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DasBuchfürAlle
Heft 6
das Licht. Von Gertrud Buetz.
ans Alsen gab Anna die Hand, umspannte die ihre fest und
lröftete: „Wenn uns Kindern bange war, im Halbdunkel
allein in der Stube zu hocken, dann sagte Mutter: .Dummes
Zeug, die Laterne brennt ja doch N — Oft hab' ich daran denken
müssen, daß uns allen ein Licht leuchtet. Hoffnung heißt das Licht;
daran denke, Anna!"
Er sah ihr schmerzvoll in die Augen.
Tas junge Mädchen antwortete nicht, sondern nickte nur. Sie
wollte nicht weinen, ihm den Abschied nicht noch schwerer machen.
Ein Kuß, ein schmerzhafter Druck ihrer Finger in seiner
Hand.
(O>er Sommer kam in diesem Jahre spät; dann aber fanden
""^auch die Rosen an den Stämmen nicht Platz genug, um zu
blühen, rot wie die Wangen junger Frauen. Süß war ihr Duft,
und schwer sank die Nacht auf die heiß erwärmte Erde nieder.
Anna Hennig wartete nun schon den zweiten Sonntag ver-
geblich, und als Hans Alsen am dritten kam, eilig, den Blick stets
in der Ferne, wußte das Mädchen, daß er log. Es war Lüge,
daß er eine Fahrt gehabt; sie sah es am Zucken seines Mundes.
Doch sie schwieg, hängte sich an seinen Arm, und das Licht der
Hoffnung schimmerte in ihrem Herzen. Sie lächelte ihm zu und
dachte: Er wird mich über dem Wein vergessen haben. Sie
trennte sich nach einem innigen Kuß von ihm und verlor den
Glauben nicht.
Am Landungssteg lärmte die Glocke.
Sie blickte ihm nach, wie er gegen den Wind ankämpfte.
Nun war alles vorbei. Sie sah ihn nicht mehr.
Anna Hennig lehnte
sich gegen die Wand; ihre
Schultern suchten einen
Halt.
„Anna!" rief die kranke
Mutter, die wußte, wie
hart die Tochter der Ab-
schied von dem Bräutigam
ankam, der nun ein halbes
Jahr draußen sein mußte.
Sie wollte lindern, was
weh tat und schmerzte.
Doch das Mädchen
wünschte keinen Trost.
Wild und weh schlug
Annas Herz; schweigend
ging sie im Hause umher
und tat ihre Arbeit; der
schrille Ton der Schiffs-
glocke, die ihn von ihr
gerufen, klang ihr noch
lange im Ohr.
Die Tage kamen und
schlichen den Abenden zu;
sie waren kalt und sonnen-
los. Sturm und Nässe
kamen. Spätherbst war es
geworden, und fast immer
stand die Sonne hinter
Nebelbänken und trübem
(7>n dem Fischerdorfe tuschelten die Mädchen, stießen sich an
-^und ereiferten sich. Alte Frauen standen in den schmalen
Gassen im Sonnenlicht und wickelten die Hände gewohnheits-
mäßig in den Wollschal.
Sie plauderten miteinan-
der, und die eine bestätigte
der andern bedächtig: „So
ist's immer; die es angeht,
merken solche Geschichten
erst, wenn's zu spät ist."
Das Raunen und Wispern
empfand das stolze Mäd-
chen in bitterer Qual. Und
allmählich drohte das Licht
in ihrem Herzen zu er-
löschen. Sie wußte längst,
worüber inan sich im Dorf
unterhielt: daß Hans Alsen
über den Deich zu der rot-
haarigen Lisbeth ging, die
mehr als einen Matrosei,
ihren Freund nannte.
Anna Hennig weinte
nicht. Sie ertrug die Dun-
kel!) nt in ihrem Herzen
schwer; ihr graute vor
jeder Nacht, die sie schlaf-
los verbrachte. Die Noseu
im Vorgarten schaute sie
nicht mehr an. Ohne ihn
verlor ihr Dasein jeden
Sinn; es war kein Lebeu
mehr. Eiusam verbrachte
Gewölk. Anna Hennig
nährte in ihrem Herzen
das Licht der Hoffnung. Das flackerte hell und warm über dem
tröstlichen Gedanken: Er kommt wieder!
ls im Frühling Veilchen unter den Hecken dufteten, als am
Teich sich blähend die ersten braunen Netze spannten, kam
Hans Alsen zurück, braun gebrannt und glücklich. Er war Erster
Steuermann geworden. Sie hielten sich an den Händen und
küßten sich.
