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Heft 26

404

Börse? Wenn die Tante sich auf Spekulationen eingelassen
und große Verluste erlitten hatte? Dann war hierin die Ursache
ihres geheimen Grams zu suchen und — ihres Zauderns, die
dreitausend Kronen für Alois zu beschaffen.
Ellas Unruhe wurde noch gesteigert durch ein Gespräch, das
sie am selben Abend mit den: Japaner hatte.
Nachdem die übrigen Pensionäre sich nach dem Essen in das
Konversationszimmer begeben hatten, während sie noch mit
dem Abräumen des Tisches beschäftigt war, trat er zu ihr und
fragte sie, warum Fräulein Ebner jetzt so selten den Abend zu-
sammen mit den anderen verbrächte.
„Sie ist angegriffen und bedarf der Ruhe."
„Sie grämt sich."
„Worüber sollte sie sich grämen?"
Er verzog den Mund zu einem Lächeln. „Wenn jemand
so angegriffen ist, daß er die Gesellschaft der Hausgenossen nicht
ertragen kann, dann geht er nicht so viel aus. Ich an Ihrer
Stelle würde mich doch einmal davon überzeugen, wohin sie
geht."
„Bin ich ein Spion?" fragte Ella empört. „Die Tante hat
Geschäfte."
„So würde ich mich über die Art dieser Geschäfte unter-
richten."
„Warum sollte ich das tun?"
„Um Unglück zu verhüten. Was kann die alte Dame für
Geschäfte haben?"
„Die Verwaltung ihres Vermögens."
Wieder beobachtete Ella das fatale Lächeln des Japaners.
„Was meinen Sie eigentlich, Herr Doktor Nakoschima?"
fragte sie verdrießlich, „ich verstehe Ihrs Andeutungen nicht.
Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, so tun Sie's mit klaren
Worten."
„Wenn alle blind sind, fährt man schlecht dabei, wenn man
die Menschen sehend macht. Wenn Sie klug wären, so nähmen Sie
meine Bewerbung lieber heute als morgen an; ich würde dann
alles ordnen."
„Wollen Sie nicht zu den anderen gehen, Herr Doktor?" fragte
sie mit beleidigender Schürfe. „Es fällt auf, daß Sie sich ab-
sondern."
„Es fällt gar nicht auf," entgegnete er ruhig, „da man uns
für ein angehendes Brautpaar hält. Aber — wie Sie wollen!
Wenn Sie nicht in der Stimmung sind, mit mir zu sprechen,
so will ich schweigen. Aber ich rate Ihnen, überzeugen Sie sich,
wohin Ihre Tante täglich geht — es ist notwendig! Sie müssen
es tun!"
Darauf wandte er sich und ging zu der Gesellschaft.
Als Ella nach Erledigung ihrer häuslichen Pflichten ihm folgte,
fand sie ihn inmitten der Pensionäre sitzend und sich in seiner
kühlen, gemessenen Art mit ihnen unterhaltend. Irgend einer
hatte einen Scherz über die Verliebtheit des Stölzerschen Ehe-
paares gemacht, das trotz halbjähriger Ehe noch immer in den
Flitterwochen lebte.
Da sagte der Japaner, „die Flitterwochen der Herrschaften
sind vorüber".
Doktor Stölzer rief: „Ich hoffe, daß unsere Flitterwochen
ewig dauern werden. Warum sollen sie denn schon vorüber
sein?"
„Die Flitterwochen sind immer vorbei, wenn einer der Gatten
Geheimnisse vor dem anderen hat."
Die hübsche, zierliche Ada zuckte im Arm ihres Mannes, den
er zärtlich um ihre Taille gelegt. „Was, Rudi," fragte sie mit
einem Versuch zu scherzen, „du hast Geheimnisse vor mir?"
„Nein, Sie haben vor Ihrem Herrn Gemahl Geheimnisse,
gnädige Frau," sprach der Japaner ruhig.
Die junge Frau war erblaßt und bewahrte mit Mühe ihre
Fassung.
„Jawohl gnädige Frau. Denken Sie an den Apfelkuchen
mit Schlagsahne, den Sie sich ohne Wissen Ihres Herrn Gemahls
holen ließen."
Alle lachten; auch Ada lachte, doch wich die Angst nicht aus

