt hat, Barbara Uttmann, geborene Elterlein, aus Nürn-
berg. Die Dankbarkeit der Erzgebirgler hat dieser Wohltäterin, die als
reiche Bergwerksbesitzerin für ihre Arbeiterinnen zu sorgen sich bemühte
und gegen neunhundert mit der Herstellung gewirkter Borten beschäftigt
haben soll, ihre soziale Fürsorge nicht vergessen. In vielen bescheidenen
 
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