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Heft 7 DasBuchfürAlic

Die Zunahme der Schafhaltung
eine wirtschaftliche Notwendigkeit.
Von H. Roller.
Mit vier Bildern.

essen Kindheitserinnerungen in das sechste oder
siebente Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts
zurückreichen, der weih sich — falls er nicht ge-
rade in der Großstadt aufwuchs — gewiß darauf zu be-
sinnen, welche gesuchte Persönlichkeit damals der im Ruf
besonderer Weisheit stehende Schäfer war. Große Schaf-
herden, umkreist von einem oder zwei Hunden, die ihren
Aufseherdienst eifrig versahen und unaufhörlich die Lämmer-
schar umtrabten, waren keine Seltenheit, wie sie es leider
heute sind. Im Jahre 1870 zählte man etwa fünfund-
zwanzig Millionen Schafe in Deutschland, aber in den
achtziger Jahren sank der Bestand rasch und betrug 1900
nur noch 9,5 und 1914 gar nur noch 5,4 Millionen, während
sich die Einwohnerzahl in den gleichen fünfzig Jahren
verdoppelte. Auch in Österreich und Ungarn war derselbe
Rückgang zu beklagen, was umso auffälliger ist, als be-
sonders die weiten Steppen an der Theiß für die Schaf-


phcN. O. Haeckel, Berlin.
Auf der Meide.


zücht die denkbar günstigsten Verhältnisse
bieten. Die deutschen Landwirte begründeten
die Abschaffung der Schafherden damit, daß
die intensivere Ausnützung des Bodens durch
Anbau von Getreide, Kartoffeln, Futter-
pflanzen und Rüben notwendig, hingegen
die Brachwirtschaft als unvorteilhaft erkannt
sei, und verwiesen darauf, daß die Wollpreise
so gesunken wären, daß die Schafhaltung
nicht mehr lohne. Der Zentner Wolle, fin-
den 1870 noch 240 Mark gezahlt wurden,
brachte kurz vor dem Weltkrieg kaum noch
150 Mark.
Das war freilich vor hundert Jahren
anders, als man spanische Schafe zur Zucht
zuerst nach Sachsen, dann auch nach Preußen
und anderen Gebieten gerade um der Woll-
erzeugung willen einführte. Die deutschen
Wollmärkte standen bald in gutem Rus und
behielten ihn, obwohl die Engländer von
ihren Kolonien ungeheure Mengen Wolle
nach Europa brachten und den Preis herab-
drückten. Den Briten war es ebenfalls zu ver-
danken, daß die Baumwolle der Schafwolle
erheblich Konkurrenz machte. Auch von
Australien und Argentinien wurde viel Wolle
eingeführt. Bis in die ersten Jahre nach dem

Phot. Photothek, Berlin.


Ein Zuchtbock, der?1 000 Mark kostete.

Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 war die
Ausfuhr von Masttieren nach Frankreich, wo
stets viel mehr Ha nrin elfl ei sch gegessen wurde
als in Deutschland, bedeutend. Das änderte
sich aber, als die Franzosen ihre heimische
Schafzucht vergrößerten und von Algier
immer mehr Schafsleisch einführten. Im
Jahre 1914 betrug der Bestand an Schafen
in Frankreich 16,5 Millionen, also mehr als
das Dreifache der SchafeDeutschlands, wo die
heimische Wollerzeugung den Bedarf längst
nicht mehr deckte. Die Wolleinfuhr hatte im
Jahre 1913 einen Wert von 432 Millionen
Mark. War es schon damals bedauerlich, daß
solche Summen nach dem Auslands wander-
ten, so wäre jetzt erst recht die teure Einfuhr
vom llbel. Auf lange Zeit hinaus wird sie
kaum nennenswerten Umfang erlangen dür-
fen. Die Wiederaufnahme beziehungsweise
Steigerung der Schafhaltung ist als eine
wirtschaftliche Notwendigkeit so dringend,
daß sie nirgends versäumt werden sollte.
Uber die Rentabilitätsaussichten können sich
die schafzuchttreibenden Landwirte nun nicht
beklagen. Der Wollbedarf ist nach dem
Krieg, da alle Vorräte erschöpft sind, noch


Vor dem Stall.

Studie von S. Aistchutz.

viel größer als vorher. Mit dem „Ersatz" soll es doch endlich
ein Ende nehmen; wir brauchen gute, solide Tuche, wir
brauchen Wolldecken und Wollstrümpfe, rind die Pelze
fiirden Liebhaber genug. Nun hat man von einem einzigen
Mritterschaf etwa 3 bis 6 Kilogramm Wolle im Jahr; die
Tiere können zweimal jährlich geschoren werden, wennanch
die zweite Schur nicht so ergiebig ist. Heute spielt auch nicht
nur die Wolle eine Rolle bei der Gewinnberechnung, son-
dern fast ebensosehr der Erlös aus dem Fleischver-
k au f, der vor fünfzig Jahren so gering war, wie cs uns
heute bei den abenteuerlichen Fleischpreisen kaum glaublich
erscheint. Die Auffüllung der gelichteten Rindviehbestände
- durch den harten Zwang der Viehablieferung an die En-
tente noch erschwert — braucht Zeit; Schaffleisch ist bei dem
schnelleren Schlachtreifwerden der Schafe geeigneter, an
Stelle von Rindfleisch den Küchenbedarf zu befriedigen,
und wir werden uns ebensogut daran gewöhnen können
wie Engländer und Franzosen. Schon seit Jahren hat die
deutsche Landwirtschaft durch Einführung der Zucht fran-
zösischer Merinoschafe an Stelle der früher bevorzugten
Negrettischafe eine Rasse gezüchtet, die, das Futter besser
verwertend, stärker und fetter wird, so daß der Ertrag aus
dem Fleisch der Tiere nicht mehr hinter dem aus dem
Wollverkauf zurücksteht. Ein Hammel, der bei guter Weide
schon nach acht bis zehn Monaten ein Gewicht von einem
Zentner erreicht, wirft einen schönen Verdienst ab.
Viel zu wenig beachtet wird ferner, daß die Schafe,
 
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