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^70 DasVuchsürAÜs Heft

Diesmal hatte sie ihr Geld gut angewendet, denn Ella sah in
diesem Meide entzückend aus. Schade, daß sie nicht dabei sein
tonnte, den Triumph ihres Lieblings zu erleben. Warum sie
darauf verzichten mutzte, war außer ihr niemand bekannt.
Nahe zu dem glücklich lächelnden Mädchen herantretend
flüsterte Fräulein Mia: „Morgen wirst du mir erzählen, wie's
gewesen ist, Herzl." Den blonden Kopf zu sich herabziehend
raunte sie noch leiser: „Sei nicht gar zu steif; damit schreckst du
die Herren ab wie damals — du weißt doch .. ." Da Ella sich
ihr ungeduldig entzog, schloß das alte Fräulein: „Versteh mich
nur recht! Ich mein' ja bloß, ein junges Mädel vergibt sich nichts,
wenn es ein bißchen lustig ist."
Alois, Ellas Bruder, mahnte zum Aufbruch. Er erinnerte
daran, daß die Frau Rat Eusebius, die sie als Ballmutter der
Schwester erwartete, vielleicht schon in der Garderobe sein könne;
man dürfe deshalb nicht unpünktlich sein.
Jeder der Pensionäre suchte Ella rasch noch Rat zu erteilen.
Es schien, als ob alle glaubten, daß dieser Ball entscheidend für
ihre Zukunft werden müßte. Der pensionierte Major Zeldegg
von Karebezek bat sie, sich beim Tanzen ja nicht zu steif zu
halten, und der junge Arpad Kramer, seines langen Halses und
seiner Größe wegen Giraffe genannt, empfahl ihr scherzend, sie
möchte zeitig ein gutes Glas Wein trinken, um in Stimmung
zu kommen.
„Wenn du dich heute nicht verlobst oder wenigstens den An-
fang zu deiner Verlobung erlebst," sagte Alois, als sie beide in
der Trambahn saßen, „so sind unsere Hausgenossen gewiß nicht
schuld daran."
„Warum wollen sie denn, daß ich mich verloben soll?"
„Hast du denn andere Aussichten?"
„Ich könnte mich in der Musik ausbilden."
„Als Klaviervirtuosin? Da gibt es zu viele, und die Aus-
bildung dauert zu lange. Ja, wenn du mehr Stimme hättest,
um zur Bühne zu gehen, aber dazu langt's nicht. Und wer würde
dir Geld geben bei so unsicheren Aussichten?"
„Um Gesanglehrerin zu werden, genügt meine Stimme.
Statt mir Toiletten zu kaufen, könnte Tante Mia mir das Geld
zum Studieren geben."
„Das tut sie nicht. Und sie hat recht. Sie ist klug genug, zu
wissen, daß es besser für dich ist, dich durch eine Heirat zu ver-
sorgen."
Ella schwieg. Der Bruder mochte ja recht haben, aber ihr
Stolz verbot ihr, sich verschachern zu lassen. Trotz ihrer Schön-
heit hatte sie mit bald zweiundzwanzig Jahren noch keinen Heirats-
antrag erhalten. Wiederholt waren reiche junge Herren bei ihnen
in Pension gewesen, hatten sie bewundert, ihr gehuldigt und sich
am Ende mit anderen Mädchen verlobt. Sogar die Buchhalterin,
die man gewiß nicht hübsch nennen konnte, war die Braut eines
Advokaten, der sie demnächst heiraten würde. Fast alle Mädchen
fanden Männer, nur sie nicht. Daheim behauptete man, ihr
hochmütiges Wesen sei daran schuld; aber ihr war es eben nicht
gegeben, zu tändeln und zu kokettieren, und da sie das nicht
über sich gewann, so tat sie, als ob sie es für unwürdig erachtete.
Alois verdroß ihr Schweigen. Nach einer Weile begann er:
„Du solltest doch ernstlich daran denken, dir eine Zukunft zu
sichern. Gewiß — reiche Männer, die ein armes Mädel nehmen,
wachsen nicht auf den Bäumen, aber du darfst mir glauben,
selbst eine durchschnittliche Partie wäre dem Leben vorzuziehen,
das du jetzt daheim führst. Mit unserer Mutter ist nicht leicht
auszukommen; sie ist immer verdrießlich und kleinlich."
Das Mädchen seufzte.
„Na also! Nimm Vernunft an. Ach, wenn du bloß wolltest!
Hübsch bist du doch. Aber du hast leider keine Anlagen, dich
angenehm zu machen. Das wissen unsere Bekannten alle. Ver-
such' doch mal heute, ein bissel mehr aus dir herauszugehen."
Ella ballte die Hände in ihrem Muff. Lustig sollte sie heute
sein. Und dabei verdarben sie ihr, einer nach dem andern, zuvor
schon die Laune. Der Bruder meinte es nicht ehrlich mit ihr;
seine Reden empfand sie als plump und verletzend. Gereizt
sah sie ihn an.

