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Heft 22

DasBuchfürAlle

S49

größtem Erfolg begünstigt,
und diese so belehrenden
Schaustellungen erhielten
ihre außerordentliche An-
ziehungskraft bis kurz vor-
dem Ausbruch des Welt-
krieges. Die erste, oonHa-
genbeck gezeigte Völkerka-
rawanebestand aus Lapp-
ländern, die eine große
R ennti erh erdemitsich führ -
ten. Von 1907 bis 1913 sah
man in Stellingen nach-
einander Nubier, Somali,
Singhalesen, Siourindia-
ner, Eskimos, Hottentot-
ten, Birmanen, Samoje-
den,Kalmücken,Massaiund
Beduinen.
Um 1890 kam es zu einer
vorüb ergeh end en Stockung
im Tierhandel. Da grün-
dete Karl Hagenbeck einen
Dressurzirkus, wobei sein
Schwager Heinrich Mehr-
mann als Ergebnis intimer
Tierbeobachtung und Er-
fahrung zuerst die soge-
nannte „zahme" Dressur-
weise einführte. Jur An-
ichlußandieDressurenwur-
den die Weltausstellungen
in Lhikago, die Jndustrie-



Nubische Ziegen.

Bei der Anlage in Stel-
lingen wurden zum künst-
lichen Aufbau der Land-
schaft alle Ergebnisse der
geologischen Forschung be-
rücksichtigtundunvergeßlich
schöne Bilder geschaffen,
wie dies bei dem sogenann-
ten „Tierparadies" und
dem „Eismeerpanorama"
der Fall ist. Überraschend
wirken auch die jeweils
lebensgroßen Nachbildun-
gen der Urwelttiere; eine
Schöpfung des Bildhauers
Joseph Pallenberg. Man
gewinnt in der „Urwelt-
landschaft" ein anschauliches
Bild aus der Entwicklungs-
geschichte der Tierwelt un-
serer Erde. Man findet die
gewaltigen Amphibien aus
den Schichtungen Karbon
und Perm, die der Trias-,
Jura- und Kreidezeit vor-
ausgingen, aber auch die
Vertreter dieser Perioden
einer längst ausgestorbenen
Tierwelt.
Dieanfänglich bekämpfte
Idee Hagenbecks, die Tiere
in: Freien zu halten zur
Anpassung an total von

ausstellung in Berlin und die Weltausstellung in St. Louis beschickt.
Danach wurde ein großer Teil der Vereinigten Staaten mit einem Tier-
zirkus bereist. Später folgte die große Veranstaltung auf der Ausstellung
in Buenos Aires und Anfang 1914 bewunderte man in London die Lei-
stungen des Hagenbeckschen Zirkus.
Neben diesen Unternehmungen entwickelte sich immer bedeutsamer
die Einführung jagdbaren Wildes und noch mehr die Ein- und Ausfuhr
der verschiedenartigsten Haus- und Nutztiere; dieser Zweig nahm seit 1905
immer größere Ausdehnung an. Nicht nur die Landwirte der Kolonien,
auch Japan, China, Chile, Brasilien und Argentinien forderten und
erhielten bewährte deutsche Zuchttiere: Pferde, Rinder, Schweine, Woll-
und Milchschafe, Ziegen und Geflügel aller Art zur Blutauffrischung
und Reinzucht; sie vermittelten ihrerseits auch den steigenden Austausch
ausländischer Rassen: Büffel, Zebus, Karakulschafe, Esel, Maultiere und
Ponys, die meist sogar nur zum Zweck des Exportes bei Hagenbeck ein-
geführt wurden.
Bei so bedeutendem Geschäftsverkehr reichten die Räume nicht mehr
zur Unterbringung Tausender von Tie-
ren. Dazu kam noch, daß Karl Hagen-
beck seit Jahren den Plan hegte, auf
Grundseiner reichen Zoologischen Erfah-
rungen, die er sich im Umgang mit wil-
den Tieren sowie durch Erlebtes und Be-
obachtetes auf Reisen im In- und Aus-
lande erworben hatte, einen Zoologischen
Garten zu errichten, wie er in der von
ihm erdachten Sonderart bisher nirgcnds
vorhanden war. Im Oktober 1897 er-
warb er das Stellinger Terrain, das aus
ödem Land in wenigen Jahren in eine
anmutige, malerisch wirkende Landschaft
umgewandelt wurde. Ein Teil des neuen
Tierparkes konnte im Frühling 1907 dein
öffentlichen Verkehr übergeben werden.
Hagenbeck wollte dort den Tieren mög-
lichst ihrer Natur angemessene Aufent-
haltsorte schaffen, um ihnen die Akklima-
tisation zu erleichtern und erfolgreichere
Züchtungsergebnisse zu erzielen. Mau
faitd den Gedanken unmöglich und hielt
seine Durchführung für undurchführbar
und aussichtslos. Die Tatsachen gaben
deut erfahrenen Tierkenner recht, seine
Art der Tierhaltung fand später bei Neu-
anlagen weitgehendste Nachahmung. —

