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108

DasVurtifürAlls

Heft 7

Ludwig van Beethoven.
Zur Wiederkehr seines hundertfünfzigsten Geburtstages.

peinigt schrieb der Einsame im Sommer 1802 sein erschütterndes
Testament: „O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, stör-
risch oder weiberfeindlich haltet oder erkläret, wie unrecht tut

Von H. W. Marner.
Mit fünf Bildern.

s ist über allen Zweifel erhaben, daß die erlauchtesten
Meister der Töne aus unserem deutschen Vaterlande —
Salzburg als Vaterstadt Mozarts eingeschlossen — hervor-
gegangen sind. Auch die Franzosenhabenniemand, densieunseren


ihr mir. Ihr wisst nicht die geheime Ursache von dem, was euch
so scheinet." Nun folgt das Bekenntnis seiner Taubheit, die
bittere Klage um sein verlorenes Gehör. „Verzeiht, wenn ihr
mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter
euch mischte. Doppelt weh tut mir mein Unglück, indem ich
dabei verkannt werden mutz. Für mich darf Erholung in mensch-
licher Gesellschaft, feinere Unterredungen, wechselseitige Er-

hervorragendsten Geistern, vor allem einem
solchenTitanen wie Beethoven, würdig an die
Seite stellentönnten. Als .m September 1920
Frankreichs Marschall Foch etwa eine Viertel-
stunde an der Eeburtsstätte Beethovens in
Bonnweilte, wusste erdasGeniediesesgrotzen
Deutschen nicht anders zu kennzeichnen, als
datz er ihm unter den französischen Genies
die —Jungfrau von Orleans entgegenstellte.
Ludwig van Beethoven wurde am 16. De-
zember 1770 zu Bonn am Rhein geboren.
Sein Vater wie sein Grotzvater übten bereits
die Beschäftigung mit der Musik beruflich
aus, und der Baker zwang auch den jungen
Ludwig schon früh ans Klavier, nur aus ihm
ein Wunderkind in der Art Mozarts zu machen.
Trotz dieses Zwanges erstarb in dem jungen
Musiker die Liebe zur Kunst nicht. Als
er siebzehnjährig sich vor Mozart in Wien
hören lietz, hielt der Meister dies Spiel für
ein eingelerntes Paradestück und benahm
sich kühl; Beethoven, den Grund dieser Zu-
rückhaltung begreifend, bat ihn um Angabe
eines Themas zu einer freien Phantasie.
Und wie er stets vortrefflich zu spielen pflegte, wenn er gereizt
war, dazu noch angefeuert durch die Gegenwart des verehrten
Meisters, begann er nun so zu spielen, datz Mozart, dessen Auf-
merksamkeit und Spannung immer mehr wuchs, endlich zu den
im Nebenzimmer sitzenden Freunden ging und lebhaft sagte:
„Auf den gebt acht, der wird einmal in der Welt von sich
reden machen." Als dann Beethoven zweiundzwanzigjährig zum
zweiten Male und bis auf kurze Unterbrechungen für dauernd
nach Wien übersiedelte, nahm er zunächst bei Joseph Haydn, dem
ersten Grotzmeister der klastischen Musik, Unterricht. Insgeheim
arbeitete er schon an seinem ersten Meisterwerk, den drei ersten
Klaviertrios, die 1795 erschienen und so-
gleich Aufsehen erregten. Jedes folgende
Werk boi eine neue Überraschung an
Charakter, Inhalt und Form. In einen:
Zeitraum von zweiunddreitzig Jahren,
bis zu seinem 1827 erfolgten Tode, er-
schienen nicht weniger als zweihundert-
fünfundfünfzig Kompositionen von ihm
im Druck. In ihnen offenbart sich eine
unerschöpfliche, originelle Erfindungskraft,
ein alle Herzen ergreifender Gefühls-
ausdruck, ein unverjieglicher Quell der
schönsten und edelsten Melodien, ein be-
zaubernder Wohlklang und Farbenreich-
tum. Schnell auf den Gipfel des Nr h-
mes gelangt, droht schon dem Sieben-
undzwanzigjührigen ein furchtbares Ge-
schick, das schlimmste, das einem Grotzen
im Reiche der Töne beschicden sein konnte,
und das sich für ihn 1802 nach vergeb-
lichem Hoffen auf Besserung erfüllte: er-
würbe fast völlig taub. Sein Leiden, das
er vor den Menschen ängstlich zu ver-
bergen suchte, verursachte ihm unsägliche
Seelenqual. Von Todesgedanken ge-

