Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heft 8

DasBuchsürAlle

122

So fuhren sie zusammen weiter durch das weiße Winterland.
Noch über eine Stunde.
Da erhob sich Lore; sie war am Ziel.
Heinz Kramer nahm ihr Tannenbäumchen aus dem Netz.
Sie reichte ihm nochmals die Hand. „Vielen Dank, Herr Doktor,
Glückliche Feiertage! Hoffentlich hören wir noch mal vonein-
ander !"
„Das wünsche und hoffe ich!" antwortete er, dann griff sie
nach ihrem Bäumchen.
Kramer hielt es fest und stieg gleichfalls aus.
„Sie sind auch am Ziel?" fragte sie überrascht. „Und das
erfahre ich erst jetzt?"
„JsLs nicht früh genug?" scherzte er.
„Aber ich glaubte, Sie wollten noch weiter, wollten zu Be-
kannten reisen?"
„Jawohl. Erst aber will ich Sie gewissenhaft zu Ihrem Ziel
bringen und Ihnen das Bäumchen tragen."
„Aber datz Sie nochmals Ihre Fahrt unterbrechen, das kann
ich doch nicht verantworten."
„Ich komme immer noch früh genug."

ieder wanderten sie nebeneinander durch den weißen
Wiutertag. Von fernher rauschte leise die See. Dann
sahen sie das Dörfchen liegen. .Elockenstimmen klangen. Der
Abend brach herein, die Heilige Nacht.
Bald standen sie vor dem Häuschen, um das in jenen glück-
lichen Sommertagen bunte Blumen geblüht hatten; nun lag es
friedlich da, von dickem weißen Schnee bedeckt.
Unwillkürlich blieben sie stehen. Aus einem der niedrigen
Fenster schimmerte ein rötliches
Licht.
Ja, hier war Frieden und
Ruhe.
„Herr Doktor, nochmals
herzlichsten Dank!" Lore reichte
ihm zum Abschied die Hand.
„Es war mir eiue Freude,"
erwiderte er und blieb neben
ihr stehen.
Verlegen sagte sie: „Die
alte Mutter Dortje wird sich
wundern, denn meine Fahrt
hierher ist ein Augenblicksent-
schluß , aber ich stelle keine
großen Ansprüche, für ein paar
Tage muß sie mich schon be-
herbergen."
Nach einer kleinen Pause:
„Heute abend, wenn das Bäum-
chen brennt, werde ich es noch
einmal in der Stille lesen, das
kleine, mir so liebe Buch Mm
stillen Herdb Schade, daß wir
es nicht zusammen lesen kön-
nen."
„Das ginge schon," sagte
Heinz und lächelte. „Der Leh-
rer würde mich aufnchmen. Es
freut mich, daß dies Buch Ihnen
so viel zu sagen hatte, denn der
stille Herd da drinnen ist mir in
der Erinnerung geblieben. Mein
Büchelcheu wäre sonst . . ."
Da fiel ein Muff und ein
silbernes Handtüschchen in den
Schnee. Kramer bückte sich und
reichte Lore beides wieder hin.
„Ihr Buch. . .?"
Heinz lachte. „Wenn Sie's

nicht weitersagen und mich nicht verraten wollen — es war mein
erster dichterischer Sündenfall."
Lore stand überwältigt vor Überraschung. Was war das
heute für ein seltsamer Tag!
„Nun ist das Häuschen mir noch viel lieber," sagte sie leise.
Und dann: „Wissen Sie, Herr Doktor, was ich eben dachte?"
„Leider nicht. Aber ich möchte gerne Ihre Gedanken lesen
können."
„Ich möchte das Häuschen kaufen."
„Das Häuschen wollen Sie kaufen?" wiederholte er, als habe
er nicht recht gehört. „Als Kapitalanlage oder gar wegen seiner-
künftigen literarhistorischen Bedeutung?"
Sie überhörte den Scherz. „Damit ich immer, wenn's mir
in der Welt mal wieder zu bunt wird, hier einkehreu kann. Wenn
Sie artig sind, lade ich Sie im Sommer auch mal ein."
„Das Haus ist unverkäuflich."
„Unverkäuflich? Ich werde mit Mutter Dortje gewiß einig
werden. Ich zahle, was sie verlangt."
„Das ist leichtsinnig. Man. könnte sie überfordern, wenn Sie
so drängen."
„Das Häuschen ist mir's wert."
Da trat Heinz einen Schritt näher. „Und wenn man —
wenn der Besitzer — denn Mutter Dortje gehört es nicht mehr,
sie wohnt mit Liesel nur noch darin, solange sie lebt—wenn der
Besitzer, dem es seit Wochen gehört, und der heute seine erste
Weihnacht drin feiern möchte, wenn der Sie beim Wort nähme
und einen Preis fordern würde, an den Sie nicht gedacht haben
— würden Sie damit einverstanden sein?" fragte er leise.
Da fiel zum zweiten Male ein Muff und eine silberne Hand-
tasche in den Schnee. Heinz Kramer bückte sich abermals und
reichte ihr beides wieder hin.
„Nun?" fragte er noch leiser,
„würden Sie das tun?"
Da sah sie ihn an und sagte:
„Ja!"::
Unser Weihnackts-
öüUM. Von Karl Leykauf.
Mit neun Bildern.
m zehnten Kapitel seines
..Ekkehard"schildert Viktor von
Scheffel, wie Frau Hadwig
auf dem Hohentwiel Ekkehard und
Praxedis wie ihrem Gesinde unter
einem äpfelgeschmückten Lichter-
baume zu Weihnachten bescheren
läßt. Liest man diese Schilderung,
so glaubt inan, daß diese Art, das
weihnachtliche Fest zu begehen, der
Wahrheit entspricht, ja man hält es
für gewiß, daß der grüne, geschmückte
Lichterbaum noch älter sei. So
selbstverständlich erscheint uns der
nut den frühesten, glücklichsten Kind-
heitserinnerungenverknüpfteBrauch
des im überhellen Glanze der Ker-
zen strahleirden Baumes, ohne den
uns Weihnachten nicht denkbar ist,
daß wir am hohen Alter dieses fest-
lichen Symbols nicht zweifeln. Und
doch hat Scheffel mit dem Rechte
des Dichters eine Szene erfunden,
die in jener Zeit nicht möglich war.
Vergebens sucht man im Bereiche
des ganzen Mittelalters nach dem
Weihnachtsbaum in irgend einer
Form. Ja, nicht einmal die Be-
scherung fiel anfänglich auf unseren
heutigen Heiligen Abend, denn das
wirtschaftlich bedingte Jahresschluß-
fest unserer Altvorderen fiel einst in



„Kinblesmarkt" im alten Nürnberg.

Von Rudolf Geißler.
 
Annotationen