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DasBuchfürAlle
Heft 7
„Ich möchte — ich
wollte nur — Guten
Tag, Onkel Florian!"
Erstaunt sah Bee-
ren auf und musterte
wortlos das hübsche
freundliche Gesicht mit
den Hellen Kinder-
augen.
Da faßte sich das
Mädchen. „GutenTag
wollte ich sagen. —
Ich bin Haide von
Beeren, wenn du mich
noch nicht gesehen hast.
Deine Marie und Rein-
hold kenne ich schon."
„So?" — Florian
zog die Stirn in Fal-
ten. „Du bist Haide
von Beeren? Und du
kommst da herein?
Darfst du denn das?
Wer hat dir's denn
erlaubt?"
Die Frage klang
peinlich genug. Und
der Ton war so ernst,
pho.. W. Girckc, Berl.n.
Ein amerikanisches Zwergautomobil.
daß nicht auszuweichen war. Lügen
mochte Haide nicht, und so erwiderte sie offen: „Onkel Florian,
ich komme von selbst. Wollte bloß mal sagen, daß Hanna und
ich — daß es uns beiden recht leid tut . . ."
Noch ernster als vorher blickte Florian. Er sah den bittenden
Ausdruck der lieben Kinderaugen, das verlegene tiefe Erröten,
und er vergaß allen Verdruß. Freundlich lächelnd gab er ihr die
Hand: „Ich danke, kleine Haide."
Fröhlich rief sie: „Onkel Florian, ich habe noch ein bißchen
Zeit; ich versäume nichts. Darf ich deine Frau sehen und deine
Marie?"
„Nein, Kind. Das geht nicht," erklärte Florian bestimmt,
aber freundlich. „Du bist schon ungehorsam genug gewesen. Ich
möchte nicht — es wäre mir unangenehm, wenn es dir . . .
Nein, das kann ich nicht zugeben. Aber es ist doch lieb von dir
gewesen, kleine Haide. Noch 'ne Patschhand! So, nun geh!"
Da trat Reinhold
in den Laden und
blieb überrascht stehen.
War denn das mög-
lich? Sein Vater gab
der Tochter des Ober-
forstmeisters die Hand
und sprach mit ihr,
offenbar freundlich,
wenn auch mit ernstem
Gesicht. Und so aller-
liebst glaubte er noch
nichts gesehen zu ha-
ben wie diesen lockigen
Blondkopf. Haide hatte
Wort gehalten und
war gekommen, wie
sie gesagt.
Florian Beeren
hatte nicht bemerkt,
daß Reinhold im La-
den stand. Als Haide
rief: „Da ist ja dein
Reinhold!" wandte er
sich um.
„Das ändert nichts.
Es muß so bleiben,
C. Coolidge,
Vizepräsident der Vereinigten Staaten.
vhot. G. Haeckel, Berlin.
Ein Dackel-Sechserzug.
wie ich es angeordnet
habe."
„Möchtest du die
Tante und Marie von
mir grüßen, Onkel
Florian? Das könn-
test du doch gewiß
tun," sagte Haide, ihre
Notenmappe wieder
über den Arm hän-
gend. „Adieu! Adieu,
Vetter Reinhold."
Er nahm ihre Hand
und erwiderte ihren
freundlichen Drucknicht
ganz unbefangen, da
sein Vater mit verdrieß-
lichem Gesicht hinter
seinem Pult stand.
Halblaut flüsterte er:
„Sie wollten doch —
Bonbons, einenAugen-
blick ..."
„Nein, nein! Ich
will nichts!" rief Haide
hastig und eilte rasch
aus der Tür.
Nun waren beide Männer allein im Laden. Florian tauchte
die Feder ein und schrieb mit gerunzelter Stirn eine Weile weiter;
ein paarmal legte er die Feder wieder fort, überlas den Inhalt des
Briefes und schien nicht zufrieden mit der Form des Schreibens.
Jetzt zerriß er das Blatt und warf das zusammengeballte Papier
in den Ofen. An Reinhold vorübergehend sagte er: „Unan-
genehme Geschichten! Kinderei! Was könnte dabei heraus-
kommen? — Nichts als neuer Verdruß und Reibereien, und
daran habe ich genug. Ich will mit der ganzen Sippe nichts mehr
zu tun haben — und da läuft so 'n kleines, keckes Ding mir nichts,
dir nichts herein, und die Bescherung ist fertig. Vertrackte Ge-
schichten, die kein Ende nehmen wollen!"
„Die Kleine kann doch nichts dafür, sie ist doch nicht schuld
an den Zerwürfnissen, Vater," sagte Reinhold begütigend. „Sie
bringt sich ja selber in die unangenehmste Lage; man darf doch
nicht zu hart über sie urteilen, sie hat es gewiß gut gemeint."
Phot. pholctthck, Berlin.
Warren G. Har ding,
Präsident der Vereinigten Stnaten.
„Gut gemeint hin,
gut gemeint her. Was
soll das heißen? —
Wer urteilt denn hart?
— Ich doch nicht. Ist
ja ein ganz netter Balg,
ein lustiges Ding. Ich
hab' sie doch nicht hart
behandelt, war doch
freundlich zu ihr. Aber-
alles hat seine Gren-
zen. Verrücktes Zeug.
Tolle Welt. Wie kam
denn Mieze dazu, die
Kleine kennenzErnen,
und wo hast du sie
denn . . ."
Da kamen die Lehr-
linge vom Kaffee zu-
rück, und Florian Bee-
ren schwieg.
Nach einer Weile
ging er in das Fa-
milienzimmer.