Hans sah die junge, gesunde Kraft, die nur darauf wartete,
sich ihm zu schenken; ihm schien, die Erde werde weit und licht,
und er drängte: „Wann soll Hochzeit sein, Anna?"
Sie rechneten beide mit roten Köpfen, und was sie auch hin
und her bedachten, die Summe, die ihnen das gemeinsame Leben
ermöglichen sollte, blieb zu klein. Es reichte noch nicht.
„Im Winter vielleicht," sprach das Mädchen mit leiser ge-
wordener Stimme.
Hans Alsen fühlte sich enttäuscht; ihn hungerte nach dein
Glück, das für ihn Anna Hennig hieß. Es tröstete ihn nicht, als
sie sagte: „Lieber, nun dürfen wir uns doch jeden Sonntag sehen,
können beieinander sein."
sie ihre Tage; aber sie
klagte nicht und blieb still.
Sie wartete auch nicht, als er an diesem Sonntag wieder nicht
kam. Sie nahm das schillernde grüne Tuch, von dem sie wußte,
daß er es an ihr liebte, und kam ihm wie zufällig in den Weg,
und dann gingen sie wieder miteinander. Und sie küßte ihn und
blieb doch abwehrend dabei.
Und Hans Alsen verliebte sich erneut in seine Braut. Der
Herbst war golden, und Anna Hennig wußte, daß Hans ihr nicht
ganz verloren war.
n einem Abend, da die ersten Nebel wogten, bemerkte Anna,
daß die rote Lisbeth um das Haus schlich. Als Hans ging,
sah sie, wie das Fischermädchen ihm folgte. Doch sie sagte sich:
Warum soll ich bange sein? Er hat mich lieb. Sie lächelte in sich
hinein und griff nach dem Leinenzeug. Die Aussteuer mußte
zum Winter fertig sein.
ie Rothaarige sah man nun öfters vor Hans Alfens Haus.
Er aber nahm einen anderen Weg. Da rief die rote Lisbeth
ihm nach und lachte.
„Hast Angst vor mir? — Warst doch sonst kein Hasenfuß?"
Ihm stieg das Blut zu Kopf. Nicht um der Worte willen,
Der Blick in die Ferne.
Nach einem Gemälde van Hans Rohm.
DasBuchfürAlle
Heft 6
das Licht. Von Gertrud Buetz.
ans Alsen gab Anna die Hand, umspannte die ihre fest und
lröftete: „Wenn uns Kindern bange war, im Halbdunkel
allein in der Stube zu hocken, dann sagte Mutter: .Dummes
Zeug, die Laterne brennt ja doch N — Oft hab' ich daran denken
müssen, daß uns allen ein Licht leuchtet. Hoffnung heißt das Licht;
daran denke, Anna!"
Er sah ihr schmerzvoll in die Augen.
Tas junge Mädchen antwortete nicht, sondern nickte nur. Sie
wollte nicht weinen, ihm den Abschied nicht noch schwerer machen.
Ein Kuß, ein schmerzhafter Druck ihrer Finger in seiner
Hand.
(O>er Sommer kam in diesem Jahre spät; dann aber fanden
""^auch die Rosen an den Stämmen nicht Platz genug, um zu
blühen, rot wie die Wangen junger Frauen. Süß war ihr Duft,
und schwer sank die Nacht auf die heiß erwärmte Erde nieder.
Anna Hennig wartete nun schon den zweiten Sonntag ver-
geblich, und als Hans Alsen am dritten kam, eilig, den Blick stets
in der Ferne, wußte das Mädchen, daß er log. Es war Lüge,
daß er eine Fahrt gehabt; sie sah es am Zucken seines Mundes.
Doch sie schwieg, hängte sich an seinen Arm, und das Licht der
Hoffnung schimmerte in ihrem Herzen. Sie lächelte ihm zu und
dachte: Er wird mich über dem Wein vergessen haben. Sie
trennte sich nach einem innigen Kuß von ihm und verlor den
Glauben nicht.
Am Landungssteg lärmte die Glocke.
Sie blickte ihm nach, wie er gegen den Wind ankämpfte.
Nun war alles vorbei. Sie sah ihn nicht mehr.
Anna Hennig lehnte
sich gegen die Wand; ihre
Schultern suchten einen
Halt.
„Anna!" rief die kranke
Mutter, die wußte, wie
hart die Tochter der Ab-
schied von dem Bräutigam
ankam, der nun ein halbes
Jahr draußen sein mußte.
Sie wollte lindern, was
weh tat und schmerzte.