gietzungen nicht stakthaben. . . . Wie ein
Verbannter mutz ich leben; nahe ich mich
einer Gesellschaft, so überfüllt mich heitze
Ängstlichkeit, ich fürchte, in Gefahr gesetzt zu
werden, meinen Zustand merken zu lassen....
O Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so
denkt, datz ihr mir unrecht getan, und der
Unglückliche, er tröste sich, einen seinesgleichen
zu finden, der trotz allen Hindernissen der
Natur doch noch alles getan, was in seinem
Vermögen stand, um in die Reihe würdiger
Künstler und Menschen ausgenommen zu
werden."
Lange glaubte er diesen Schmerz, der
ihn beinahe zum Selbstmord trieb, nicht ver-
winden zu können, und doch schuf er unter
Qualen die höchste Verherrlichung der Freude,
die tiefst empfundene Mondscheinsonate, die
liebliche, von drolligen Scherzen erfüllte
Musik der Pastoralsymphonie, die über-
wältigende Schöuheit der Eroika und dir
Missa solemnis, die er als sein vollendetstes
Werk bezeichnete. Tief litt er darunter,
datz ihm sein Leiden das Zusammenkommen
mit den geliebtesten Freunden erschwerte und unmöglich mackste,
datz seine Sehnsucht nach einer gleichgestimmten Seele, nach
einer glücklichen Ehe, unerfüllt bleiben mutzte. Er mutzte den
Schmerz erleben — mehr als einmal —, datz ihn die, die er liebte,
und von der er wusste, datz sie ihm Liebe entgegenbrachte, im
Stiche lietz. und er schuf in seiner Oper „F delio" ein wahres
Hoh.Iied der ehelichen Liebe und Treue. Und weitere herbe Er-
lebnisse waren für ihn die Auseinandersetzungen mit seiner Ver-
wandtschaft, vor allem mit seinem von ihm adoptierten un-
geratenen Neffen, der ihm viel Kummer und Sorge verursachte,
und dem zuliebe er sich trotzdem Entbehrungen auferlegte, um
ihm ein Kapital von zehntausend Gul-
den zu hinterlassen. So verschwendete
er seine Liebe an Unwürdige, während
er wieder — darin liegt eine schwere
Tragik seines Lebens —Menschen, die
ihm lieb und wert waren, und die er
hoch verehrte, in unverständlicher Weise
brüskierte. So warf er seinem verehr-
ten Lehrer Haydn Unredlichkeit vor, so
machte er sich bei Hofe und bei hoch-
gestellten Personen durch sein absicht-
lich rauhes und ungeschliffenes Wesen
unmöglich, so war er unhöflich Goethe
gegenüber, den er gewitz nicht kränken
wollte.
Aller moderne Singsang, alle Ope-
retten- und Tanzmusik haben seine edle
Kunst nicht verdrängen können aus den
Herzen und den Musikmappen der Kunst-
beflissenen und des Volkes. Zahlreiche
Bearbeitungen und Ausgaben seiner
Werke liegen in allen Häusern, in denen
Musik getrieben wird, und werden gerne
vorgenommen. Und so wollen wir es
auch weiter halten!

Beethoven.


Verkleinerte Wiedergabe nach dem Tondruckbi'de in
Naumanns Musikgeschichte. Z. Ausl. Mü über ZOO Ab-

Beethovens Jugendbildnis.
 
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