„Warum willst du denn eigentlich haben, daß ich mich durch-
aus verheiraten soll? Bei Mama und Tante Mia finde ich das
noch begreiflich, aber du meinst es anders, als du sagst."
„Ich denke doch auch an dein Glück."
„Ich will dir sagen, warum dir so darum zu tun ist: du
möchtest mich rasch unter die Haube bringen, damit Tante Mia
das Geld, das sie mir jetzt gibt, dir zuwendet."
„Ach was! Der alte Geizkragen hat's ja dazu, um uns beiden
zu geben."
Die Trambahn hielt; man war am Stubenring angekommen,
wo die Künstlergesellschaft das Cafo Prückel für den Abend ge-
mietet hatte.

ie Frau Rat Eusebius wartete vor der Tür der Damen-
garderobe; hier trennte sich Alois von der Schwester, um
sie allein eintreten zu lassen.
Ella hatte Frau Eusebius zuvor nur ein paarmal flüchtig
gesehen und war daher verwundert gewesen, als der Bruder ihr
angekündigt hatte, daß die Frau Rat sie bei diesem Fest erwarten
würde. Als sie jetzt aber ein junges Mädchen neben Frau Euse-
bius erblickte, das diese Ella als ihre Tochter Frieda vorstellte,
wurde ihr alles klar. Wenn dies frische, aber ein wenig derbe
Fräulein, das in einem kurzen braunen, mit rosa Herzen be-
nähten Atlaskleid noch gedrungener aussah, als sie es ohnehin
schon war, dem Bruder als Ideal galt, so mußte sich sein an-
spruchsvoller Geschmack stark verändert haben.
Frau Eusebius nahm Ellas Entschuldigungen zwar höflich,
aber doch mit einem vieldeutigen Lächeln hin. „Nun wollen
wir uns aber eilen," sagte sie
Die drei Damen verließen die Garderobe; vor der Tür trafen
sie mit Alois zusammen.
Die Art, in der er Mutter und Tochter begrüßte, bestärkte
Ella in ihren Vermutungen. Alois mußte wohl schon innerlich
ganz eins mit der Familie Eusebius geworden sein.
Bald sah sich Ella von ihren Begleiterinnen getrennt und in
den Maskenschwarm hineingezogen. Sie tanzte mit diesem und
jenem, aber ohne sonderliche Laune, weil der Gedanke an die
Hoffnungen, welche die Ihrigen an dies Fest knüpften, ihr den
unbefangenen Genuß raubte. Wie töricht war es doch, sich ein-
zubilden, daß sie hier eine Eroberung machen würde! Gewiß,
sie wurde vou allen Seiten zum Tanz gebeten, aber viele andere
blieben ja auch nicht unbeachtet, und es waren hübsche Mädchen
im Saale. Ella fühlte sich fremd in der Gesellschaft.
„Morgen werden sie mich wieder mit Fragen quälen, wie
es gewesen ist," dachte sie verdrießlich. „Und wenn ich dann
nichts erzählen kann, werden sie mit Vorwürfen über mich her-
fallen, weil ich nicht entgegenkommend genug gewesen bin."
Eine verzweifelte Stimmung überfiel sie, die nicht dazu bei-
trug, sie liebenswürdiger zu machen; sie gab den Herren kurze
Antworten, so daß diese, nach einem Versuch, ein Gespräch mit
ihr anzuknüpfen, sie rasch verließen. Bald saß sie ziemlich un-
beachtet da und wünschte, dieses Fest nicht besucht zu haben.
Und für ein so zweifelhaftes Vergnügen war so viel Geld ver-
schwendet worden! Wenn Tante Mia ihr den Betrag bar gegeben
Hütte, so würde er genügt haben, einen Kurs in einer Handels-
schule durchzumachen, der sie befähigte, eine Stelle als Maschinen-
schreiberin oder Kontoristin anzunehmen. Mit diesen Gedanken,
die überallhin besser paßten als in den lichterfüllten Ballsaal
voll Lachen und Walzerklänge, saß das schöne Mädchen und blickte
düster in das bunte Gewühl. Dort tanzte ihr Bruder Alois mit
Frieda Eusebius und flüsterte ihr irgend etwas Schmeichelhaftes
oder Lustiges ins Ohr; das Mädchen lachte kindisch geziert. Dort
stand die kleine Edith Siegwart, eine Schauspielerin vom Rai-
mundtheater, die wohlerzogene Tochter gut bürgerlicher Eltern,
im blaßgrünen Kostüm, einen silbernen Schleier über deu^ hell-
blonden Haar, neben einein langen Herrn, über dessen Späße
sie sich köstlich unterhielt; unter dem Kronleuchter jagten sich ein
paar weißgekleidete Mägdlein mit zwei Akademieschülern. Ach,
wenn sie doch auch fröhlich sein könnte!
Plötzlich, als sie gleichgültig über die fröhliche Menge hinweg-
 
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