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DasVuchsüvAlle
Heft 6
Hanna, sei doch du wenigstens vernünftig und heirate Herrn von
Salderg. Er ist ja so lieb und nett zu dir. Dann komme ich zu
dir, und wir wollen zusammen lustig sein."
Die Oberforstmeisterin hatte sich verzweifelt die Ohren zu-
gehalten und kläglich gerufen: „Unüs Himmels willen, das ist ja
ganz unglaublich! Vergib ihr, liebe Hanna. Wie kann man nur
so unzart sein! Wenn der Vater das gehört hätte! Ich weist mir
wahrhaftig nicht mehr zu helfen."
Hanna war flüchtig errötet. „Kleines Schäfchen. Was fällt
dir denn ein?" sagte
sie, Haides Wange
streichelnd, und ging
aus dem Zimmer.
Haide aber lief
unbekümmert zu ihrer
Mutter. „Sach mir
doch, Mutter, ist das
nicht ein sicheres Zei-
chen von Liebe, wenn
ein Mensch den ande-
ren so komisch ansieht,
wie Herr von Salberg
Hanna manchmal be-
trachtet? Weisst du,
das mutz doch gewist
so was sein, wie ich
meine."
Auster sich über
solche Reden, war
die Oberforstmeisterin
nicht mehr zu halten
gewesen, und Haide
erhielt eine unmiß-
verständliche Zurück-
phot. A. Grohs, Berlin.
Das grösste Geschwisterpaar der Welt.
ihren dunkelblauen Samtkleidern mit weißem Pelzwerk um den
Hals, munter unter den mützenartigen Hüten hervorblickend,
schritten sie eilig die Promenade entlang. An einer Biegung des
Weges sahen sie zwei Frauengestalten. Rund und behäbig die
eine und auffallend schlank ihre Begleiterin; es waren Frau
Zippelmann und Marie Beeren. Sie konnten einander nicht
übersehen.
„Hol's der Fuchs!" sagte Mika Zippelmann, ihre Rechte aus
dem Muff ziehend. „Je später der Tag, desto schöner die Leute.
Na, ihr beiden Beer-
chens, was habt ihr
denn vor?"
„Wir laufen auch
auf zwei Beineri ein
bißchen in der Welt
herum," antwortete
Haide. Ihr entging
nicht, daß das junge
Mädchen leicht errötete.
„Da habt ihr recht.
Im Winter könnten
einem sonst leicht die
Knochen ein bißchen
zu steif werden. Was
meint ihr wohl, wer
das hier ist?"
„Das brauchst du
uns nicht zu sagen,"
erwiderte Hanna und
reichte Florians Toch-
ter unbefangen die
phoi. Photothek, Berlin. Hand.
Ein neues Sesselmotorrad. „Freut mich, dir
zu begegnen, Cousine!"
Weisung.
Nun trotzte sie noch
immer, und der Mut-
ter bangte davor, daß
es bei Tisch noch eine
weitere Szene geben
könnte.
Aber zum Glück
verlief die Mahlzeit
ohne Störung. Otmar
plauderte unbefangen
und heiter, und auch
der Oberforstmeister
vergast allmählich sei-
nen Arger, den ihm
der rabiate Florian
Beeren auf der Straße
bereitet hatte. So
schien nach dem un-
glückseligen Theater-
abend alles wieder im
erträglichen Licht, und
man durfte hoffen,
daß dies der letzte
Verdruß gewesen sei, den man durch diese so unliebsam herein-
geschneite Verwandtschaft erleben mußte.
raußen lagen Äcker und Wiesen unter der weißen Schnee-
decke. Weithin wölbte sich der Himmel klar darüber; fast
kerzengerade stieg der Rauch aus den Schlöten auf. Die
Kälte war nicht empfindlich, frisch genug aber doch, eine bleiche
Wange rötlich zu färben und die verbrauchte Luft der Stuben
rasch zu vertreiben.
Mer den alten Wall auf dem festgetretenen Schnee zwischen
den kahlen Alleebäumen gingen Hanna und Haide ins Freie. In
rief Haide. „Habe dich
neulich im Theater-
leider nicht recht sehen
können. — Wie gehüs,
Tante Mika? Man
weiß ja bald nicht
mehr, wie du aus-
schaust, so selten sieht
man dich."
„Das Unglück ist
weiter nicht groß. Zu
sehen ist ja an mir nichts
Besonderes, könnte auch
leicht äußerlich ein biß-
chenbesserverpacktsein.
Du kleines Schnuckel-
chen, was macht denn
deine Mutter?"
„Danke, es geht
ihr gut! Alles wie
sonst. Otmar wohnt
jetzt für sich; seitdem
issts bei uns ein wenig
stiller geworden."
„Marie heisst die Kleine hier, ihr zuliebe tappe ich im Schnee
herum."
Da Florians Tochter schwieg, begann Haide: „Marie! Ein
lieber Name. Mich haben sie ganz verrückt getauft: Haide heiße
ich. Meine Schwester kam besser weg, Hanna heißt sie. Sie ist
auch sonst besser daran als wir alle zusammen."
„Was schwätzt du denn da wieder zusammen?" entgegnete
Hanna. Im selben Augenblick hörte man knarrende Schritte auf
dem Schnee, und auf einem Seitenweg ging Herr von Salberg
vorüber. Haide erblickte ihn zuerst; sie wandte sich an Frau
Zippelmann: „Jetzt könntest du deinen Spruch noch einmal an-
bringen, Tante Mika: ,Je später der Abend, umso schöner die
Phot. W. Girckc, Bci lili.
Ein Luftakrobat zwischen zwei Flugzeugen.
