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DasBuchsürAlle

Heft 6

riesen, den Adan-
son in Westafrika
am Kap Verde sah
und beschrieb. Als
der berühmte Bo-
taniker 1750 diesen
Baum mast, hatte
er einen Durchmes-
ser von dreistig Fust,
also ungefähr zehn
Meter. Dreihun-
dert Jahre früher-
hatten englischeSee-
fahrer eine Inschrift
in den Stamm ge-
ritzt. Diese Inschrift
fand Adanson wie-
der, nachdem er
dreihundert Holz-
faserschichten ent-
fernt hatte. Da-
nach berechnete der
Forscher das Alter
dieses Baumriesen

Markt unter einem Mesenbaobcrb.


auf ungefähr 5150
Jahre.
Auch uoch als
Grab dieneu die
Baobabbäume den
Menschen. Beson-
ders im oberen Ni-
gergebiet sind solche
Baumgräber häu-
fig. Die Bäume sind
zum Teil künstlich
zu solchen leben-
digen Särgen her-
gerichtet und etwa
in Mannshöhe mit
einer Eingangsöff-
nung versehen. An
manchenPIätzen des
Westsudans werden
vielfach auch heute
noch solche Baum-
höhlen zur Bestat-
tung künstlich an-
gelegt.

Zu unseren Bildern

z^ Rinderverlöbnis in Griechenland (S. 81). — Ehen werden nicht
immer im Himmel geschlossen, wie es dein Sprichwort nach sein soll.
Seit ältester Zeit und zumal bei Völkern auf niedriger Kulturstufe ist die
Heirat ein Geschäft, bei manchen geradezu ein Kauf. Die berechnende
Klugheit, Standes- und Vermögensrücksichten haben bald mehr, bald
weniger die ausschlaggebende Entscheidung, und die persönliche Zuneigung
ist Nebensache. Das Bestreben der Sippe, dem alten Familiengeschlecht
durch Heirat neues Ansehen, Macht und Besitz zu gewinnen, führte schliest-
lich oft dazu, schon Kinder füreinander zu bestimmen. Fürstlicher Haus-
politik und hartherzigem Patrizierstolz sind auf diese Weise viele und
schwere Opfer gebracht worden. Bei den mittelasiatischen Türken wird das
Ehebündnis häufig von den Eltern eingeleitet, wenn die Kinder kaum sechs
oder acht Jahre alt sind. Der Vater des Knaben macht dem Vater des
Mädchens Besuch, inan verabredet sich in Gegenwart des Molla, des
türkischen Geistlichen, und dieser verhüllt die zum Bund gereichten Hände
im Schost seines Kaftans. Damit ist man in das Verhältnis der Kudaman-
verschwügerung getreten, das heistt, man hat einen Grad von Bluts-
verwandtschaft vereinbart, der Anrecht auf Schutz gegen die Angriffe
Stärkerer gewährt. Bei den Armeniern sind auch Kinderverlöbnisse üblich.
Dort geht aber die Mutter des Knaben mit zwei alten Frauen und einein
Priester zu den Eltern des Mädchens und schenkt dem Kind einen Ring
im Namen des zukünftigen Gatten. Der Geistliche segnet das kleine Paar,
und der junge Bräutigam muh jedes Jahr seiner Braut bis zur Ver-
heiratung ein neues Kleid senden. Ähnlicher Brauch hat sich auch in manchen
Gegenden des nördlichen Griechenlands erhalten.
ZX Die Geitzelfahrer (S. 88—89). — Irrungen und Wirrungen, un-
aufhörliches, aber auch ungeklärtes, revolutionäres Drängen nach neuer
inachtvoller Lebensentfaltung und neuen, Sicherheit verbürgenden Rechts-
ordnungen charakterisieren das vierzehnte Jahrhundert als Übergangs-
periode. Weit zurück lagen die Einheitlichkeit und jugendliche Kraft des
frühen Mittelalters, seit der Glanz der Staufenherrlichkeit in bittersten Ent-
täuschungen erloschen war und die schreckliche, die kaiserlose Zeit des Inter-
regnums unheilvoll nachwirkte. Alte Ideale lagen wie im Stich gelassene
Banner im Staub, uud für die neuen, mehr nur dunkel geahnter: als klar
erfastten, fehlten die grohen wegweisenden Führerpersönlichkeiten. Das
Rittertum verübte rohe Gewalttätigkeiten, Kirche und Klöster waren viel-
fach entartet. Eifersucht und eigensüchtiges Machtbegehren hetzten die
Fürsten gegeneinander und schwächten das Kaisertun:, das sich nur zur
Not gegeu Übergriffe der in Avignon unter französischen: Einflust stehenden
Päpste behaupten konnte. Zwischen der Bürgerschaft und dein Adel,
geistlicher und weltlicher Macht loderte,: unaufhörliche Fehden, uud in den
übervölkerten engen Städten taten sich früher in solcher Schroffheit
nicht gekannte soziale Gegensätze auf. Seit nach den Kreuzzügen der
Welthandel nut dem Orient sich entwickelte und Gewerbe aufblühten,
wuchs der Reichtum uud schieden sich Armut und gedrückte Abhängigkeit.
Alle Gruppen suchten sich in Bünden zusammenzuschliesten, um ihre Rechte
zu wahren, Unrecht zu steuern, aber trotz alledem blieben der „Landfrieden"
und die gedeihliche Entwicklung der Gilden und Zünfte bedroht. Verfall
und Aufbau raugen miteinander. In dieser drückenden Unsicherheit und
Ungeklärtheit wirkten Katastrophen, Erdbeben und Seuchen, wie sie zu
anderen Zeiten auch vorgekommen sind, viel aufregender, verwirrend

