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76

DasBuchfürAlie

Heft 5

Häuschen der Klöppelspitzenleute
hängt noch heute ihr Bild, uud im
Jahre 1887 haben ihre Landsleute
das von einem Fabrikanten gestiftete
Denkmal, das erste, das eine Frau
erhielt, eingeweiht.
Auch hoch im Norden, im früher
deutschenTondern,unweit Flensburg,
wurde das Klöppeln schon zu Anfang
des siebzehnten Jahrhunderts angeb-
lich von einer Spanierin, wahrschein-
lich aber einer Flamin, armen Fischer-
frauen gelehrt, die dadurch eine will-
kommene, einträgliche Beschäftigung
erhielten. Christian IV. von Däne-
mark unterstützte die Einführung nach-
drücklich. Um 1780 sollen schon über
zehntausend Personen in Schleswig
das Klöppeln betrieben haben. An-
fänglich wurden nach belgischen Mu-
stern Binche- und Malinesspitzen an-


Die Spitzenklöppelschule in Tiefenbach (Oberpfalz).

allgemeinen Verarmung in Deutsch-
land immer empfindlicher zeigen, da
Sparsamkeit Pflicht wie nie zuvor,
würdige Einfachheit auch in Hinsicht
auf Bekleidung und all den Schmuck
im häuslichen Leben eine der wichtig-
sten Aufgaben ist, droht für die Heim-
arbeit unserer Spitzenklöppler eine
harte, verdienstlose Zeit anzubrechen.
Es sind nicht nur wenige Leute, die
schließlich rasch andere Arbeit finden
dürften, sondern es sind viele Tau-
send e irr verschiedenen Gegenden
unseres Vaterlandes, und es handelt
sich ernstlich darum, ob eiu hochent-
wickeltes Kunstgewerbe überhaupt
eingehen uud die ausländische
Konkurrenz den Vorteil behal-
ten soll. Den handgearbeite-
ten Spitzen ist ja schon seit Jahren
durch die immer mehr sich vervoll-

gefertigt, dann aber war der Stolz der in Sondern und den Nachbardörfern
Klöppelnden eine feine Qualität uach Art der Liller Spitzen, die sich stets
durch besondere Duftigkeit auszeichueten. Eine 1918 in Tondern veran-

kommnende Industrie der M a s ch i n e n s p i tz e n eine schwere inlän-
dische Konkurrenz erstanden. Die Leistungen der Barmer und Vogt-
länder Spitzen- uud Tüllfabriken waren vor dem Krieg auf bewunderungs-

staltete Ausstellung förderte noch viel alten wertvollen Besitz zutage, zeigte
aber auch, daß dort uoch heute die Spitzenkunst eifrig betrieben wird. Unter

würdige Höhe gelangt und drückten natürlich wie jede Massenanfertigung
auf die Preise für Heim- und Handarbeit. Die qualitativen Vorzüge der

den vielen Protestanten, die nach Auf-

letzteren sind aber trotz alledem so un-

hebuug des Edikts von Nantes in Deutsch-
land und der Schweiz Zuflucht suchten,
waren auch viele, die Spitzen anzufertigen
verstanden. Diese Arbeits- und Heimat-
losen fanden lohnenden Erwerb durch Ein-
richtung von Spitzenmanufakturen. Ende
des achtzehnten Jahrhunderts standen
die Annaberger, Dresdner und Meißner
Spitzen in gutem Ruf. Auch an der Weser
in dem Ackerstüdtchen Liebeuau im Kreis
Nienburg ist seit alter Zeit die Spitzen-
klöppeleiheimisch. DieLiebenauer Spitzen,
besonders auch als Spezialität die „Tüll-
spitzen", nach Art der Liller mit spinn-
webendünnem Faden gearbeitet, stehen
den Brabanter uud Liller Mustern auch
heute nicht nach. Nur eins fehlte oft uud
fehlt jetzt erst recht: die Bestellungen. Im
schlesischen Gebirge errichtete 1855 ein
Kaufmann, Jakob Wechselmann, drei
Spitzenschulen, um der sich oft sehr küm-
merlich durchschlagenden Bevölkerung
einen Nebenerwerb zu schaffen. Unter den späteren Leitern erhoben sich
diese Schulen immer mehr zu einer Heim- und Pflegestütte auserlesener
Kunstleistungen in diesem Gewerbe. Seit 1911 vereinigte die Fürstin
Mari) Therese von Pleß die verschiedenen Institute, und unter ihrem
Schutz hat der Ruf der Hirschberger Spitzeuschulen noch mehr gewonnen.
Die schlesischen Anstalten haben sich zu einem D e u t s ch en V er e i n für
s ch I e s i s ch e S p i tz e n k u n st zu-