ihrer Heimat verschiedene klimatische Verhältnisse, erwies sich als richtig.
Es stellte sich heraus, daß zahlreiche wilde Geschöpfe: Strauße, Anti-
lopen, erotische Hirsche, Zebras, Känguruhs, Rinder, große Raub-
tiere und Vögel trotz ihrer tropischen Herkunft sich an unser nordisches
Klima gewöhnten und gesund blieben; sie bewegten sich auch bei Schnee
und Kälte gerne und aus eigenem Antrieb im Freien. Bisher be-
stand in Europa nur in Nizza eine Straußeufarm. Nachdem man sich
bei Hagenbeck seit 1903 überzeugt hatte, daß diese in Afrika heimischen
Geschöpfe sich gegen Kälte ziemlich unempfindlich zeigten, und im
Winter in ungeheizten Räumen gehalten werden konnten, ließ man sie
im Jahre 1906 im Laufvögelgehege Stellingen ohne geheizten Ställ über-
wintern. Im nächsten Jahre wiederholte mau den Versuch mit gleich
gutem Erfolg, so daß Hagenbeck eine eigene Straußenfarm anlegte.
Einige Jahre vorher wäre dieser Gedanke überall verhöhnt und verlacht
worden. Die Erfahrungen und Beobachtungen des großen Tierzüchters
erwiesen sich stärker als die voreingenommenen Meinungen der Theoretiker.
Waren die Verdienste Hagenbecks schon auf dem Gebiete der „natür-
lichen" Tierhaltung bedeutend, so hat
Stellingen mich der wissenschaftlichen
Forschung vieles geboten, wofür dem
Organisator reicher Dank gebührt. Man-
cherlei Tiere wurden nach Stellingen
eingeführt, die den Zoologen bis dahin
noch wenig bekannt waren und erst be-
schrieben werden mußten. Nach allen
Richtungen, welt- und volkswirtschaft-
lichen, sowie wissenschaftlichen, erwarb
sich die Firma ihren wohlbegründeten
Weltruf mit Recht, der Name Hagenbeck
war überall hochangesehen.
Da brach der Weltkrieg aus und in
seinen Folgen lastete er schwer auf dem
Paradies von Stellingen. Für alle Be-
teiligten muß es hart zu tragen gewesen
sein, die schönen Tiere langsam dahin-
siechen, oder rasch an Seuchen fortge-
rafft zu sehen. Im Laufe der Jahre
starben über 2241 Tiere und außer ihnen
ungezählte andere Geschöpfe. Es kam
Ende 1920 so weit, daß die Söhne Ha-
genbecks nicht ni ehr zu hoffen wagten,
das Werk des Vaters, den weltberühm-
ten Stellinger Tierpark, erhalten zu kön-
nen. Planmäßiger Abbau mußte ernstlich
erwogen werden, und nur der Gedanke


Zn der Grotte der Eisbären.
 
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