Dort fand er Mika
Zippelmann, die mit
ihrem Strickstrumpf
DasBuchfürAlle
Heft 7
„Ich möchte — ich
wollte nur — Guten
Tag, Onkel Florian!"
Erstaunt sah Bee-
ren auf und musterte
wortlos das hübsche
freundliche Gesicht mit
den Hellen Kinder-
augen.
Da faßte sich das
Mädchen. „GutenTag
wollte ich sagen. —
Ich bin Haide von
Beeren, wenn du mich
noch nicht gesehen hast.
Deine Marie und Rein-
hold kenne ich schon."
„So?" — Florian
zog die Stirn in Fal-
ten. „Du bist Haide
von Beeren? Und du
kommst da herein?
Darfst du denn das?
Wer hat dir's denn
erlaubt?"
Die Frage klang
peinlich genug. Und
der Ton war so ernst,
pho.. W. Girckc, Berl.n.
Ein amerikanisches Zwergautomobil.
daß nicht auszuweichen war. Lügen
mochte Haide nicht, und so erwiderte sie offen: „Onkel Florian,
ich komme von selbst. Wollte bloß mal sagen, daß Hanna und
ich — daß es uns beiden recht leid tut . . ."
Noch ernster als vorher blickte Florian. Er sah den bittenden
Ausdruck der lieben Kinderaugen, das verlegene tiefe Erröten,
und er vergaß allen Verdruß. Freundlich lächelnd gab er ihr die
Hand: „Ich danke, kleine Haide."
Fröhlich rief sie: „Onkel Florian, ich habe noch ein bißchen
Zeit; ich versäume nichts. Darf ich deine Frau sehen und deine
Marie?"
„Nein, Kind. Das geht nicht," erklärte Florian bestimmt,
aber freundlich. „Du bist schon ungehorsam genug gewesen. Ich
möchte nicht — es wäre mir unangenehm, wenn es dir . . .
Nein, das kann ich nicht zugeben. Aber es ist doch lieb von dir
gewesen, kleine Haide. Noch 'ne Patschhand! So, nun geh!"
Da trat Reinhold
in den Laden und
blieb überrascht stehen.
War denn das mög-
lich? Sein Vater gab
der Tochter des Ober-
forstmeisters die Hand
und sprach mit ihr,
offenbar freundlich,
wenn auch mit ernstem
Gesicht. Und so aller-
liebst glaubte er noch
nichts gesehen zu ha-
ben wie diesen lockigen
Blondkopf. Haide hatte
Wort gehalten und
war gekommen, wie
sie gesagt.
Florian Beeren
hatte nicht bemerkt,
daß Reinhold im La-
den stand. Als Haide
rief: „Da ist ja dein
Reinhold!" wandte er
sich um.
„Das ändert nichts.
Es muß so bleiben,
C. Coolidge,
Vizepräsident der Vereinigten Staaten.
vhot. G. Haeckel, Berlin.
Ein Dackel-Sechserzug.
wie ich es angeordnet
habe."
„Möchtest du die
Tante und Marie von
mir grüßen, Onkel
Florian? Das könn-
test du doch gewiß
tun," sagte Haide, ihre
Notenmappe wieder
über den Arm hän-
gend. „Adieu! Adieu,
Vetter Reinhold."
Er nahm ihre Hand
und erwiderte ihren
freundlichen Drucknicht
ganz unbefangen, da
sein Vater mit verdrieß-
lichem Gesicht hinter
seinem Pult stand.
Halblaut flüsterte er:
„Sie wollten doch —
Bonbons, einenAugen-
blick ..."
„Nein, nein! Ich
will nichts!" rief Haide
hastig und eilte rasch
aus der Tür.
Nun waren beide Männer allein im Laden. Florian tauchte
die Feder ein und schrieb mit gerunzelter Stirn eine Weile weiter;
ein paarmal legte er die Feder wieder fort, überlas den Inhalt des
Briefes und schien nicht zufrieden mit der Form des Schreibens.
Jetzt zerriß er das Blatt und warf das zusammengeballte Papier
in den Ofen. An Reinhold vorübergehend sagte er: „Unan-
genehme Geschichten! Kinderei! Was könnte dabei heraus-
kommen? — Nichts als neuer Verdruß und Reibereien, und
daran habe ich genug. Ich will mit der ganzen Sippe nichts mehr
zu tun haben — und da läuft so 'n kleines, keckes Ding mir nichts,
dir nichts herein, und die Bescherung ist fertig. Vertrackte Ge-
schichten, die kein Ende nehmen wollen!"
„Die Kleine kann doch nichts dafür, sie ist doch nicht schuld
an den Zerwürfnissen, Vater," sagte Reinhold begütigend. „Sie
bringt sich ja selber in die unangenehmste Lage; man darf doch
nicht zu hart über sie urteilen, sie hat es gewiß gut gemeint."
Phot. pholctthck, Berlin.
Warren G. Har ding,
Präsident der Vereinigten Stnaten.
„Gut gemeint hin,
gut gemeint her. Was
soll das heißen? —
Wer urteilt denn hart?
— Ich doch nicht. Ist
ja ein ganz netter Balg,
ein lustiges Ding. Ich
hab' sie doch nicht hart
behandelt, war doch
freundlich zu ihr. Aber-
alles hat seine Gren-
zen. Verrücktes Zeug.
Tolle Welt. Wie kam
denn Mieze dazu, die
Kleine kennenzErnen,
und wo hast du sie
denn . . ."
Da kamen die Lehr-
linge vom Kaffee zu-
rück, und Florian Bee-
ren schwieg.
Nach einer Weile
ging er in das Fa-
milienzimmer.
Dort fand er Mika
Zippelmann, die mit
ihrem Strickstrumpf