Doch das Mädchen
wünschte keinen Trost.
Wild und weh schlug
Annas Herz; schweigend
ging sie im Hause umher
und tat ihre Arbeit; der
schrille Ton der Schiffs-
glocke, die ihn von ihr
gerufen, klang ihr noch
lange im Ohr.
Die Tage kamen und
schlichen den Abenden zu;
sie waren kalt und sonnen-
los. Sturm und Nässe
kamen. Spätherbst war es
geworden, und fast immer
stand die Sonne hinter
Nebelbänken und trübem
(7>n dem Fischerdorfe tuschelten die Mädchen, stießen sich an
-^und ereiferten sich. Alte Frauen standen in den schmalen
Gassen im Sonnenlicht und wickelten die Hände gewohnheits-
mäßig in den Wollschal.
Sie plauderten miteinan-
der, und die eine bestätigte
der andern bedächtig: „So
ist's immer; die es angeht,
merken solche Geschichten
erst, wenn's zu spät ist."
Das Raunen und Wispern
empfand das stolze Mäd-
chen in bitterer Qual. Und
allmählich drohte das Licht
in ihrem Herzen zu er-
löschen. Sie wußte längst,
worüber inan sich im Dorf
unterhielt: daß Hans Alsen
über den Deich zu der rot-
haarigen Lisbeth ging, die
mehr als einen Matrosei,
ihren Freund nannte.
Anna Hennig weinte
nicht. Sie ertrug die Dun-
kel!) nt in ihrem Herzen
schwer; ihr graute vor
jeder Nacht, die sie schlaf-
los verbrachte. Die Noseu
im Vorgarten schaute sie
nicht mehr an. Ohne ihn
verlor ihr Dasein jeden
Sinn; es war kein Lebeu
mehr. Eiusam verbrachte
Gewölk. Anna Hennig
nährte in ihrem Herzen
das Licht der Hoffnung. Das flackerte hell und warm über dem
tröstlichen Gedanken: Er kommt wieder!
ls im Frühling Veilchen unter den Hecken dufteten, als am
Teich sich blähend die ersten braunen Netze spannten, kam
Hans Alsen zurück, braun gebrannt und glücklich. Er war Erster
Steuermann geworden. Sie hielten sich an den Händen und
küßten sich.
Hans sah die junge, gesunde Kraft, die nur darauf wartete,
sich ihm zu schenken; ihm schien, die Erde werde weit und licht,
und er drängte: „Wann soll Hochzeit sein, Anna?"
Sie rechneten beide mit roten Köpfen, und was sie auch hin
und her bedachten, die Summe, die ihnen das gemeinsame Leben
ermöglichen sollte, blieb zu klein. Es reichte noch nicht.
„Im Winter vielleicht," sprach das Mädchen mit leiser ge-
wordener Stimme.
Hans Alsen fühlte sich enttäuscht; ihn hungerte nach dein
Glück, das für ihn Anna Hennig hieß. Es tröstete ihn nicht, als
sie sagte: „Lieber, nun dürfen wir uns doch jeden Sonntag sehen,
können beieinander sein."
sie ihre Tage; aber sie
klagte nicht und blieb still.
Sie wartete auch nicht, als er an diesem Sonntag wieder nicht
kam. Sie nahm das schillernde grüne Tuch, von dem sie wußte,
daß er es an ihr liebte, und kam ihm wie zufällig in den Weg,
und dann gingen sie wieder miteinander. Und sie küßte ihn und
blieb doch abwehrend dabei.
Und Hans Alsen verliebte sich erneut in seine Braut. Der
Herbst war golden, und Anna Hennig wußte, daß Hans ihr nicht
ganz verloren war.
n einem Abend, da die ersten Nebel wogten, bemerkte Anna,
daß die rote Lisbeth um das Haus schlich. Als Hans ging,
sah sie, wie das Fischermädchen ihm folgte. Doch sie sagte sich:
Warum soll ich bange sein? Er hat mich lieb. Sie lächelte in sich
hinein und griff nach dem Leinenzeug. Die Aussteuer mußte
zum Winter fertig sein.
ie Rothaarige sah man nun öfters vor Hans Alfens Haus.
Er aber nahm einen anderen Weg. Da rief die rote Lisbeth
ihm nach und lachte.
„Hast Angst vor mir? — Warst doch sonst kein Hasenfuß?"
Ihm stieg das Blut zu Kopf. Nicht um der Worte willen,
Der Blick in die Ferne.
Nach einem Gemälde van Hans Rohm.