DasVuchsüvAlle
Heft 6
Hanna, sei doch du wenigstens vernünftig und heirate Herrn von
Salderg. Er ist ja so lieb und nett zu dir. Dann komme ich zu
dir, und wir wollen zusammen lustig sein."
Die Oberforstmeisterin hatte sich verzweifelt die Ohren zu-
gehalten und kläglich gerufen: „Unüs Himmels willen, das ist ja
ganz unglaublich! Vergib ihr, liebe Hanna. Wie kann man nur
so unzart sein! Wenn der Vater das gehört hätte! Ich weist mir
wahrhaftig nicht mehr zu helfen."
Hanna war flüchtig errötet. „Kleines Schäfchen. Was fällt
dir denn ein?" sagte
sie, Haides Wange
streichelnd, und ging
aus dem Zimmer.
Haide aber lief
unbekümmert zu ihrer
Mutter. „Sach mir
doch, Mutter, ist das
nicht ein sicheres Zei-
chen von Liebe, wenn
ein Mensch den ande-
ren so komisch ansieht,
wie Herr von Salberg
Hanna manchmal be-
trachtet? Weisst du,
das mutz doch gewist
so was sein, wie ich
meine."
Auster sich über
solche Reden, war
die Oberforstmeisterin
nicht mehr zu halten
gewesen, und Haide
erhielt eine unmiß-
verständliche Zurück-
phot. A. Grohs, Berlin.
Das grösste Geschwisterpaar der Welt.
ihren dunkelblauen Samtkleidern mit weißem Pelzwerk um den
Hals, munter unter den mützenartigen Hüten hervorblickend,
schritten sie eilig die Promenade entlang. An einer Biegung des
Weges sahen sie zwei Frauengestalten. Rund und behäbig die
eine und auffallend schlank ihre Begleiterin; es waren Frau
Zippelmann und Marie Beeren. Sie konnten einander nicht
übersehen.
„Hol's der Fuchs!" sagte Mika Zippelmann, ihre Rechte aus
dem Muff ziehend. „Je später der Tag, desto schöner die Leute.
Na, ihr beiden Beer-
chens, was habt ihr
denn vor?"
„Wir laufen auch
auf zwei Beineri ein
bißchen in der Welt
herum," antwortete
Haide. Ihr entging
nicht, daß das junge
Mädchen leicht errötete.
„Da habt ihr recht.
Im Winter könnten
einem sonst leicht die
Knochen ein bißchen
zu steif werden. Was
meint ihr wohl, wer
das hier ist?"
„Das brauchst du
uns nicht zu sagen,"
erwiderte Hanna und
reichte Florians Toch-
ter unbefangen die
phoi. Photothek, Berlin. Hand.
Ein neues Sesselmotorrad. „Freut mich, dir
zu begegnen, Cousine!"
Weisung.
Nun trotzte sie noch
immer, und der Mut-
ter bangte davor, daß
es bei Tisch noch eine
weitere Szene geben
könnte.
Aber zum Glück
verlief die Mahlzeit
ohne Störung. Otmar
plauderte unbefangen
und heiter, und auch
der Oberforstmeister
vergast allmählich sei-
nen Arger, den ihm
der rabiate Florian
Beeren auf der Straße
bereitet hatte. So
schien nach dem un-
glückseligen Theater-
abend alles wieder im
erträglichen Licht, und
man durfte hoffen,
daß dies der letzte
Verdruß gewesen sei, den man durch diese so unliebsam herein-
geschneite Verwandtschaft erleben mußte.
raußen lagen Äcker und Wiesen unter der weißen Schnee-
decke. Weithin wölbte sich der Himmel klar darüber; fast
kerzengerade stieg der Rauch aus den Schlöten auf. Die
Kälte war nicht empfindlich, frisch genug aber doch, eine bleiche
Wange rötlich zu färben und die verbrauchte Luft der Stuben
rasch zu vertreiben.
Mer den alten Wall auf dem festgetretenen Schnee zwischen
den kahlen Alleebäumen gingen Hanna und Haide ins Freie. In
rief Haide. „Habe dich
neulich im Theater-
leider nicht recht sehen
können. — Wie gehüs,
Tante Mika? Man
weiß ja bald nicht
mehr, wie du aus-
schaust, so selten sieht
man dich."
„Das Unglück ist
weiter nicht groß. Zu
sehen ist ja an mir nichts
Besonderes, könnte auch
leicht äußerlich ein biß-
chenbesserverpacktsein.
Du kleines Schnuckel-
chen, was macht denn
deine Mutter?"
„Danke, es geht
ihr gut! Alles wie
sonst. Otmar wohnt
jetzt für sich; seitdem
issts bei uns ein wenig
stiller geworden."
„Marie heisst die Kleine hier, ihr zuliebe tappe ich im Schnee
herum."
Da Florians Tochter schwieg, begann Haide: „Marie! Ein
lieber Name. Mich haben sie ganz verrückt getauft: Haide heiße
ich. Meine Schwester kam besser weg, Hanna heißt sie. Sie ist
auch sonst besser daran als wir alle zusammen."
„Was schwätzt du denn da wieder zusammen?" entgegnete
Hanna. Im selben Augenblick hörte man knarrende Schritte auf
dem Schnee, und auf einem Seitenweg ging Herr von Salberg
vorüber. Haide erblickte ihn zuerst; sie wandte sich an Frau
Zippelmann: „Jetzt könntest du deinen Spruch noch einmal an-
bringen, Tante Mika: ,Je später der Abend, umso schöner die
Phot. W. Girckc, Bci lili.
Ein Luftakrobat zwischen zwei Flugzeugen.