ihren Zügen. Auch bemerkten alle, daß ihr Gatte sie mißtrauisch
betrachtete.
„Glücklich der, dessen Gewissen durch nichts Schlimmeres
belastet ist als durch den heimlichen Genuß eines Apfelkuchens
mit Schlagsahne," lispelte Herr Arpad Kramer.
„Täuschung ist Täuschung!" erwiderte der Japaner nachlässig.
„Ob sick/s um Apfelkuchen handelt oder um eine unerfüllte
Hoffnung, ist gleichgültig."
„Um eins unerfüllte Hoffnung?" wiederholte Herr von Kare-
bezek. „Darf man fragen . . ."
„Nun irgendeine, die man als Tatsache hinstellt. Sagen wir
— jemand legt sich Dichterruhm bei, um einen praktischen Vorteil
zu erreichen."
Keiner begriff, was das bedeuten sollte. Nur die „Giraffe"
mußte wohl einen Sinn in den Worten finden, denn sie sah sehr-
betreten aus.
„Ich verstehe nicht recht . .." begann Herr von Karebezek.
Doktor Nakoschima hob die Schulter. „Ach, es war nur so
eine Bemerkung, um dem Begriff der Täuschung zu erläutern.
Allerdings gibt es Täuschungen aus unlauteren Motiven und
harmlose. Wie hieß doch der Mann, Herr Major, von dem Sie
uns neulich erzählten? Ich meine den, der immer mit seinen
Abenteuern renommierte."
„Ich habe von keinem jolchen Mann erzählt."
„Ach, ich erinnere mich. Münchhaus hieß er! Richtig —
Münchhausen!"
„Ja, der Münchhausen muß eine seh: lebhafte Phantasie
gehabt haben," bemerkte die Frau Direktor Nestler mit einem
boshaften Seitenblick auf den Major, dessen Gesicht sich rot
färbte.
Der Japaner blickte den Major an und sagte: „Münchhausen
wollte andern nicht schaden, wis es diejenigen tun, die wissentlich
verleumden. Auch solche Täuschungen lassen sich manche zu-
schulden kommen."
„Wollen wir nicht lieber ein anderes Gesprächsthema wählen?"
bemerkte die Hausfrau. „Wir haben jetzt schon so viel von den
verschiedenen Arten der Täuschungen gehört, daß wir glauben
könnten, jeder von uns täuscht den andern."
„Ist es denn nicht so?" fragte der Japaner. „Wer ist auf-
richtig? Keiner! Denn jeder verfolgt seine Zwecke, die er nicht
erreichen könnte, wenn er wahr wäre. Der eine braucht Geld
und erzählt, um es zu bekommen, Märchen, denn würde er
wahrheitsgemäß sagen, wozu er es braucht, so würde der anders
es ihm nicht geben. Und auch der, welcher es geben soll, täuscht
oft insofern, als er verspricht, zu helfen, und nachher doch nicht
Wort hält. Das heißt, manchmal möchte er es auch gern halten
und kann es nur nicht — dann hat er sich eben selbst getäuscht.
Man kann da gar nicht vorsichtig genug sein!"
„Vorsichtig? Wem gegenüber?" fragte Alois Hattas mit
kaum unterdrückter Erregung. Während der letzten Worte des
Japaners hatte er dessen Augen auf sich ruhen gefühlt und inner-
lich sich unter seinen Blicken gewunden.
„Ich wollte nur ganz im allgemeinen sagen, daß man nicht
blind an den Menschen vorübergehen, sondern sich bemühen soll,
allem auf den Grund zu kommen, wenn uns gewisse Vorgänge
nicht recht verständlich sind. Man könnte damit viel Unheil
verhüten, und darum ist es wichtig, daß wir's tun."
Dies war an Ella gerichtet, wie denn überhaupt die Reden
des Doktors anscheinend ihre Spitze gegen verschiedene Personen
nacheinander kehrten Durchweg waren sie keinem verständlich,
aber ein kleiner Teil davon mußte von einem unter den An-
wesenden wohl immer verstanden sein, wie das verstimmte
Schweigen bewies, in das einer nach dem anderen versank.
Nur wenige waren unbefangen geblieben, und auch diese wünsch-
ten aus Angst, daß sie vielleicht an die Reihe kommen möchten,
keine Fortsetzung des Gesprächs.
Früher als sonst ging man an diesem Abend auseinander;
keiner aber nahm die so oft geäußerte Überzeugung mit, daß
der Herr Doktor Ouku Nakoschima ein liebenswürdiger und an-
genehmer Gesellschafter sei.
 
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