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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1894

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Heft 3
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Gmelin, L.: Kunstgewerbliches von der Weltausstellung in Chicago, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6754#0041

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und sehr enggestellten gedrechselten Stäbe, welche Arm- und
Rücklehnen stützen; bisweilen erhält das geschweifte, die Rück-
lehne begrenzende Brett ein eingepreßtes Ornament. Die
übrigen Stühle des Empfangszimmers sind meist — auch
wenn sie hohe Lehnen besitzen — leicht behandelt, um eben
möglichst ungehindert an den Platz gestellt werden zu können,
wo es Einem gerade am bequemsten ist; im Gegensatz hiezu
sind die Stühle des Speisezimmers schwer und mit fast senk-
rechten Rücklehnen versehen, st Recht sonderbar muthen uns
dann wieder manche für Repräsentationsräume bestimmte,
thronähnliche Stühle an, die nichts weniger als bequem
genannt werden können, z. B. die des obengenannten Speise-
saals des Athleten-Club's in Chicago: ledergepolsterte Sessel
aus Mahagony, mit 75 cm tiefem Sitz und cm breiter
und bis zu 3 m hoher senkrechter Rückwand! Manches
wurde hier der Mode des Empire-Stils zuliebe mit in den
Aauf genommen, wie es auch Auszugtische gab, deren schwere
Füße aus griechisch-dorischen Säulen bestanden!! Einen
ungelösten Eontrast dazu bildeten elegante Stühle im Colonial-
stil, deren dünne Gestelle trotz dem vorzüglich festen Holz,
das dazu verwendet war, beängstigend wirkten.

fertigen, wird auch von Amerikanern als Auswuchs bezeichnet.
Die metallenen Tisch- und Stuhlgestelle zeigten bisweilen
recht zierliche Formen, wenn sie auch nicht über ein gewisses
Mißverhältniß zwischen Stütze und Last hinaushalsen, st
In der Reihe der amerikanischen Tische erregen nur
die extremen Größen unser Interesse, die Nipptische und die
Speisetische. Die Ersteren schließen sich meist an englische
oder japanische Vorbilder und Motive an und sind durch-
weg leicht und zierlich gebaut. Den größten Gegensatz hie-
zu bilden die Auszugtische; sie sind in ihrem ganzen Aufbau
auf Standfestigkeit berechnet, breit, massiv und schwer, und
darum trifft man an denselben auch häufiger als bei andern
Möbeln neben byzantinischen auch Renaissanceformen, st
Ist schon der amerikanische Stuhl in seiner ganzen Er-
scheinung ein genauer Ausdruck seines Zweckes, so trifft
dieß in noch höherem Maaß beim Schreibtisch zu; daß
ein solcher irgend ein auffallendes Ornament trüge, oder
sich in seinem Aufbau merklich von seiner Zweckbestimmung
entfernte, kommt so gut wie gar nicht vor. Die zahlreich
ausgestellten amerikanischen Schreibtische überboten sich da-
gegen in Brauchbarkeit, besonders hinsichtlich der inneren

Als anrerikanische Spezialität auf diesem Gebiet können die
ganz hölzernen Sopha's, die dicken Fournirsitze (die ja schon
längst nach Europa eingeführt worden), die vielseitige und
namentlich in Verbindung mit Polstern oft bis zur höchsten
Eleganz gesteigerte Verwendung des Rohr- und des Weiden-
gestechtes bezeichnet werden. So lange die Dekorations-
Motive dieser aus Rohr geflochtenen Stuhllehnen rc. aus
den technischen Erfordernissen hergeleitet sind, tragen sie
wirklich stets zur Verschönerung des Stuhles bei; wenn aber
das Rohr zu griechischen Palmetten gezwungen wird, straft
es diese Zumuthung durch entsprechende Verunstaltung des
Ganzen. Ebenso verhält es sich mit der Verwendungsweise
des Rohrs. Daß daraus außer den Stühlen auch Tischchen
und Büchergestells gefertigt werden, kann man hingehen
lasten; aber Säulen, Bogen und Postamente daraus zu

ft An Alaxx- und Ruhestühlen wird ganz Unglaubliches geleistet;
wenn man, in einem solchen Stuhle sitzend, seine aufrechte Stellung
mit einer liegenden vertauschen will, genügen einige einfache Griffe,
um die Rücklehne mehr oder weniger umzulegen und den Schemel
sammt dem Lrgänzungsstück zwischen demselben und dem Sitz in die
Höhe zu heben, — Vorrichtungen zuin Lesen und Schreiben fehlen
ebensowenig wie solche zum Herunterklaxxen einer oder beider Arm-
lehnen. — Vom „Kunstgewerbe" sind solche „Apparate" allerdings
durch eine aanze Welt geschieden. Es gibt sogar derartige Stühle
(mit Lisengestell), die sich völlig Zusammenlegen und wie eine dicke
Mappe unter dem Arm tragen lassen.

Einrichtung und der Sicherheit. Das sogenannte „Cylinder-
bureau" beherrscht hier das Feld, aber in manchfaltigen Varia-
tionen, je nach Bedürfniß. Die Rückseite wird durch auf-
rechte und liegende Fächer der verschiedensten Gestalt und
Größe — darunter eines für die nie fehlende Schreib-
maschine — eingenommen; bald sind die Fächer zum Aus-
ziehen eingerichtet, bald durch Earton-Alappen verschließbar,
aber immer vom Sitz aus bequem zu erreichen. Es gibt
Schreibtische, bei welchen diese Rückseite über 60 Fächer 1 2

1) <£s würde zu weit führen, die ganze, unendlich vielstufige Skala
der Sitzmöbel zu durchlaufen; nur auf ein ganz besonders praktisches
Stück sei noch aufmerksam gemacht, da dasselbe sich sehr wohl auch
bei uns einbürgern ließe. Es ist ein z. B. in Universitäts-Auditorien
gebrauchter Stuhl, dessen runde, nur von dünnen Stäbchen gestützte
Lohne auf der rechten Seite zur Aufnahme von Schreibmaterial sich
zu einer kleinen Tischplatte verbreitert und so dem Hörer das Nach-
schreiben wesentlich erleichtert; um den Stuhl aber auch für Augen-
blicke des Ausruhcns bequem zu machen, besitzt die Lehne am Rücken
einen etwa zwei Hand breiten glattpolirten Aufsatz, der sich der Körper-
form trefflich anschmiegt. Bei dieser Gelegenheit darf nicht unerwähnt
bleiben, daß überhaupt den Sitzen in den Schulen große Aufmerksam-
keit geschenkt wird; an praktischen Schulbänken stehen die Amerikaner
wohl unübertroffen da.

2) Als besonders praktische Stücke sind die Klapptische zu be-
zeichnen, deren gerade Füße sich unter die Tischplatte drehen lassen,
so daß diese Tische nach Bedarf leicht in irgend einem Wandschrank
geborgen werden können.
 
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