und erschütternd. Nachrichten von einem grosten Erdbeben im südöstlichen
Alpengebiet im Januar 1348, von Überschwemmungen und Erscheinungen
von Kometen und Feuerzeichen an: Himmel wurden mastlos übertrieben
und als Anzeichen furchtbarer Geschicke, droheuden Weltunterganges ge-
deutet. Zunächst wandte sich die erregte Masse gegen die Juden und warf
ihnen vor, Brunnen vergiftet und Seuchen gefördert zu haben, während
der wirkliche Grund des Unwillens der Arger war über die zunehmende
Verschuldung an diese aus dem Warenhandel verdrängten, Geldgeschäfte
treibenden Israeliten. Als im gleichen Jahr die Kunde kam von einer ver-
heerenden Pestilenz, die von der Gegend am Schwarzen Meer kommend
sich über ganz Südeuropa ausbreite und die blühendsten Städte entvölkere,
da verwirrte die Angst vor dem angeblich unentrinnbaren Verderben,
dem „s ch w a r z e n T o d", die Gemüter bis zum Wahusinn. In Schwa-
ben und Franken, an: Rhein und in der Schweiz, aber auch in Mittel- und
Norddeutschland rauchten die Städte von Judenbränden, trieb man die
Misthandlungen und Abschlachtung der vermeintlich an: Unheil Schuldigen
nut unmenschlicher Roheit. Die Verwilderung der Sitten wurde so grost,
dast sich die eiuen in taumelnden Sinnengenust stürzten, um weuigstens
die knappe Spanne Leben, ehe der schwarze Tod auch sie erwürgte, aus-
zukosten, und die anderen trieb die Verzweiflung in abergläubische Seelen-
pein. Dast die Seuche nur deshalb so überhanduehmeu kounte, weil die
Bevölkerung in den engen Städten zu dicht zusammengepfercht war, die
krummen und schmalen Strasten von Unrat starrten, daran dachte niemand,
und keiner erhob Einspruch dagegeu, dast die zahllosen Leichen inmitten
der Stadt beerdigt wurden. Da trat plötzlich und merkwürdigerweise
mit einemmal fast über ganz Deutschland verbreitet eine seltsame religiöse
Sekte auf, die zu Hunderten und Tausenden in langen Prozessionen die
Städte durchzog. In Büsterkutten oder nur mit einem Hemd bekleidet,
schwereKreuze schleppend, plärrten sie ihre Trauergesünge ourch die Strasten
und geistelten sich bis aufs Blut, weil nur diese selbstvollstreckte Strafe vor
den: Zorn Gottes und elendem Verderben retten könne. Mit Scheu und
Bewunderung blickte das Volk auf die schwärmerischen Büster. Schauer-
lich klang ihr wehklagender Psalm: „Nu schlaget euch sehr zu Christi Ehre!
Um Gottes willen lasset die Sünde fürder!" Kerzen und Fahnen von
Samt und Goldstoff wurden ihnen vorangetragen, mit allen Glocken
wurde geläutet und alle Türen den frommen Bustpredigern aufgetan.
Bald zeigte sich jedoch, dast nicht nur wirkliche Reue und Trauer über die
eigene Sünde die treibenden Motive waren, sondern vielfach Erbitterung
über Mistbrauch priesterlicher Macht, Widerspruch gegen die Sakraments-
lehren und gegen die Duldung schreiender Miststünde. So plötzlich, wie der
Flagellantismus aufgetreten, so verschwand er — vielfach noch ehe die
Pestkrankheit in den betreffenden Städten Opfer gefordert hatte, als sich
zeigte, dast auch unreine erotische Empfindungen sich einmischten und die
Frauen daran teilnahmen. Eine päpstliche Bulle verbot im Oktober 1349
die Geisteifahrten, und geistliche und weltliche Obrigkeit machten mit
Strenge dem Unwesen ein Ende. Nur aus der Verworrenheit dieses in
Dumpfheit und ständiger Unsicherheit, im Bann ungesunder Hemmungen
und anderseits ungebärdiger Ausschreitungen lebenden Geschlechtes sind die
Irrungen jener Übergangszeit begreiflich. Bei solcher Schwäche wurde der
Zwang des Nachahmungstriebes Zerr der Massen und verdunkelte
Tausenden den Sinn in schrecklichem Wahn wie dem der Eeistelfahrten.
 
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