bestreitbar, die Möglichkeiten, persönliche
Fähigkeiten hervortreten zu lassen, sind bei
der Handanfertigung von Spitzen so viel
größer, der entwerfendeKünstlerhathier so
viel mehr Aussicht, dies und jenes Muster
ausgeführt zu sehen, als bei der Fabri-
kation, daß handgearbeitete Spitzen stets
von Leuten mit Geschmack und Ver-
ständnis als kunstgewerbliche Leistung
höher bewertet werden. Aber jetzt muß
diese auch volkswirtschaftlich wichtige
Qualität erst recht geschützt werden, in-
dem man trotz der Einschränkungen ge-
nügende Aufträge sichert. Die handge-
arbeiteten Spitzen sind so haltbar und
haben einen so hohen Dauerwert — alte
Spitzen steigen ja für Liebhaber im Wert
wie alte Bilder und Stiche —, daß ihre
Anschaffung doch keineswegs unter die
Rubrik des unnötigen Lurus fällt. Hand-
geklöppelte Spitzen sind viel weniger
Verschwendung als unendlich viel Flitter
uud Tand, für den immer noch viel zu viel ausgegeben wird. Es ist eine
Pflicht der Begüterten, den Erzgebirglern und den schlesischen und baye-
rischen Spitzenklöpplern, denen an der Weser und denen an der Ostsee zu
helfen durch Bevorzugung echter handgearbeiteter Spitzen beim Einkauf.
Der Export betrug in Friedenszeiten Millionen, jetzt dürften auf lange Zeit
hinaus höchstens von Amerika größere Bestellungen erhofft werden. In
dieser kritischen Lage muß alles getan werden, trotz alledem, durch Weiter-

phot. Berl. Ill.-Ges. M.b.H., Berlin.


Unterweisung der Jugend in der SpitzeMechnik kn einer flämischen
Bauernstube.

Phot. Berl. Ill.-Ges. m. b. tz., Berlin.
Eine flämische Spihenarbekterkn bei
der Belehrung ihres Töchterchens.


sammengeschlossen. Denn eins ist ge-
wiß: ohne Organisierung, ohne Hilfe
von einer Zentralleitung aus, kann
sich diese Heimarbeit — das ist
die Spitzenklöppelei nicht vor dem
Untergang bewahren. Schon einmal
hat eine Revolutiouskatastrophe ihr
Fortbestehen aufs höchste bedroht. Als
1789 in Frankreich der Sturm sich er-
hob, ging viel mit verloren, was den
Untergang nicht verdiente, und eine
lange Reihe von Jahren der Ver-
armung und Verkümmerung unter
Kriegslasten folgte. Wohl versuchte
Napoleon I. der dauiederliegenden
Spitzenmanufaktur wieder aufzuhel-
fen, aber sie erholte sich doch nur lang-
sam. Denn gerade sie ist von dcrMode,
volnZeitgeschmackundZeitbedürfiüssm
so abhängig, daß man einen raschen
Aufstieg nicht herbeiführen kann.
Und jetzt, da sich die Folgen der

Phot. Berl. Ill.-Ges. M.b.H., Berlin.
Flämische Spitzenklöpplerinnen bei der Arbeit
vor ihrer Behausung.

führung der verdienstvollen Schulen in Annaberg, Schneeberg, Tiefeu-
bach, in Hirschberg und Tondern dieses Kunstwerk auf der erreichten Höhe
zu halten, die es konkurrenzfähig macht, und den Hunderttausenden auf
den verstreuten Dörfern im Gebirge und in der Heide, die in langen
Wintermonaten von diesem Nebenerwerb leben, ihren Verdienst, und zwar
so angemessen, wie es
solche Qualitätsarbeit
verdient, zu verschaf-
fen. Die Anschauung,
daß Spitzenklöppeln
ungesund und unwirt-
schaftlich sei, daß man
also um das etwaige
Eingehen dieser Haus-
industrie nicht zu trau-
ern brauche, ist ganz
verkehrt. DasSpitzeu-
klöppeln strengt die
Augen nicht mehr an
alsirgendwelchehäus-
liche Handarbeit sonst
und erfordert keine
 
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