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DasVuchfürAtte

Heft 22

Heft 22

DasBuchfürAlle

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Die Locke des Herrn Koleder.
Erzählung von F. Kaltenhauser.
ie Stiege hinauf eilte ein schlankes, zierliches Mädchen,
hielt oben atemlos an und sah nach den Türen. Drei,
nein, vier waren es. „Lorenz Benkele" stand an der
ersten Türe. Nun rasch zur zweiten — „Barbara Wiedling, Ge-
müsehändlerin" — und dann: „Witwe Grete Blume".
Das Mädchen schlich auf den Zehenspitzen zur letzten Türe.
„Na, endlich!" murmelte es. „Lothar Koleder, Opernsänger"
stand auf dem weißen Visitenkärtchen.
Zaudernd blieb das Mädchen eine Weile stehen. Eine leichte
Röte stieg ihm ins Gesicht. Auf der Treppe hörte man Schritte.
Nein, dies Zögern war doch zu albern. Was konnte ihr denn ge-
schehen? Entschlossen
pochte das Mädchen
an der Türe.
„Herein!" Daswar
eine Frauenstimme.
„Draußen geblie-
ben!" brüllte jemand.
Erschrocken stand das
Mädchen da.
Drinnen schien es,
als flüchte einer durch
das Gemach, Schritte
näherten sich der Türe.
Dann wurde sie ge-
öffnet.
Eine Frau, kaum
dreißig Jahre alt,
fragte: „Sie wün-
schen?"
„Ist Herr Koleder
zu Hause? Kann ich
ihn sprechen?" fragte
das Mädchen, jäh er-
rötend. Ängstlichblickte
es sich um, denn eben
kam jemand die Treppe
herauf.
„Zu Hause ist er,
ob er zu sprechen ist,
kann ich nicht sagen.
Bitte, treten Sie ein."
Eilig schloß das
MädchendieTüre hin-
ter sich und ebenso flink
sah es sich im Zimmer
um. Da stand nur die
Frau, die sie prüfend
ansah. Das Gesichtet
mitdenblauen Augen,
dem hellenHaar gefiel
ihr offensichtlich, denn
ihre Miene erheiterte
sich zusehends.
„Fräulein, was
wünschen Sie von
Herrn Koleder? Er ist
davongelaufen, weil
er noch nicht ganz sa-
lonfähig ist. Er ist eben
erst aufgestanden."
„Aufgestanden—?
Jetzt erst?" dachte das
Mädchen; es schien
ihm nicht glaubhaft.
„Ja, 's ist wahr. Die erbeutete Sklavin.

Eben hab' ich ihm das Frühstück gebracht. Ich bin seine Haus-
wirtin. Damit es nicht kalt wird, müssen Sie rasch sagen, was
Sie von ihm wünschen."
„Nur nicht drängeln —!" rief der Sänger. Da bemerkte
das Mädchen, daß eine Türe in ein Nebenzimmer führte und eine
Spalte weit offen stand.
„Es ist etwas Besonderes, ich . . ."
Die Frau lächelte. Sie wußte ja, wie die jungen Damen
den Künstler verehrten.
„Raus mit der Geschichte!" rief der Sänger im Neben-
raum.
„Freilich möchten S' halt ein Bild vom Herrn Koleder?
Eigenhändig unterschrieben. Gelt?"
Das Mädchen schwieg befangen.
„Ja, ein Bild könnten Sie schon haben. Herr Koleder hat

ein paar unterschrieben. Warten Sie, da — nein, da sind ja
keine mehr. Wo haben Sie die Bilder hingesteckt, Herr Koleder?"
„Keins mehr da! Sind alle fort!"
„Na, da kommen Sie heraus und unterschreiben Sie ein
anderes."
Das Mädel wandte sich der Türe zu.
Erstaunt rief die Frau: „Warum wollen Sie denn davon-
laufen?"
„Weil — ja, — ich hab' keine Zeit mehr."
Plötzlich wurde das Mädel sicherer. „Ich will ja kein Bild.
Ich hab' Herrn Koleder gestern singen hören im Theater und
möcht' ihn bitten, mir eine Locke zur Erinnerung zu schenken."
„Eine Locke?" Die Frau lachte. Dann rief sie: „Herr Koleder,
haben Sie gehört?"
„Locken gibt's nicht," tönte die Stimme aus dem Nebeuraam.

„Ich muß aber eine haben!" rief das Mädchen erregt.
„Ja, das sagt man so, aber —"
„Bitt' schön, ich muß."
„Na, wenn es sein muß. Von mir aus. Aber heute nicht.
Ich schneide mir die Locken nicht selber ab und hab' keine vorrätig.
Da muß ich erst zum Friseur. Kommen Sie morgen wieder."
„Noch einmal soll ich kommen? Ich hab' heut' schon Angst
genug ausgestanden. Bitt' schön, schicken Sie mir die Locke
postlagernd. Unter — ja, unter,Kunst'. Das wär' mir recht."
„Was? Postlagernd? Auch das noch? Früuleinchen, was
krieg' ich dafür?"
„Ich schick' Ihnen nächstens Blumen ins Theater."
„Sagen Sie, Frau Blume, ist das Mädel hübsch?"
,,Jk!"
Das Mädchen rief: „Das ist Geschmacksache."
„Na also, jedenfalls
nicht häßlich. Bleibt
mir also nichts übrig-
muß aber mit einem
Kuß gezahlt werden."
„Geht nicht. Her-
auf komm' ich uicht
mehr, im Brief kann
ich ihn nicht schicken,
und jetzt sind Sie ja
nicht zu sprechen."
„Warten Sie nur
ein paar Minuten; ich
bin gleich fertig; war-
ten Sie noch ein bißl."
„Nein. Guten Tag!"
Fort war sie.
Lachend stand Frau
Blume vordem Sän-
ger, der nun ange-
kleidet hereinkam.
Er sah nach Ver-
änderen Türe. „Potz-
tausend ! Ist sie schon
fort? Frau Blume,
wie soll inan das ver-
stehen? Eine Locke von
mir will sie und läuft
vor mir davon? Ein
närrisches Dina!"
„Na, lassen Sie sich
mm nicht mehr stören
and essenSie Ihr Früh-
stück. Die rennt ja, als
ob's brennte."
Koleder setzte sich
an den Tisch. „Recht
haben Sie. Ich muß
mich stärken, ich werde
sonst schwach, wenn ich
mir eine Locke ab-
schneiden lasse."
„Was, Sie wollen
ihr eine Locke schicken?"
„Das muß ich doch
tun. Ich kann doch
meine Anziehungs-
kraft nicht mutwillig
zerstören. Hab'ich nun
schon hundertneunund-
vierzig Locken geopfert,
so kommt's auf die
hundertfünfzigste auch
nimmer an."
Frau Blume schaute





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Nach einem Gemälde von A. Eisenhut.

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Photographie von Franz 9^" '^ngl, Au.chvMag, München.
 
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